Die Schlacht um Budapest fand vor 70 Jahren ihr Ende. Die Erinnerung an dieses historisch bedeutsame Ereignis bleibt fast vollkommen denjenigen überlassen, die die Schlacht selbst überhaupt nicht erlebt haben. Und die Überlebenden, die noch persönliche Erinnerungen haben, sind heute bereits hoch betagt. Die Erinnerungskultur in Bezug auf ein historisches Ereignis kann einem gewaltigen Wandel unterworfen sein. Ein Beispiel hierfür ist die Erinnerung an die Schlacht um Budapest. Hier hat das Geschichtsbild in den letzten 25 Jahren eine Veränderung um fast 180 Grad erfahren.
Die Erinnerung an die Belagerung von Budapest war bis zum Jahr 1990 durch einen strengen Kanon geprägt. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich noch gut an die Zeit, als die Schüler bei Schulfesten die obligatorischen Geschichten aufsagten: über das humane Verhalten der sowjetischen Soldaten, die – abgesehen von ihren Armbanduhren – fast alles verteilten, und über die Schreckenstaten der Faschisten. Die sich liberalisierende Diktatur erlaubte es dann 1986 zwar, dass der in der Schweiz lebende Historiker Péter Gosztonyi im Budapester Kossuth-Klub einen Vortrag halten konnte, in dem er der These von der „Befreiung“ widerspach. Derartige Veranstaltungen galten damals allerdings als Ausnahme.
„Befreiung“ versus „Besetzung“
Derjenige Teil der Budapester Bevölkerung, der die Belagerung durchlebte, bewertete ihre Folgen gemäß einer ziemlich breiten Skala. Für diejenigen, deren Leben die sowjetischen Soldaten retteten, bedeutete 1945 aus emotionalen Gründen in erster Linie eine Befreiung. Diejenigen, die nicht zu dieser Gruppe gehörten, benutzten für die Ereignisse – ganz entsprechend ihres Temperaments – die Begriffe „Befreiung“, „Besetzung“ oder „bolschewistischen Terror“. Die letztgenannten beiden Bezeichnungen waren bis 1990 in der Öffentlichkeit natürlich verpönt.
Interessanterweise änderte der Systemwechsel im Jahr 1989 lange Zeit nicht viel daran. Alle politischen Parteien feierten auch weiterhin die „Befreiung“ Budapests. Ein Unterschied bestand bestenfalls darin, dass die Liberalen und die Anhänger des konservativen Ungarischen Demokratischen Forums (MDF) auch den Folgen der sowjetischen Besatzung breiteren Raum einräumten, bzw. darin, dass an den „Kastaniengärtenfeiern“, welche die Sozialistische Partei zum Gedenken an die Befreiung abhielt, die anderen Parteien nicht teilnehmen wollten.
Noch im Jahr 1995 führte es zu einem Skandal, als das Ungarische Fernsehen die ersten Teile der Filmreihe „Belagerungstage“, die mein Vater und ich redigiert hatten und die 52 Tage lang täglich für fünf Minuten in der Hauptsendezeit gesendet wurden, ausstrahlte. Irgendjemand schwärzte die Filmemacher bereits nach der dritten Sendung beim Chef des Ungarischen Fernsehens an, und beim übermäßig pessimistischen Tonfall des letzten Teils war dann sogar eine Korrektur notwendig. Und im selben Jahr wies der Filmregisseur István Szabó bei einer Fernsehdiskussion die Feststellung, Budapest sei von den sowjetischen Truppen nicht befreit worden, mit ziemlicher Vehemenz zurück.
„Die Schlacht um Budapest“ gab einen weiteren Anstoß
Einige Jahre später löste der Zweifel an der Befreiung von Budapest allerdings keine extremen Gefühle mehr aus. Als 1998 meine Monografie mit dem Titel „Die Schlacht um Budapest“ erschien, würdigte die gesamte ungarische Presse, von der rechtskonservativen Zeitschrift Demokrata bis zur linksliberalen Tageszeitung Népszabadság, den Band begeistert – jeder natürlich einen anderen Teil.
