Die Zentrale des Automobilzulieferers Poppe + Potthoff befindet sich im nordrheinwestfälischen Werther. Die Firma ist insgesamt in 14 Ländern präsent und beschäftigt 1.800 Mitarbeiter. Die 2002 im westungarischen Ajka gegründete Poppe + Potthoff Hungária Kft. ist inzwischen die größte Tochtergesellschaft. Von Anfang an wird sie von László Gellén geleitet. Im BZ-Interview äußert er sich zu den vielfältigen Problemen seiner Branche.
Poppe + Potthoff beschäftigt sich mit der Herstellung von kaltgezogenen, nahtlosen Präzisionsrohren, die bereits früh in der Baubranche und im Maschinenbau Anwendung fanden. Inzwischen kommen sie auch zunehmend in der Automobilindustrie zum Einsatz. Mit der Produktion von Druckrohrsystemen für Dieselautos, insbesondere von sogenannten Hochdruckverteilerleisten (Common Rail), begann 1999 ein entscheidender neuer Entwicklungsabschnitt der Firma. Nach dem Produktionsstart in Deutschland fiel 2001 die Entscheidung, die neuen Produkte aus Kosten- und Kapazitätsgründen auch an einem Auslandsstandort zu produzieren.
Von 80 auf 420 Mitarbeiter
Unter den Ländern der Region entschied man sich schließlich – nach den Worten von Gellén auch wegen der engen historischen Beziehungen – für Ungarn. Ein weiterer Pluspunkt für Ungarn war die Tatsache, dass der Kunde Audi bereits vor Ort war. Dass die Wahl schließlich auf Ajka fiel, lag an der guten Verkehrsinfrastruktur und den vielen vor Ort vorhandenen Deutsch sprechenden Arbeitskräften. Außerdem verfügte Ajka über einen industriellen Hintergrund. Ein weiterer Pluspunkt war die dreijährige Befreiung von der Gewerbesteuer. Gefragt, ob der fehlende Autobahnanschluss kein Problem sei, entgegnet Gellén: „Die Entfernung zur nächsten Autobahn ist für unsere Zwecke akzeptabel. Klar hätte sich unsere Firma auch etwa in Győr ansiedeln können. Dort hätte es aber sicher Probleme mit der Arbeitskräfteversorgung gegeben.“
Im Sommer 2002 begannen die Bauarbeiten für die neue Fabrik, bereits ein halbes Jahr später konnte der neue Standort liefern. Von Anfang an, genauer gesagt seit Mai 2002, ist Gellén für die Geschicke der Firma verantwortlich. Als einer von zwei Geschäftsführern ist er für den kaufmännischen Teil des inzwischen auf 420 Mitarbeiter gewachsenen Betriebs verantwortlich. Zum Vergleich: Am Ende des ersten vollen Geschäftsjahres, also 2003, waren erst 80 Mitarbeiter bei der Firma beschäftigt.
Die Wirtschaftskrise sorgte für einen Bruch
Bis 2007 ging die Entwicklung stetig voran. Dann aber setzte mit der Weltwirtschaftskrise eine Periode der Herausforderungen ein. „Ein großer Bruch unserer Firmengeschichte“, so Gellen rückblickend. 2008, auf dem Höhepunkt der Krise, brachen 70-80 Prozent der Bestellungen weg, was Entlassungen nach sich zog.
Erst ab 2010 setzte wieder ein moderates Wachstum ein. Dies hatte insbesondere zwei Gründe. Zum einen die erfolgreiche Kundenakquisition, die die Auftragsbücher mit Bestellungen von Daimler, BMW, Renault, Caterpillar und anderen Firmen füllte, aber auch mit der strategischen Entscheidung der Mutterfirma, ihren neuerlichen Kapazitätsausbau nicht in Deutschland, sondern in Ungarn zu verwirklichen. Auch eine Ausweitung des Produktportfolios machte sich schließlich noch positiv bemerkbar: Seit September 2014 werden bei Poppe + Potthoff in Ajka auch lange Rohre produziert, die zu 85 Prozent ins Ausland, vor allem nach Fernost exportiert und dort weiterverarbeitet werden. 80 der 420 Mitarbeiter sind heute in diesem Bereich tätig. Man sei aber nie eine „verlängerte Werkbank“ für Deutschland gewesen, so der Geschäftsführer; man habe die Kunden immer direkt beliefert und an diese fakturiert.
