Budapest war in den vergangenen zwei Wochen gleich zwei Mal Ziel von wichtigen Politikern. Erst Angela Merkel und nun also Wladimir Putin. Der russische Präsident war, wie auch die deutsche Kanzlerin, nur für wenige Stunden in Ungarn. Während der Besuch Merkels unter anderem dem Ziel galt, Ungarn wieder näher an die EU heranzuführen, herrscht über das Ziel der russischen Stippvisite weiterhin Unklarheit. Doch egal, mit welchem Ziel, Proteste gab es sowohl gegen als auch neben Wladimir Putin.
Vor allem der erste Weg des russischen Präsidenten lässt Viktor Orbáns Kritiker vor Wut schäumen. Denn direkt nach seiner Ankunft legte Putin erst einen Kranz am Heldenplatz nieder, um dann auch die russische Parzelle auf dem Friedhof an der Fiumei út zu besuchen. Dort gibt es nicht nur eine Gedenkstätte für die 1944 und 1945 gefallenen sowjetischen Soldaten. Jüngst aus russischem Geld renoviert finden sich nun auch wieder Obelisken mit rotem Stern auf der Spitze, die einerseits an den Volksaufstand von 1956 als „Konterrevolution“, andererseits an die Soldaten erinnern, die bei der Niederschlagung des ungarischen Freiheitskampfes gefallen sind.
Kriegsgräber und deren Instandhaltung sind nicht Aufgabe des Gastlandes, so auch nicht deren Aufschrift. Der Regierung nun die mehr als fragwürdige Aufschrift anzulasten, wäre an der Wirklichkeit vorbei. Was Regierungschef Viktor Orbán jedoch angelastet wird, ist der Empfang Putins selbst. Denn, so sehen es viele regierungskritische Kommentatoren, Viktor Orbán „spuckt sich damit selbst ins Gesicht“. Er, der einst den Abzug der Sowjets forderte, ruft sie nun wieder zurück ins Land. Dies war auch einer der Leitgedanken der Anti-Putin-Demonstration am Montagabend, bei der etwa zweitausend Teilnehmer symbolisch vom Ost- zum Westbahnhof marschierten.
„Europa! Europa!“
Márton Gulyás, einer der drei Redner, sprach davon, nicht all die „bekannten Tatsachen, wie ‘Orbán stiehlt und ist korrupt’“ wiederholen zu wollen. Stattdessen sprach er von der Schande, die auf dem ungarischen Regierungschef liege: „Orbán hielt damals im Rahmen der Neu-Beisetzung des 1956-er Ministerpräsidenten Imre Nagy eine Rede; indem er Putin nun aber die Hand reicht, stellt er sich mit denjenigen auf eine Stufe, die Nagy in einem namenlosen Grab mit dem Gesicht nach unten verscharrt haben.“ Unter den Demonstranten waren alle Altersgruppen vertreten, wobei insbesondere die Anzahl der mitgebrachten EU-Fahnen überraschte.
In der Nacht zum Dienstag befestigten Aktivisten der Partei „Dialog für Ungarn“ ein Plakat zwischen den Strängen der Kettenbrücke. Darauf zu lesen war „Paks 2 – Nein, danke!“ auf Ungarisch, Englisch und Russisch. Obwohl die Route des russischen Präsidenten über die Kettenbrücke führte, wird er die an ihn gerichtete Botschaft kaum gesehen haben. Die Polizei ließ das Riesenplakat noch in den frühen Morgenstunden entfernen. Damit war der Startschuss für eine Reihe von Aktionen gefallen. So wurde beispielsweise am Batthyányi tér gegenüber des Parlaments ein Transparent gespannt, das Putin in „Orbanistan, powered by EU?“ willkommen heißt.

Femen erreicht Budapest: „Putler kaputt“ und „Putin go at home!“ rief die Aktivistin an Putin gerichtet.
Doch die wohl aufsehenerregendste Protestkundgebung lieferte eine Femen-Aktivistin. Während die versammelte Presse auf Einlass an der Ecke der Markó utca wartete, zog die junge Frau sich ihr Oberteil aus und lüftete ihren Rock. Dort stand zu lesen „Putin go home!“, und auch verbal ließ die Aktivistin wissen, was sie vom Besuch Wladimir Putins hält. Erst beschimpfte sie Putin auf Ukrainisch und rief ihm „Go at home!“ (sic!) zu, um dann „Putler kaputt“ (Putler ist dabei ein Mix aus Hitler und Putin) zu skandieren, während sie von mehreren Polizisten in einen Minibus geschoben wurde. Dies war die erste Aktion der feministischen Gruppierung in Ungarn, die sonst vor allem in der Ukraine, Weißrussland und Russland aktiv ist. Dass der Dienstag vor allem von weiblichen Aktivisten geprägt war, zeigt eine Sympathie-Bekundung vor der russischen Botschaft. Eine Handvoll sich selbst als „russin“ bezeichnender Sympathisanten hielten Plakate mit Aufschriften wie “Russen kommt zurück!“ und „“Herzlich willkommen Präsident Putin im Land der Heiligen Stephanskrone“ hoch. Dabei schien aber unter den Anwesenden keineswegs Einigkeit zu herrschen. Während eine Dame in fokloristischer Tracht sich die Rückkehr der russischen Soldaten wünschte, wollte ein älterer Herr, der sich laut dem Nachrichtenportal index.hu selbst als stellvertretender Vorsitzender der russinen Minderheit vorstellte, nur Frieden.
Absperrungen, Vollsperrungen und kein Durchkommen
Ähnlich wie beim Besuch von Bundeskanzlerin Merkel zwei Wochen zuvor waren auch beim Besuch Putins weite Teile der Stadt abgesperrt. Dabei machte den Budapestern vor allem die Verzögerung des präsidialen Programms zu schaffen. Denn in insgesamt 14 Stadtteilen gab es Teil- und Komplettsperrungen. Erst am Abend nach 21 Uhr waren wieder alle Straßen befahrbar. Und während alle fünf Flugzeuge, mit denen Wladimir Putin angereist war, mit dem russischen Präsidenten an Bord wieder aus Budapest abflogen, inklusive seiner schusssicheren Limousine, blieb Ungarn mit der Frage zurück, die auch ein außenpolitischer Analyst im Scherz auf Facebook stellte: „Das war´s? Ungarn war wirklich nicht mehr als eine Bio-Kulisse für einen Auftritt Putins in einem Nato-Land?“
Ist es nicht ein Witz, dass heute Leute Putin und Russland für die Niederschlagung des Volksaufstandes von 1956 verantwortlich machen, deren Väter und Großväter damals auf der Seite der Sowjets waren? Maria Wittner und andere Freiheitskämpfer von 1956 hingegen stehen heute auf der Seite von Orbáns Russland-Politik. Sicherlich hat Russland noch viel geschichtliche und kulturelle Aufarbeitung vor sich, aber Russland ist ebensowenig 1zu1 identisch mit der Sowjetunion wie die BRD mit dem Dritten Reich.
pS. mich haben nicht die EU-Fahnen der Demonstranten überrascht, sondern das einige von ihnen ungarische dabei hatten.