Bereits ein Jahr vor dem Erscheinen meines Buches hatte sich aber auch eine neue rechtsradikale Deutung offenbart, die damals aber noch keine allgemeine Aufmerksamkeit erfuhr. Die Organisation „Ungarische Nationale Front“ organisierte in jenem Jahr mit ein paar Dutzend Teilnehmern erstmals den „Tag der Ehre“. Laut ihrer Interpretation war der Ausbruch aus dem Budapester Kessel eine Heldentat, die – im Zeichen des SS-Wahlspruchs „Meine Ehre heißt Treue“ – ein Beispiel für militärische Tugend und für den Antikommunismus war. Die Teilnehmer wählten die Kapisztrán-Statue vor dem Militärgeschichtlichen Museum auf der Budaer Burg als Schauplatz ihrer Feierlichkeiten, und zwar ganz offensichtlich deshalb, weil sie damit auch die Sinndeutung von Budapest als „Bastei des Westens gegen den Bolschewismus“ unterstreichen wollten.
Es ist vielleicht nicht ganz zufällig, dass dieses Symbolobjekt auch eine andere Bedeutung hat: Kapisztrán kämpfte nämlich nicht nur in der Schlacht von Belgrad gegen die Heiden (es ist anzumerken, dass er mit seinen Aktionen den Erfolg des ungarischen Heeres ernsthaft gefährdete), sondern der notorische Antisemit hatte zuvor als Inquisitor auch mehrere Hundert Juden verbrennen lassen. Dass die Wahl von Kapisztrán kein Zufall gewesen sein kann, beweist auch die Tatsache, dass es viele andere Orte gibt, die als Erinnerungsort mit antikommunistischem Geist symbolisch geeignet gewesen wären: das Wiener Tor, ein Sammelpunkt des Ausbruchs vom Februar 1945, der Ausgang des Teufelsgrabens (Ördögárok) oder das sogenannte Blutfeld (Vérmező), dem letzten Flugplatz der eingeschlossenen Truppen, sind als Orte authentischer als der Platz vor dem Militärgeschichtlichen Museum, wo während der Belagerung beziehungsweise dem Ausbruch nichts Wesentliches geschah.
Die Kranzniederlegungen der Neonazis erweckten erstmals 1999 Aufmerksamkeit, als nach der Erinnerungsfeier im Wiking-Klub eine Schlägerei zwischen der Polizei, die die Personalpapiere der Teilnehmer verlangte, und Skinheads ausbrach. Mehrere der Skinheads erhielten damals eine Gefängnisstrafe. Von da an erfolgte dann bis zum Jahr 2003 keinerlei Gedenkveranstaltung mehr vor der Kapisztrán-Statue (auch deshalb, weil das Militärgeschichtliche Museum den Bereich frühzeitig gemeinsam mit der Selbstverwaltung des I. Bezirks für eine eigene Veranstaltung zu diesem Thema reservierte).
Gedenken erfährt politische Aufladung
Allem Anschein nach konnten die politischen Parteien auch weiterhin nichts mit der Erinnerung an die Belagerung von Budapest anfangen. Die Sozialisten hielten an den antifaschistischen Traditionen fest und hüteten sich davor, auszusprechen, dass die Geschehnisse im politischen Sinne nicht als Befreiung bezeichnet werden können. Der Fidesz wollte nach dem Prinzip „ein Lager, eine Fahne“ nicht mit einer eigenen Botschaft hervortreten, weil dies die Ausweitung der Wählerbasis gefährdet hätte. Zu diesem Zweck unternahm ein Teil der Fidesz-Presse – wie beispielsweise die Wochenzeitschrift Demokrata – vielmehr den Versuch, der extremen Rechten das Wasser abzugraben, indem sie selbst eine Erinnerungskultur mit rechtsradikalem Inhalt verbreitete. Ein Beispiel hierfür ist eine Ausgabe der Zeitschrift vom Februar 2005, auf deren Titelblatt nur so viel stand: „Sie waren Helden Europas“.
Darunter verstand die Zeitung neben der königlich ungarischen Honvéd-Armee die Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS. Die Frage, ob auch die Parteigänger der Pfeilkreuzler hierzu gehören, wurde absichtlich offen gehalten und die in der Stadt von Ungarn begangenen Massenmorde wurden mit keinem Wort erwähnt, man erachtete es aber als wichtig, das barbarische Verhalten der sowjetischen Soldaten detailliert darzulegen.
