„Wir haben allen Wünschen der ungarischen Seite entsprochen“, sagte der russische Präsident Wladimir Putin sichtlich entspannt bei der internationalen Pressekonferenz mit Ministerpräsident Viktor Orbán am Dienstagabend in Budapest. Wir haben die Energieversorgung der Familien und die Gasversorgung der Unternehmen in Sicherheit gebracht, hob der ungarische Premier hervor.
Mehr als zwei Stunden hatten Wladimir Putin und Viktor Orbán verhandelt, die sich anschließend noch Zeit für ein Arbeitsessen nahmen. Das Ergebnis war eine internationale Pressekonferenz im größten Einvernehmen. Zunächst stellte der ungarische Premier klar, dass Ungarn Russland, den russischen Markt und seine Energie braucht. Die Sanktionen gegen Russland hätten den internationalen Beziehungen geschadet, weshalb es nun notwendig sei, die wirtschaftliche Zusammenarbeit neuerlich zu stärken. In diesem Sinne drängte Orbán darauf, das Verhältnis der Europäischen Union zu Russland zu klären. „Russland aus Europa auszugrenzen macht keinen Sinn“, stellte er fest. Die Sicherheit der Region lässt sich nur gemeinsam mit Russland gewährleisten, und dazu müsse man verhandeln, verhandeln, verhandeln. Das hatten die beiden Staatsmänner eifrig getan, weshalb Orbán verkünden konnte, es seien hinsichtlich des langfristigen Gasliefervertrags nur noch technische Fragen zu lösen. Die Gasversorgung der Familien und der Unternehmen sei auf jeden Fall sicher.
Bislang scheiterte noch jedes Gas-Trassenprojekt
Unsere Grafik zeigt anschaulich, warum dieses Thema in Ungarn dermaßen brisant ist. Ebenso wie Finnland und die Slowakei bezieht es seine Gaslieferungen ausschließlich aus Russland. Zum Vergleich sind es in Österreich 75 Prozent und in Deutschland 43 Prozent (laut Angaben für das Jahr 2013). Die Einspeisungspunkte im Nordosten, Norden und Nordwesten des Landes würden theoretisch diversifizierte Gaslieferungen erlauben. In der Realität steht aber hinter jeder Gaslieferung, gleich ob sie über die Ukraine, die Slowakei oder Österreich eintrifft, russisches Gas.
Um diese einseitige Abhängigkeit zu lockern, forcierten einst EU-Mitgliedstaaten wie Österreich und Ungarn das Nabucco-Projekt. Über eine gigantische Trasse sollte Erdgas aus dem Raum des Kaspischen Meeres über die Türkei und die EU-Staaten Bulgarien, Rumänien und Ungarn bis nach Österreich, ins zentrale Verteilerzentrum der OMV in Baumgarten bei Wien, gepumpt werden. Dabei wurde auch von Gas aus Turkmenistan und sogar aus Ägypten, Irak, aus Israel und dem Iran geträumt. Das an der kaspischen Gasquelle sitzende Konsortium entschied sich jedoch für das TAP-Projekt, das in Süditalien endet und den Balkan mit Erdgas versorgen wird.
Der Traum von alternativen, sprich nicht-russischen Gasquellen war für Ungarn damit ausgeträumt. (Hin und wieder ist von Flüssiggasterminals in Polen und Kroatien zu hören. Ungarn könnte von jedem Projekt profitieren, das den Wettbewerb fördert, Einfluss auf Baufortschritt oder Preisbildung kann es aber ganz sicher nicht nehmen.) Deshalb setzte sich Ungarn nach dem Scheitern des Nabucco-Projekts besonders vehement für die Verwirklichung der Gaspipeline South Stream ein. Damit wäre die Abhängigkeit vom russischen Gas zwar nicht geringer geworden, handelte es sich doch um ein von Gasprom finanziertes Projekt. Man hätte aber wenigstens den Krisenherd Ukraine umgehen können. Bekanntlich führte der Dauerstreit zwischen Russland und Ukraine in den Wintern 2006 und 2009 zu Gasversorgungskrisen in Ungarn. (Beim zweiten Mal war das Land immerhin so gut gerüstet, dass es dank seiner Gasspeicher Serbien aushelfen konnte.)