Kurzzeitig gab es auch die Überlegung, in Ajka eine Entwicklungsabteilung einzurichten. Eine Sondierung der Arbeitskräftesituation ließ die Firmenleitung von diesem Plan aber wieder Abstand nehmen. Zu stark sei bei Ingenieuren die „Sogwirkung“ von Győr und Veszprém, aber auch des Auslands gewesen.
Gefragt nach den Entwicklungsperspektiven für die Fabrik in Ajka rechnet Gellén damit, dass man vermutlich auf dem Gebiet der Rohrproduktion für LKW wachsen werde. Zwar werde bei PKW der Anteil an Dieselmotoren in Zukunft leicht zurückgehen, dennoch wolle man auch in diesem Segment wachsen. Es gebe zudem weitere Ideen für neue Produktreihen, etwa für Antriebskomponenten.
Arbeitskräfteangebot setzt Entwicklung Grenzen
Doch auch bei diesen Themen setzt die Arbeitskräftesituation immer wieder Grenzen. Gegenwärtig sei es nicht nur schwierig, Ingenieure, sondern auch Maschinenführer zu finden. In den vergangenen Monaten hätte man wieder einige Mitarbeiter ans Ausland verloren, wo diese jetzt zwar nicht entsprechend ihrer Qualifikation arbeiten, dafür aber deutlich mehr Gehalt erhalten würden. „Obwohl wir in Ajka die am besten bezahlende Firma sind, leiden wir sehr unter der Abwanderung“, klagt Gellén. Die Fluktuationsrate liege inzwischen bei 30 Prozent. Nachschub für die vakanten Positionen gibt es in erster Linie durch Abwerbung von Arbeitskräften von anderen Firmen aus dem Umfeld. Um, so wie einige Großunternehmen, das Arbeitskräftepotential in Ostungarn und der Slowakei nutzen zu können, würden der Firma die Möglichkeiten fehlen.
Eine auf der Hand liegende nachhaltige Lösung wäre es zwar, die Löhne spürbar anzuheben, allerdings würde hier wiederum der Kostendruck seitens der Auftraggeber starke Grenzen setzen. Nicht von ungefähr sieht Gellén daher die reale Gefahr, dass Zulieferer wie seine Firma in der Zukunft mit immer größeren Herausforderungen zu tun bekommen werden. Bereits beim EU-Beitritt 2004 habe man die Probleme bezüglich der Lohnschere in Ungarn und der daraus resultierenden Abwanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte vorhergesehen. Von einer Lösung sei man nach wie vor weit entfernt.
Änderungen bei der Bildungspolitik nötig
Gellén sieht auf dem Arbeitsmarkt aber nicht nur bei der Quantität ein Problem, sondern auch bei der Qualität, also bei der Qualifikation der Arbeitskräfte. „Um hier etwas zu verbessern, müsste man einiges bei der Bildungspolitik ändern und dieser nicht ständig das Kapital entziehen“, ist der Geschäftsführer überzeugt. Kein Verständnis hat er auch dafür, dass noch immer Fachkräfte ohne ausreichende IT-Kenntnisse ausgebildet würden. „Statt auf ein Arbeitsleben an CNC-Maschinen vorbereitet zu werden, lernen Azubis noch immer nur drehen und fräsen.“ Solche Arbeiten würden aber zunehmend in Länder mit einem noch günstigeren Lohnniveau abwandern. Während also bei den einfacheren Arbeiten langsam die Aufträge abwandern, fehle für die Abdeckung von höherwertigen Aufgaben zunehmend das Personal. „Auf die Dauer kann das nicht gutgehen.“
Zum Stichwort duale Berufsausbildung merkt Gellén zwar an, dass seine Firma offen für Praktika und Ausbildungsmaßnahmen wäre. Das Problem sei jedoch, dass die Azubis nicht wie in Deutschland im zweiwöchigen Wechsel in den Betrieb und in die Schule kämen, sondern beim derzeitigen System noch immer nur insgesamt zwei Wochen pro Jahr im Betrieb verbringen würden. Eine echte duale Ausbildung finde nur bei Großfirmen statt. Auch die Idee von einer marktgerechten Ausbildung konnte bisher nicht optimal durchgesetzt werden.