„Tote Helden“ und ermordete Juden
Im selben Jahr wurde im XII. Budapester Bezirk eine Turul-Statue eingeweiht. Am Sockel der Skulptur sind die Namen der „toten Helden“ des Bezirks zu sehen. Der Ausdruck muss in Anführungszeichen gesetzt werden, da ein bedeutender Teil der aufgeführten Personen (etwa 300 Menschen) deshalb zu Tode kam, weil sie gebürtige Juden waren und ein Teil ihrer ungarischen Landsleute dies als ausreichend ansah, sie zu ermorden. Da sich der Notar des XII. Bezirk weigerte, nähere Angaben zu den auf dem Sockel der Skulptur verzeichneten Namen zu machen, wissen wir nicht einmal, ob die Massenmörder aus den Reihen der Pfeilkreuzler des Bezirks, die später zum Tode verurteilt wurden oder während der Belagerung starben, hier als „tote Helden“ betrachtet werden.
Wir müssen hinzufügen, dass der Anteil der ermordeten Juden vermutlich 30 bis 50 Prozent aller Opfer aus der Bevölkerung des Bezirks ausmacht. Es war ebenfalls der XII. Bezirk, der am Jüdischen Krankenhaus in der Városmajor-Straße eine Gedenktafel für die dort Ermordeten aufstellen ließ. Auf der Tafel fehlt allerdings der Hinweis, wie die Opfer umgekommen waren (es steht dort nur so viel, dass sie „ihr Leben verloren“ hätten). Es gibt keine Angaben über die Täter (die Pfeilkreuzler), auch die Zahl der Opfer (149 Menschen) wird nicht aufgeführt. Dafür aber wurden die Informationen über die Religion bzw. Herkunft der Opfer gefälscht: Es wurden nämlich nicht nur Juden ermordet, sondern es traf auch ihr christliches Pflegepersonal. Dies kann nebensächlich erscheinen, ist es aber nicht, denn die Pietätstafel hätte die Aufgabe gehabt, die Geschehnisse zu einer Sache der gemeinsamen Trauer zu machen – und nicht nur zu einer Sache der Juden.
Eine andere nicht weniger eigentümliche Lösung der Erinnerung ist die Methode des vollständigen Verbots. Dies geschieht am deutschen Militärfriedhof von Budaörs, der vom 11. bis 13. Februar geschlossen ist. Damit wird jedermann die Pietätsbezeugung unmöglich gemacht. Man kann dies schwerlich anders bezeichnen als eine Unmenschlichkeit, auch dann, wenn es sicherlich kein erfreulicher Anblick ist, wenn Neonazis auf einem Friedhof Veranstaltungen abhalten. (In einem Rechtsstaat sollte dies möglich sein, zumindest, solange keine Gesetze offen verletzt werden.)
Zivile Initiativen füllen staatliches Vakuum
Die Politik folgte aber doch aktuellen politischen Gesichtspunkten, die ungeeignet waren, die Erinnerung an die Belagerung zu pflegen. So gelangte die ganze Angelegenheit in einen luftleeren Raum. Und damit hängen auch die zivilen Initiativen zusammen, die wir immer häufiger antreffen können.
Unter diesen ist die „Ausbruchstour“, die seit 2005 von der Aktionsgruppe Börzsöny organisiert wird, die Bekannteste. Diese bringt mittlerweile bereits eine Teilnehmerzahl in der Größenordnung von tausend Personen in Bewegung. Ein Teil der Aktion kann mit einem gewissen Humor betrachtet werden: An den einzelnen Kontrollpunkten der Leistungstour werden die Dokumente der Teilnehmer von Personen in zeitgenössischen deutschen, ungarischen und russischen Uniformen gestempelt. Die Teilnehmer können Touren über drei Distanzen absolvieren und erhalten dann einen Aufnäher. Für eine zehnmalige Leistungserfüllung erhalten sie eine Kopie des Eisernen Kreuzes zweiter Klasse.
