Anlässlich des Besuchs des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Budapest wäre es doch ganz interessant, auf diesen Seiten einmal einen in der Stadt lebenden Russen vorzustellen. Doch wo sucht man am besten nach einem geeigneten Gesprächspartner? Die Wahl fällt auf das Matrjoska Bisztró am Lőrinc Pap tér. Mit der Eigentümerin Natasa Juhász aus dem fernen Kasachstan führt die Budapester Zeitung in diesen äußerst politischen Zeiten ein ganz unpolitisches Gespräch – über ihren Weg nach Budapest, die Unterschiede zwischen Ungarn und Russen sowie ihre Lebenseinstellung.
Obwohl Natasa in der kasachischen Stadt Kentau aufgewachsen ist, fühlt sie sich russisch. Ihr Land war früher Teil der Sowjetunion und für sie selbst waren damals alle gleich, also Russen. Unter ihren Vorfahren finden sich verschiedene Nationalitäten, von Weißrussen und Russen über Polen bis hin zu Ukrainern. Gefragt nach ihrem Alter lacht Natasa. „Schreiben Sie: ‚Sie ist 100 Jahre alt, sieht aber sehr, sehr jung aus.‘“ Ganz so alt ist sie natürlich noch nicht, hat aber dennoch bereits viel Interessantes erlebt und dementsprechend viel zu berichten.
Allein unter Männern
Als Kind wollte sie Physiker werden, nahm an zahlreichen Wettbewerben teil und belegte auf Republikebene als einziges Mädchen unter Jungen den dritten Platz. „Im Alter von 17 Jahren bin ich zusammen mit meiner Mutter von Kasachstan nach Leningrad gefahren, wo ich die Hochschule besuchen wollte. Aber die Hochschule, die ich ausgesucht hatte, gefiel mir nicht. Also sind wir zur Hochschule für Ingenieure des Eisenbahntransports gegangen, und ich habe meine Unterlagen an der Fakultät für Wasserversorgung und Kanalisation eingereicht.“ Als ihr Vater im Nachhinein davon erfuhr, hat er mit ihrer Mutter geschimpft. Aber es war bereits zu spät, und so wurde Natasa Bauingenieurin.
In Leningrad, das inzwischen Sankt Petersburg heißt, lernte sie auch ihren zukünftigen Mann kennen, einen Ungarn. Sie heirateten und zogen 1984 zunächst nach Záhony an der Grenze zur Ukraine. Natasa begann im Bereich Wasserversorgung und Kanalisation zu arbeiten, allerdings nur sehr kurz. „Niemand hat mich ernst genommen, ich war 22 Jahre alt, nur Männer arbeiteten in diesem Beruf.“ Ungarisch lernte Natasa nur durch Zuhören, sie hat dafür nie einen Unterricht besucht. „Niemand hat mit mir bei der Arbeit Russisch geredet, alle nur Ungarisch, ich verstand überhaupt nichts. Nach drei Monaten ist mir ein Licht aufgegangen und ich habe selbst angefangen zu sprechen.“ Vier Jahre später kam ihre Tochter zur Welt, und sie zogen in die Hauptstadt.