Präsident Putin stellte auf der Pressekonferenz am Dienstag in Budapest klar, nicht Moskau habe das South Stream-Projekt begraben, sondern Brüssel. „Es ist nicht so, dass wir die Pläne aufgegeben hätten. Man hat uns nicht erlaubt, sie zu verwirklichen“, sagte er. Zugleich bekräftigte Putin die Bereitschaft, russisches Gas analog zur South Stream-Pipeline über die Türkei nach Europa zu bringen. Ungarn zeigt verständlicherweise vom ersten Tag an reges Interesse am „Turkish Stream“. Dazu meinte Orbán am Dienstagabend: „Was auch immer an die Stelle des gescheiterten Projekts tritt, Ungarn wird bezüglich Errichtung und Bewirtschaftung nach den Möglichkeiten einer Zusammenarbeit suchen.“
Denn es liege weiterhin im Interesse des Landes, Gaslieferungen aus südlicher Richtung anzunehmen. Für Ungarn wäre eine Route gut, die von der Türkei über Griechenland, Makedonien und Serbien führt. Der ungarische Ministerpräsident erwähnte Bulgarien erst gar nicht, Putin meinte immerhin, „wenn es sich logistisch bewerkstelligen lasse“, liefere er gerne auch Erdgas nach Bulgarien. (Sofia hatte sich auf Druck aus Brüssel beim South Stream quergestellt; als Putin das Projekt in Ankara überraschend für beendet erklärte, machte er dafür die EU und namentlich Bulgarien verantwortlich.)
Keine Fortschritte bei der Diversifizierung der Gasquellen
Ungarn tritt in Bezug auf die Diversifizierung seiner Gasquellen also weiterhin auf der Stelle. Ehe eines dieser komplexen und extrem kostspieligen Projekte endlich Realität wird, gehen Jahre ins Land. Jahre, in denen die Menschen und die Unternehmen auf Energie angewiesen sind. Die sie – das ist eine Priorität der Orbán-Politik – sicher und möglichst billig erhalten sollen. Nicht von ungefähr bekräftigte der Ministerpräsident, Russland sei praktisch ein Garant für seine Politik der sinkenden Wohnnebenkosten – sinkende Energiepreise sollen demnächst auch Unternehmen erleben können.
Die Gaspreise für ungarische Privathaushalte sind heute wieder auf dem Niveau von 2009, die Strompreise sogar auf dem Preisniveau von 2007 angelangt. Dazu muss man wissen, dass es unter den sozialistisch-liberalen Regierungen immer nur bergauf ging mit den Energietarifen. Zwischen 2004 und 2008 beispielsweise so hurtig, dass sich der Gaspreis binnen vier Jahren mehr als verdoppelte, während Strom „nur“ um ein Drittel teurer wurde. Den Rekordstand erreichten die Energietarife 2012 unter Orbán, bevor dieser von einer plötzlichen Idee geleitet eine neue Politik deklarierte und seither in drei Stufen für eine Senkung der Energiekosten von Privathaushalten um über 20 Prozent sorgte.
Paks als Unterpfand für billige Energie
Ein Unterpfand für den Fortbestand dieser Politik ist nach Ansicht des Ministerpräsidenten das Atomkraftwerk Paks. In den vier mit russischer Technologie in den 80er Jahren in Dienst gestellten Kraftwerksblöcken werden 40 Prozent des ungarischen Stroms erzeugt. Weil die Lebensdauer der Anlagen aber nicht endlos verlängert werden kann, kam im vergangenen Jahr ein „Geheimpakt“ zustande. Das Abkommen kann man getrost so nennen, denn die Partner Orbán und Putin lassen nur spärlich Informationen davon durchsickern.
Am Dienstag sprach der russische Präsident zum Beispiel davon, dass mit diesem Projekt die Energiepreise in Ungarn gesenkt werden können und nebenbei 10.000 Arbeitsplätze entstehen. Das Finanzierungsvolumen bezifferte er auf 12 Mrd. Euro, wovon Russland 80 Prozent „außerordentlich günstig“ finanzieren wird. Der staatliche Atomkonzern Rosatom gilt heutzutage als besonders aktiv bei der Errichtung neuer AKW weltweit. In Paks an der Donau sollen zwei moderne Reaktoren á 1.200 MW Leistung erbaut werden. Kritikern zufolge wird das Ungarn teuer zu stehen kommen, die Regierung behauptet genau das Gegenteil.
Eine leichtere Formel verspricht der langfristige Gasliefervertrag, der nun „flexibel verlängert“ wurde. Der vor 20 Jahren – Orbán: „Nicht durch uns!“ – abgeschlossene Vertrag sah vor, dass Ungarn vorab festgelegte Gasmengen in jedem Fall bezahlen muss. Dabei sank der Bedarf des Landes von einst rund 14 Mrd. Kubikmetern auf ungefähr die Hälfte. Obendrein purzelt der Gaspreis an den Märkten, was die fixierten Gasprom-Lieferungen zu einem Verlustgeschäft für die Ungarn macht. Laut Vertrag hätte Budapest zum Jahresende die angeblich ausstehenden Milliardenbeträge (in Euro wohlgemerkt) begleichen müssen. Diese Gefahr ist nun abgewendet – wie Putin es ausdrückte, habe man alle ungarischen Wünsche erfüllt. So wird Ungarn in den kommenden Jahren jeweils nur für das gelieferte Gas zahlen – der Preis bleibt Verschlusssache.
Huraaaaaaa, es lebe die neue Freundschaft.Oh man, ich dachte die Zeit geht nach vorne und nicht zurück.