Die dazu dienende ideologische Garnierung ist allerdings nicht mehr ganz so witzig. Laut der Homepage der Aktionsgruppe ist es ihr Ziel, „jedes Jahr im Februar jenen ungarischen und deutschen Soldaten zu gedenken, die im Zweiten Weltkrieg zweieinhalb Monate lang Budapest – und damit Westeuropa – heldenhaft gegen die bolschewistische Rote Armee verteidigten. Da sich Weihnachten 1944 der sowjetische Belagerungsring um die Burg schloss, wählten die Verteidiger der ‚Festung Europa‘ anstelle der Kapitulation – treu ihrem Schwur – am 11. Februar 1945 den Ausbruch…“
Die Tourenbeschreibung verweist zwar auf die Politikfreiheit der Veranstaltung, der Text der Organisatoren hat aber doch einen politischen „Pferdefuß“. Anders ist es nämlich nicht zu erklären, dass es im Fall der Roten Armee für notwendig erachtet wird, politische Attribute zu verwenden, im Falle der deutschen und ungarischen Truppen wird hingegen davon abgesehen.
Die unreflektierte Verwendung von „Heldentum“ wäre noch kein großes Problem, wenn all dies nicht mit einer eindeutig positiven Tat verbunden wäre, nämlich mit der Verteidigung Westeuropas. So aber spiegelt es nur eine Halbwahrheit wider, denn die Verteidigung bedeutete zugleich auch eine Verlängerung der völkischen Vernichtungspolitik Nazideutschlands und der ungarischen Pfeilkreuzler-Herrschaft. Und die Behauptung, dass die Kapitulation ein kampfloses Abschlachten bedeutet hätte, ist einfach falsch. Gerade der Ausbruch wurde für die sowjetischen Truppen zu einer Kriegsoperation nach Art eines Tontaubenschießens. Dies beweisen auch die deutschen Verlustzahlen (etwa 20.000 Tote innerhalb von drei Tagen).
Mit der immer lebendigeren Erinnerung an den Ausbruch hängt zusammen, dass die Soldatengräber in den Budaer Bergen immer besser gepflegt werden und dass es gar einige Leute gibt, die in den im Sommer 1944 ausgehobenen, aber nie verwendeten Schützengräben, die in der Gegend zu finden sind, die damaligen Kampfhandlungen nachspielen. In Hidegkút wurde selbst eine Erinnerungstafel für die Opfer des Ausbruchs aufgestellt. All dies sind aber nur lokale Initiativen und nur die Privatsache einiger enthusiastischer Amateure.
Konsenslösung wartet noch immer auf eine Realisierung
Ein konsensschaffender Versuch ging interessanterweise von einigen überlebenden Budapester Juden aus. Sie möchten am Széna-Platz, dem Ort des Todes des beim Ausbruch gefallenen Generalmajors Gerhard Schmidhuber, dem Retter des Budapester Gettos, eine Gedenktafel aufstellen. Ein deutscher General, der dem Nazismus fern stand und der – zusammen mit vielen Kameraden – unter unwürdigen Umständen an dem heute verkehrsreichsten Punkt der Stadt zu Tode kam, wäre sicherlich eine geeignete Person, damit auch Menschen mit unterschiedlichen Ansichten an seinem symbolischen Grab Kränze ihrer Pietätsbezeugung ablegen könnten. Interessanterweise ist bisher – obwohl selbst das Yad-Vashem-Institut in Israel die diesbezüglichen Fakten nicht infrage stellt – keine politische Seite gewillt, diese Initiative aufzugreifen.
Das einzige verwirklichte und in jeder Hinsicht würdige Gedenken an die Geschehnisse von damals ist übrigens ebenfalls mit dem Széna-Platz verbunden. In dem Album der Musiker Tamás Cseh und Géza Bereményi von 1997 gibt es ein Lied mit dem Titel „Széna-Platz“, das den namenlosen ungarischen und deutschen Opfern der Belagerung ein Andenken setzt. Es ist ein Andenken, das an ihren sinnlosen und unwürdigen Untergang erinnert. Ein Erinnerungsort, der ein würdiges Gedenken an alle ungarischen und deutschen Opfer der Belagerung ermöglichen würde, lässt jedoch bis auf den heutigen Tag auf sich warten.
Übersetzung aus dem Ungarischen von Andreas Schmidt-Schweizer