Ein Ort, an dem sich Seelen treffen
Aufgrund ihrer guten Sprachkenntnisse bekam Natasa in Budapest das Angebot, als Übersetzerin bei einer Spedition zu arbeiten. Das gefiel ihr sehr gut, und sie arbeitete lange Zeit dort. Doch eines Tages begann sie, sich für kleine Bistros, Restaurants und Cafés zu begeistern. Der Gedanke, selbst so etwas zu machen, ließ sie nicht mehr los. Und so wurde Natasa stolze Eigentümerin des Matrjoska Bisztró. „Das Restaurantgeschäft ist einerseits eine schwere Arbeit, die einen sehr ermüden kann.“ Doch andererseits mache es auch viel Freude. „Ich wollte so gern, dass das hier ein Ort wird, an dem sich Menschen treffen, sich etwas erzählen, sich aneinander freuen. Dass es nicht nur ein Ort ist, wo man sich hinsetzt, isst und dann wieder geht. Mein Mann hat vor etwa einem Monat gesagt: ‚Das Matrjoska ist jetzt ein Ort, an dem sich Seelen treffen.‘ Das gefällt mir sehr. Ehrlich, das freut mich.“
Budapest ist für Natasa der ideale Ort zum Leben. Besonders angetan haben es ihr die alten Gebäude und kleinen Höfe. Auch auf der Margareteninsel gefällt es ihr gut – das viele Grün, die besonders saubere Luft. Sie liebt die Stadt und überhaupt ganz Ungarn sehr. Die Entwicklung der letzten Zeit bedauert sie: „Als ich hergekommen bin, haben die Leute nicht auf den Straßen gelebt, unter Brücken. Solche Probleme hat man damals nicht gesehen. Es war wie bei Oma im Dorf, wie die Russen sagen, alles so gut und ruhig. Es wäre schön, wenn es wieder wie früher wäre.“
Auf die Frage, ob sich Ungarn von Russen unterscheiden, erklärt Natasa zunächst, dass sie schon vor langer Zeit nach Ungarn gekommen sei und sich in der ehemaligen Sowjetunion seither viel verändert habe. Einen grundlegenden Unterschied kann sie dennoch ausmachen: „Ich denke, dass Russen – vor allem die Menschen, die in der Sowjetunion gelebt haben – einfacher sind.“ Zumindest damals seien die Menschen spontaner gewesen, man konnte auch spät am Abend einfach eine Freundin anrufen und sich treffen. In Ungarn hingegen könne man selbst bei guten Bekannten nicht einfach auf einen Besuch vorbeigehen, man müsse das im Voraus ausmachen. Es gebe verschiedene Etiketten, was sich gehöre und was nicht. Der landläufigen Meinung, dass Russen viel gastfreundlicher seien, stimmt Natasa allerdings nicht zu. Auch in Ungarn gebe es Menschen, die sehr gern Gäste zu Besuch haben.
Immer zuerst das Positive sehen
Dann spricht Natasa die aus ihrer Sicht schlechteste Eigenschaft vieler Ungarn an: „Sie beklagen sich sehr viel, und deshalb nehmen sie die Umgebung nicht richtig wahr.“ Ein Beispiel aus ihrem Leben: „Einmal bin ich die Straße entlang zur Arbeit gegangen. Es war Mai, das Wetter war schön. Ich habe einen ungarischen Bekannten getroffen, und er hat mich gefragt: ‚Warum hast du so gute Laune? Hast du etwa im Lotto gewonnen?‘ Und ich habe geantwortet: ‚Nein, einfach so.‘ Er hat das nicht verstanden.“ Wenn man sich mit Ungarn unterhalte, würden viele ein Gespräch mit ‚Das Problem ist, dass …‘ beginnen. Natasa hat dafür kein Verständnis, denn schließlich lebten die Ungarn doch in einem wunderschönen Land, in dem es alles gebe.
Man müsse zuerst die positive Seite sehen, dann erst das Negative. Natürlich sei es manchmal schwer, sich so zu verhalten, man sei auch nicht immer in der Stimmung dazu. Aber dann müsse man sich eben anstrengen. Wenn man strahle wie die Sonne, mache das das Leben besser. „Probieren Sie das aus, und sie werden Veränderungen bemerken. Dann bekommen Sie das von den anderen Leuten zurück und eines wunderschönen Tages werden Sie einfach bemerken, dass sich etwas verändert hat.“ Mit ihrem Leben ist die Mutter von drei Kindern zufrieden. Ihr zweiter Mann hat ebenfalls drei Kinder mitgebracht, und so ist ihre gemeinsame Familie ziemlich groß. „Ich denke, dass ich glücklich bin. Ich habe wunderbare Kinder, eine wunderbare Familie. Ich freue mich, dass sich die Leute freuen, wenn sie hierher kommen.“
Matrjoska Bisztró
Budapest VIII. Lőrinc pap tér 3
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