Schwierigkeiten im Alltag eines Automotive-Zulieferer
Heutzutage ist es nicht leicht, Automotive-Zulieferer zu sein. Als allgemeine Geschäftspraxis scheint sich immer mehr durchzusetzen, die Preise der Zulieferer auf deren Existenzminimum zu drücken, ihnen also praktisch jeden Spielraum für eine nachhaltige Entwicklung zu nehmen.
„Viele große Unternehmen verfügen inzwischen sogar über ein Nothilfebudget, das immer dann zum Einsatz kommt, wenn die Gefahr besteht, dass einem Zulieferer die Luft ausgeht. Könnten sich daraus Lieferengpässe ergeben, dann wird beim Preis etwas zu dessen Gunsten nachgebessert.“ Auch von anderen, nicht gerade verlockenden Geschäftspraktiken, insbesondere im Automotive-Bereich, weiß Gellén zu berichten. So habe er es bereits mehrfach erlebt, dass Auftraggeber von ihren Zulieferern zusätzliche Preisnachlässe bei bereits bestehenden Bestellungen einfordern würden, um an zusätzliche Aufträge zu kommen.
„Die geschäftliche Korrektheit scheint nicht überall oberstes Gebot zu sein“
„Automotive-Zulieferer zu sein, ist eine schöne aber auch eine große Herausforderung“, fasst Gellén zusammen. Die geschäftliche Korrektheit scheint leider nicht überall oberstes Gebot zu sein. Vom Interesse an einer langjährigen nachhaltigen Zusammenarbeit sei immer weniger zu spüren. Bei neuen Projekten falle etwa die bisher bewiesene Liefertreue und Produktqualität immer weniger ins Gewicht. Immer mehr gehe es nur um den Preis. Ein neuer Trend sei, dass die Auftraggeber eine detaillierte Aufschlüsselung der einzelnen Posten verlangten. „Sie schauen sich dann jeden Posten auf der Suche nach möglichen Preisreduzierungen an.“ Während sie selbst natürlich ordentliche Gewinne anstreben, die sie ihren Aktionären vermelden können, betrachten sie Gewinne bei uns als etwas Unanständiges, als etwas, dass vermieden werden müsse. „Ein ewiges Katz- und Maus- Spiel.“
Fehlende Berechenbarkeit
Mit Unsicherheit habe er zuweilen allerdings auch auf Staatsseite zu kämpfen. Die kurzfristig eingeführten Gesetzesänderungen wie etwa EKÁER geben den Zulieferern zusätzliche Aufgaben: „Für uns bedeutet allein EKÁER mindestens zwei zusätzliche Mitarbeiter, zudem ist es nicht einfach, von unseren Abnehmern die dazu nötigen Informationen zu beschaffen. Von einigen Kunden habe man bereits konkret erfahren, dass sie hier nicht mitmachen werden. „Es ist fast jedes Jahr dasselbe: Steuergesetze werden am Jahresende geändert und treten gleich zu Jahresanfang in Kraft“, klagt er. Genauso wie die Cafeteria-Besteuerung, die bisher ganz einfach mit einer Excel-Tabelle gelöst werden konnte, nun aber unnötig verkompliziert wurde. „Den Entscheidern fehlt es offenbar an Praxiserfahrung. Nur so kan sich die unheimliche Kurzfristigkeit bei der Einführung von Änderungen erklären.“
Um die jetzige gute Position von Ungarn als Automotive-Standort beizubehalten und sogar noch ausbauen zu können, müsse neben einer Verbesserung der Berechenbarkeit auch deutlich mehr für eine praxisnahe Ausbildung getan werden. Ebenso für die Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen. „In den vergangenen zwölf Jahren haben wir viele wertvolle Lektionen vom Staat und von unseren Kunden bekommen“, fasst Gellén zusammen. Diese Erfahrungen wolle er auch in der Zukunft so verwenden und einsetzen, dass seine Firma weiterhin erfolgreich als Automotive-Zulieferer arbeiten und damit die ungarische Wirtschaft vorantreiben könne.