Während es der Fidesz lange Zeit meisterhaft verstanden hatte, seinen Zuspruch bei den Wählern mit geschickten Schachzügen konstant auf einem sehr hohen Niveau zu halten, greift die Partei seit vergangenem Herbst auf unerklärliche Weise häufig daneben. Vorbei sind die Zeiten von so genialen Meisterwerken der Stimmenmaximierung wie etwa der Wohnnebenkostensenkung. Das, womit der Fidesz seit letztem Herbst für Schlagzeilen sorgt, hat nichts mehr davon: Internetsteuer, Ausweitung der Autobahnmaut, flächendeckende Drogentests für Minderjährige, Sonntagsöffnungsverbot für Läden, um nur einige der schönsten Eigentore zu nennen. Mit der Einführung des mängelbehafteten EKÁER ließ der Fidesz bei seinem Antipopularitätsfeldzug nicht einmal die bisher umhegten Produktionsunternehmen aus.
Flankiert wurden all diese popularitätssenkenden Maßnahmen zu allem Überfluss auch noch durch ein ebensolches Verhalten etlicher Fidesz-Spitzenpolitiker: Ostentativ zur Schau getragener Reichtum, herrschaftliche Allüren und Luxusimmobilien, deren Finanzierung mit Blick auf die offiziellen Gehälter der neuen Besitzer zuweilen nicht so ganz zweifelsfrei geklärt werden konnte. All das sind natürlich wunderbare Mittel, wenn man sich in einem Land mit einem immer größeren Armutsproblem Wähler abspenstig machen möchte. Wenn auch nicht so massenwirksam, so sorgen aber auch die neuen Wichtigen des Fidesz mit der nassforschen Art für Widerwillen, mit der sie staatliche Institutionen umkrempeln und mit deren bisherigen Mitarbeitern umgehen. Der kalkulierte, in seiner letztendlich vollzogenen Weise dann aber völlig außer Kontrolle geratene Bruch mit dem Ex-Fidesz-Oligarchen Simicska dürfte der Popularität der Regierungspartei ebenso wenig zuträglich gewesen sein.
Die Umfragen der letzten Zeit ließen schon offenbar werden, dass immer mehr Fidesz-Wähler dem merkwürdigen Kurs ihrer Partei nicht mehr folgen können. Nun haben die Veszprémer stellvertretend für den Rest des Landes der Fidesz-Führung eine klare Rechnung ausgestellt. Mit Blick auf den eher unsympathisch wirkenden unabhängigen Wahlsieger Zoltán Kész und seine ebenso unsympathischen neoliberalen Ansichten kann davon ausgegangen werden, dass sich die Wähler in erster Linie gegen den Fidesz ausgesprochen haben und weniger für Kész oder gar die politischen Kräfte, die sich hinter ihm aufgebaut hatten. Bemerkenswert an dem Veszprémer Ergebnis ist übrigens auch, dass die rechtradikale Jobbik, die sich immer mehr als neuer Hoffnungsträger etablieren kann, jetzt nur ein relativ unspektakuläres Ergebnis einfuhr.
Nun ist die Zweidrittelmehrheit für den Fidesz erst einmal verloren. Rein faktisch gesehen keine Tragödie für die Partei. Die wesentlichen Gesetze, deren Änderung einer Zweidrittelmehrheit bedurfte, haben das Parlament wohlweislich alle schon passiert. Dennoch ist die Wahlschlappe ein herber Dämpfer für die siegesgewohnte Partei. Ein Dämpfer, der immerhin aber auch stark genug sein könnte, die Umfragewerte der Partei durch das Einleiten notwendiger struktureller und personeller Änderungen wieder zurück auf vormalige Höhen zu befördern. Drei Jahre bis zu den nächsten Parlamentswahlen sind eine ausreichend lange Zeitspanne für Nachjustierungen aller Art.
Aber Vorsicht: Ein Blick auf die vier letzten sozialistischen Jahre macht deutlich, dass Passivität und Dilettantismus aus einer Popularitätsdelle rasch eine sich immer schneller drehende und am Ende nicht mehr zu stoppende Abwärtsspirale machen können – mit dem Resultat eines Totalcrashs beziehungsweise einer Zweidrittelmehrheit für den Hauptkontrahenten. Wahr ist allerdings auch, dass die Spirale der Sozialisten ihre Dynamik erst unter den gezielten Schlägen des Fidesz gewinnen konnte. Zumindest diese Sorge muss sich Orbán angesichts des nach wie vor großen Chaos‘ auf der Linken, ihrer Zersplitterung sowie ihrer Ideen-und Konzeptlosigkeit vorerst noch nicht machen. Das Bedrohungspotenzial von Parteien, die noch nicht einmal den Mumm haben, mit eigenen Kandidaten ins Rennen zu gehen und sich hinter einem obskuren Unabhängigen verstecken, scheint im Moment eher übersichtlich.
Niemand weiß aber, wie lange sich der Fidesz noch neben den eigenen Lorbeeren (O-Ton Orbán) auch auf der Unfähigkeit seiner Herausforderer ausruhen kann. Orbán wäre im Interesse seiner Partei gut beraten, diese Zeitspanne nicht auszutesten, sondern nach dem aktuellen Wahldebakel sofort die notwendigen Schritte einzuleiten und die Partei wieder auf einen, vom Zustand der linksliberalen Opposition unabhängigen, Erfolgskurs zu führen.