Seite dem 1. Januar gilt auf Ungarns Straßen das „Elektronische Straßenfracht-Kontrollsystem“ – kurz EKÁER. Nach massiver Kritik von Unternehmen, Spediteuren und Interessenvertretungen wie der DUIHK wurden zum 1. März viele Regelungen abgeändert, um die Bürokratielasten zu verringern. Allerdings bleibt die Skepsis, ob sich das System wirklich lückenlos umsetzen lässt. In jedem Fall hat die Art und Weise der Einführung dem Vertrauen der Wirtschaft in die Berechenbarkeit der Rahmenbedingungen gewaltig geschadet.
Von Dirk Wölfer
Champions-League. Angeblich soll es neue Spielregeln geben, die mehr Fairness garantieren. Die Mannschaften erfahren das neue Reglement 30 Minuten vor dem Anpfiff. Keine Sorge, sagt die FIFA: Fouls werden erst ‘mal nicht gepfiffen. Weil die Spieler sich beschweren, werden die Regeln in der Pause geändert. Den Mannschaften werden sie fünf Minuten vor dem Anpfiff erläutert. Sie gelten ab sofort.
So ungefähr kann man sich die Einführung des „EKÁER“ vorstellen, des „Elektronischen Straßenfracht-Kontrollsystems“ der ungarischen Finanzbehörde. Es wurde Ende 2014 im Hauruck-Verfahren beschlossen, den Firmen blieben wenige Stunden, um sich auf die Einführung zum 1. Januar einzustellen. Konsultationen mit den Betroffenen gab es erst danach, doch selbst die im Ergebnis zugestandenen Änderungen erfuhren die Unternehmen erst am Vortag des Inkrafttretens. Das ist nicht nur äußerst belastend für das allgemeine Investitionsklima, sondern stellt die Firmen vor praktisch unlösbare Aufgaben bei der Vorbereitung auf das System.
Wozu EKÁER?
Das EKÀER soll den länderübergreifenden Mehrwertsteuer-Betrug unterbinden, der mittlerweile organisiert begangen wird und dem Steuerzahler – nicht nur in Ungarn – Milliarden kostet. Ungarn hat den höchsten Mehrwertsteuersatz in Europa, und ist daher für dieses „Geschäft“ besonders lukrativ. Das Prinzip: Die Betrüger lassen sich für – meist importierte – Waren vom ungarischen Finanzamt Mehrwertsteuer erstatten, die sie gar nicht bezahlt haben.
Das neue EKÁER-System soll dies verhindern. Dazu müssen seit dem 1. Januar alle LKW-Transporte ab einer bestimmten Größenordnung quasi in Echtzeit beim Finanzamt angemeldet werden. Das Finanzamt vergibt daraufhin eine EKÁER-Nummer, und wenn die LKW-Maut-Kontrollgeräte auf den Fernstraßen einen LKW ohne gültige EKÁER-Nummer erfassen, kann das Finanzamt schon ein paar Kilometer weiter eine Kontrolle des LKW vornehmen.
Wie sieht das geänderte System ab 1. März aus?
Nach deutlicher Kritik der DUIHK, anderer Verbände und einzelner Unternehmen wurden im Ergebnis von zahlreichen Konsultationen nun Veränderungen vorgenommen, die gegenüber dem ursprünglichen System spürbare Erleichterungen für die Unternehmen bedeuten.
- Die Meldepflicht gilt bei „normalen“ Gütern erst bei Lieferungen von mehr als 2,5 Tonnen Gewicht und einem Wert von mehr als 5 Millionen Forint pro Lieferung. Bei sogenannten risikoreichen Gütern wurde diese Meldegrenze auf 500 kg und eine Million Forint angehoben.
- Nicht meldepflichtig sind Güter, die im Rahmen anderer behördlicher Verfahren kontrolliert werden, z.B. unter die Akzisesteuer fallende Waren (z.B. Alkohol, Mineralöl usw.) und Arzneimittel, aber z.B. auch Postsendungen.
