Die Schlagzeilen scheinen immer die Gleichen: Der Staat schluckt das Spitzeninstitut des Sparkassensektors (Takarékbank), schluckt MKB und BB, und steigt nun auch noch bei der Ersten Bank ein. Dabei ist am Montag etwas geschehen, was den Eigentumserwerb eigentlich in den Schatten stellen müsste. Hat Viktor Orbán mit dem Präsidenten der Osteuropabank EBRD einen Friedensschluss signiert?
Es ist ein Memorandum of Understanding, eine Absichtserklärung, die das Regierungsportal kormany.hu beinahe verschämt und ausschließlich in englischer Sprache als Dokumentenanhang veröffentlichte. Während alle Welt damit beschäftigt war, den Einstieg des ungarischen Staates in das Ungarngeschäft der Ersten Bank aufzuarbeiten. Oder zumindest alle Welt damit beschäftigt sein sollte, verlor Premier Viktor Orbán doch kein Wort an die Absichtserklärung. Ganz so war es aber auch wieder nicht, denn eine sehr wesentliche Aussage teilte er den Medien durchaus mit, nämlich dass die Bankensondersteuer ab 2016 drastisch gesenkt wird. Auf Nachfrage verriet der Ministerpräsident auch eine konkrete Zahl: Der Staat werde allein 2016 auf 60 Mrd. Forint (knapp 200 Mio. Euro) aus der Sondersteuer verzichten. Das genügte, um die Börsianer in einen Rausch zu versetzen. Der Branchenkrösus OTP Bank korrigierte aus einem Stimmungstief binnen Stunden um zehn Prozentpunkte, das Kontraktvolumen vervielfachte sich. Die Anleger besaßen plötzlich handfeste Argumente für den Kauf von Bankaktien. In der besagten Absichtserklärung hatte sich die Regierung nämlich zu allerhand Dingen verpflichtet.
Keine weiteren Maßnahmen, die negativ für die Banken wären
Der ungarische Staat wird demnach das Streben aufgeben, Mehrheitsanteile an Geldinstituten zu erwerben. (Die Ausnahme dürfen Fälle bilden, wo es mal wieder Pleitebanken zu retten gilt, sofern ohne dieses Eingreifen des Staates die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes gefährdet wäre.) Bekräftigt wurde die bereits früher angedeutete Absicht, die heute bestehenden Mehrheitsanteile an Banken innerhalb von drei Jahren zu privatisieren. Weitere Verpflichtungen werden in Durchführungsverordnungen zu sektorspezifischen Gesetzen Gestalt annehmen. So wird die Umwandlung der Fremdwährungskredite in Forint so vonstatten gehen, dass Wechselkursrisiken nicht auf andere Geldinstitute umgelegt werden dürfen. Entschlüsselt bedeutet diese juristische Formulierung für die Banken, dass die den Hypothekenkreditnehmern per Gesetz gewährten Vorteile anderen Schuldnern nicht zukommen dürfen. Es ist zwar keine Neuigkeit, dass die Regierung jene im Stich lässt, die den Ratenkauf eines Autos in Schweizer Franken finanzierten und später erleben mussten, was Wucher ist. In schriftlicher Form niedergelegt hatte die Politik diese Absage aber noch nicht. Und weiter geht es mit Verpflichtungen, deren Absicht die Regierung dokumentieren ließ.
So will man sich im Umgang mit den faulen Krediten der internationalen „Best Practice“ unterwerfen. Das verspricht Transparenz und marktkonforme Lösungen, was wiederum den Banken zugute kommt. Moratorien zur Verhinderung von Zwangsversteigerungen sind beispielsweise kaum als marktkonform anzusehen. Die Übernahme problematischer Immobilien durch den Staat scheint hingegen in dieses Schema zu passen. Ganz in diesem Sinne wird die vom kleinen Regierungspartner KDNP forcierte Einführung der Privatinsolvenz für Familien nicht ohne Absprache mit dem Bankenverband, vor allem aber nicht ohne seine Unterstützung (!) geschehen können. Die Regierung wird im weiteren Verlauf keine Maßnahmen ergreifen, die sich negativ auf die Profitrate des Bankensektors auswirken können. Als Ausnahme wird hier die Implementierung von EU-Vorgaben angeführt, was sich in einem EU-Mitgliedstaat von selbst versteht. Von diesem Selbstverständnis abgesehen sollte man sich den vorigen Satz auf der Zunge zergehen lassen. Außerdem verspricht die Regierung den Marktakteuren einen korrekten Wettbewerb und Gleichbehandlung!