- Bei nicht risikoreichen Gütern müssen künftig keine Wertangaben mehr gemacht werden, bei Gewichtsangaben gilt eine Toleranzgrenze von 10%.
- Das Fahrzeugkennzeichen muss nur noch für die Straßenabschnitte in Ungarn korrekt angegeben sein.
- Bei Importen und innerungarischen Transporten muss nur noch die Ankunftszeit gemeldet werden, dazu stehen nun drei Arbeitstage zur Verfügung. Bei Exporten muss nur noch die Abfahrtzeit gemeldet werden.
- Angaben zu Gewicht, Wert und Fahrzeugkennzeichen können während des Transports jederzeit geändert werden.
Ein Zugeständnis insbesondere an große produzierende Unternehmen ist die Möglichkeit, ab 1. April „vereinfachte Meldungen“ abgeben zu dürfen. Diese enthalten nur noch Absender, Empfänger und das jeweilige Fahrzeugkennzeichen. Diese Möglichkeit gilt jedoch nur für Firmen mit einem Jahresumsatz von mindestens 50 Milliarden Forint, wovon zudem mindestens 40 Milliarden aus eigener Produktion stammen müssen. Wer diese Bedingungen erfüllt, darf zudem bei Kurzstreckentransporten (unter 20 km) ganz auf die EKÁER-Anmeldung verzichten. Nach Schätzung der DUIHK kommen allerdings kaum mehr als 100 Firmen in den Genuss dieser Regelung, es erscheint unverständlich (und juristisch fragwürdig), warum Firmen mit einem geringeren Umsatz de facto diskriminiert werden. Zudem löst auch das vereinfachte Verfahren nicht das grundsätzliche Problem, dass das aktuelle LKW-Kennzeichen oft nicht sofort verfügbar ist. Ein weiterer, allerdings zeitlich begrenzter Fehler des „EKÁER light“ ist, dass es aus unerfindlichen Gründen erst am 1. April in Kraft tritt. Mit anderen Worten: Bis dahin müssen auch die glücklichen 100 einen Monat lang das volle EKÁER-Programm absolvieren, also etwa 54 statt 3 Informationen pro Warengruppe und Bewegung ans Finanzamt melden.
Die geänderten Regeln bedeuten ab April für viele Unternehmen also tatsächlich eine spürbare Reduzierung des administrativen Aufwands (und damit der Kosten), die das System verursacht. Doch auch so ist dieser Aufwand noch sehr hoch, da einige Daten selbst bei maximaler Automatisierung nicht immer elektronisch gemeldet werden können, manuelle Meldungen verursachen wiederum Mehrkosten und bergen auch erhöhte Fehler-Risiken in sich. Ein weiteres Problem, dass sich bereits in den ersten Märztagen gezeigt hat, ist, dass sich manche Spediteure der Zulieferer aus Zeit- und Bequemlichkeitsgründen weigern, dem Empfänger die entsprechenden Daten durchzugeben. Nicht zuletzt, weil die Motivation dazu gering ist, schließlich wird im Ernstfall nicht der Zulieferer oder dessen Spediteur, sondern der Empfänger bestraft. Er würde dann also praktisch für etwas büßen, das außerhalb seines Einflussbereichs liegt.
Zu allem Übel geht das Champions-League-Spiel in die Verlängerung: Es gibt Pläne, die Liste sogenannter „risikoreiche Güter“ auszuweiten, z.B. um elektronische Artikel. Für risikoreiche Güter gelten nicht nur strengere Meldepflichten, sondern auch eine Pflicht zur Hinterlegungen einer Kaution. Sollte die Liste tatsächlich erweitert werden, dann kann aus den jetzt erreichten Erleichterungen für manche Firma schnell eine Verschärfung der Regeln werden. Selbst für einige der Top 100 könnte es ein böses Erwachen geben. Das Spiel bleibt also nervenaufreibend.
So wurde das EKÁER-System eingeführt:
- Oktober 2014 Der Minister für Nationale Wirtschaft reicht einen Gesetzentwurf zum EKÁER-System im Parlament ein.
- November 2014 Das Parlament verabschiedet das entsprechende Gesetz (versteckt als §210 in einem Gesetz mit insgesamt 410 Paragraphen).
- November 2014 Das Gesetz wird im Amtsblatt „Magyar Közlöny“ verkündet.
- Dezember 2014 Das Ministerium für Nationale Wirtschaft kündigt an, dass Verstöße bis zum 30. Januar 2015 nicht geahndet werden.
- Dezember 2014 Die notwendigen Durchführungsbestimmungen des Ministers für Nationale Wirtschaft werden im Amtsblatt verkündet (also wenige Stunden vor Inkrafttretens des Gesetzes).
- Januar 2015 Das Gesetz tritt in Kraft.
- Januar 2015 Das Ministerium für Nationale Wirtschaft kündigt die Verlängerung des sanktionsfreien „Testbetriebs“ bis zum 1. März 2015 an, die Regelung erscheint am 29. Januar in einer Regierungsverordnung.
- Februar 2015 Der Minister für Nationale Wirtschaft reicht einen Gesetzentwurf zur Änderung des EKÁER-Systems im Parlament ein.
- Februar 2015 Das Parlament verabschiedet die Gesetzesnovelle.
- Februar 2015 Die Gesetzesnovelle wird zusammen mit der neuen Durchführungsverordnung des Ministers im Amtsblatt „Magyar Közlöny“ verkündet und soll am 1. März 2015 in Kraft treten. (Auf der Homepage des Parlaments erscheint der Gesetzestext erst wenige Stunden vor Inkrafttreten.)
- März 2015 Das neue Gesetz tritt ohne Übergangsfrist in Kraft. (Zusammenstellung: DUIHK)
Der Autor ist Bereichsleiter Kommunikation der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer
Wie können Sie mit dem nachgebesserten EKÁER leben?
„Auf unserer Exportseite können wir nach den Änderungen die EKÁER-Forderungen mit einigem Zusatzaufwand erfüllen. Auf der Inbound-Seite gibt es allerdings gravierende Probleme, die manuelle Einholung der Daten ist im internationalen Fertigungsverbund schlichtweg nicht umsetzbar. Der rechtliche Eigentümer der transportierten Ware muss EKÁER-pflichtig werden, ansonsten kann eine Bereitstellung der Daten parallel zum Fahrzeugbetrieb nicht funktionieren. Auch andere Aspekte, etwa die noch immer nicht vorliegende Liste mit Risiko-Gütern sorgt für Unsicherheit. Wir sind also noch deutlich davon entfernt in Sachen EKÁER endlich zur Tagesordnung übergehen zu können.“- Volker Schilling, Geschäftsführer der Robert Bosch Elektronika Kft., Hatvan
„Die Probezeit des neuen Systems ist jetzt zwar vorbei, die Phase der Nachbesserungen aber wahrscheinlich noch nicht.“- Finanzleiter eines Automotive-Unternehmens
„Wir begrüßen, dass es einige deutliche Nachbesserungen gegenüber der ursprünglichen Variante gegeben hat. So wie EKÁER aber jetzt beschaffen ist, werden Transitsendungen sehr stark negativ berührt. Daraus ergeben sich immense Wettbewerbsnachteile für Ungarn. Die Vision von Ungarn als einem Logistik-Hub der Region ist gefährdet.“ – Thomas Schauer, Managing Director der Gebrüder Weiss Szállítmányozási és Logisztikai Kft.
Detaillierte Informationen zum EKÁER-System gibt es unter: www.duihk.hu/eakaer und www.ekaer.nav.gov.hu
Ich kann mich noch gut an das Geraffel und die Verzögerungen bei der Einführung der LKW-Maut in Deutschland erinnern. Daraus hätte Ungarn eigentlich lernen müssen, dass nicht alle Korrekturen und Sonderwünsche konstruktiv sind. Man sollte sich ein Beispiel an der Industrie nehmen: Nicht alles während der Planungsphase reglementieren, lieber erst einmal ein Probelauf mit Warnung, dass es zu Pannen kommen könnte und dann nachbessern. Dies wäre für das „fahrende Volk“ nachvollziehbarer.