Bankensondersteuer wird in drei Stufen gesenkt
Schließlich ist recht konkret von der Art und Weise zu lesen, wie die Bankensondersteuer gesenkt wird. Der bis heute auf die Bilanzsumme von 2009 bezogene Schlüssel von 0,53 Prozent wird Anfang 2016 auf 0,31 Prozent gesenkt, wobei die Steuerbemessungsgrundlage dann die Bilanzsumme von Ende 2014 sein wird. Auch das ist eine wesentliche Veränderung, waren die Bilanzen durch den Kreditboom vor der Krise doch reichlich aufgebläht worden. Abgesehen von den katastrophalen Auswirkungen der Krise hatten Eingriffe der Regierung wie die Schlusstilgung von Fremdwährungskrediten willkürlich für beschleunigt schrumpfende Bilanzen gesorgt. Der Ballast der mit Bezug auf 2009 festgelegten Sondersteuer drückte die Banken mehr und mehr in die roten Zahlen. In diesem Jahr wird der Sektor mit schätzungsweise 150 Mrd. Forint (480 Mio. Euro) belastet, die sich laut Orbáns Worten also 2016 beinahe halbieren werden. Doch damit nicht genug, wird der Schlüssel Anfang 2017 weiter auf 0,21 Prozent verringert. Dieser Sondersteuersatz wird dann zwei Jahre lang gelten, bevor Ungarn ab 2019 bereit ist, die Bankensondersteuer den EU-Normen anzupassen. Das sind also jede Menge Absichten, die im Falle der modifizierten Bankensondersteuer immerhin bis Juni als Rechtsnorm vorliegen sollen.
EBRD soll das Eis brechen
Und was geschah nun gleich noch am Montag? Abgesehen von der Unterzeichnung eines Dokuments, das 80 Prozent der Bürger dieses Landes gar nicht lesen, geschweige denn verstehen können? Ach ja, der Staat will 15 Prozent an der Erste Bank Hungary Zrt. erwerben. Selbst Wirtschaftsminister Mihály Varga hat im Moment keine Ahnung, wie viel das jüngste Abenteuer der Orbán-Regierung im ungarischen Bankensektor den Steuerzahler kosten wird. Schließlich sei er kein Wirtschaftsprüfer, verriet er dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender M1. Dort hatte man von 10-20 Mrd. Forint (rund 32-65 Mio. Euro) als „fairer“ Preis für die Geschäftsanteile gehört. Sollte diese Summe am Ende der Durchleuchtung Bestand haben, dürfte sich der Geschäftsabschluss, so Varga, für den Staat ebenso wie für die EBRD gelohnt haben. Bis Ende Mai überlässt er das Feld den Wirtschaftsprüfern.
In Österreich will man derweil wissen, dass Erste Group-Chef Andreas Treichl den ungarischen Staat nie als Teilhaber in die Tochterbank gelassen hätte, wenn nicht die Osteuropabank in den Deal involviert worden wäre. Schließlich gehörten die Banken in den vergangenen fünf Jahren für den Freiheitskämpfer Viktor Orbán zu den schlechten Multis. Nicht von ungefähr formulierte EBRD-Präsident Suma Chakrabarti auf der Pressekonferenz am Montag, die ungarische Regierung habe voll und ganz die Notwendigkeit verstanden, ein geschäftsfreundlicheres Umfeld im Finanzsektor zu schaffen. Man habe im Dialog mit den ungarischen Behörden fachspezifische Sorgen benannt, auf Transparenz und Berechenbarkeit gedrängt. Wie eine Quintessenz der Haltung internationaler Finanzkreise wirkt sein Satz: „Das Vertrauen wiederherzustellen ist vielleicht die schwierigste Aufgabe bei der Umstellung der Wirtschaft.“ Die Osteuropabank für ihren Teil ist jedenfalls auch deshalb auf den Dreier-Deal eingegangen, weil es dem ungarischen Bankensektor gut tut, wenn auch weiterhin starke private Akteure präsent sind.