„Wir Ungarn arbeiten daran, dass unsere Wirtschaft Arbeitsplätze für alle Menschen in diesem Land schafft.“ Worte von Ministerpräsident Viktor Orbán, dem vielleicht noch die These seines Altmeisters Helmut Kohl von der Vollbeschäftigung in den Ohren klingt.
Die produktiven Beziehungen zur deutschen Wirtschaft sieht der Ministerpräsident als ein Unterpfand für das neue ungarische Wirtschaftswunder an. Im Vorfeld der Budapest-Visite von Bundeskanzlerin Angela Merkel überschlugen sich führende Fidesz-Politiker in ihren Huldigungsreden auf die Deutschen. Dabei ist die deutsche Wirtschaft in Ungarn Anfang 2015 verunsichert, wie seit Jahren nicht. Nachdem der von Viktor Orbán geführte Fidesz im Superwahljahr 2014 praktisch alles gewann, was zu gewinnen war, und die neue politische Stabilität Hoffnungen weckte, es könnte nun Ruhe einkehren, kam wieder alles anders: Der pure Aktionismus der dritten Orbán-Regierung fand und findet bald jede Woche neue Opfer.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hat sich der für die Gesellschaft besonders dreiste Vorstoß der Internetsteuer in die Gehirne eingebrannt, politisch unverschämt erschien die drastisch heraufgesetzte Sondersteuer für den „widerspenstigen“ Fernsehsender RTL Klub. Den Handelsketten wurde eine „Gebühr“ aufgebrummt, die ihre Gewinne auffrisst. Wenn sie dieses Problems nicht binnen zwei Jahren Herr werden, läuft die parallel gewährte Galgenfrist aus, und das Geschäft wird liquidiert. Langsam sollten auch die Topmanager der momentan noch in Frieden gelassenen Branchen genauer hinhören, wenn Orbán eine Ansage macht.
Daumenschrauben aus einer Laune heraus
Die Ansage mit der illiberalen Demokratie schreckte im vorigen Sommer die Amerikaner auf und verstörte an diesem Montag sichtlich die so sehr auf Frieden bedachte Frau Merkel. Jene Ansage, wonach Orbán den Wettbewerb nicht mag, haben bislang wohl nur die Manager von Energieversorgungsunternehmen vernommen. Dort hat man im Moment alle Hände voll zu tun, will man auch im März noch Rechnungen an Millionen Kunden stellen.
Denn im Herbst fiel der Regierung ein, die Systeme zur Rechnungsstellung sämtlicher Versorger im Lande neu auditieren zu lassen. Von einer einzigen Auditfirma. Natürlich mit einer Frist, die sich unmöglich einhalten lässt. Genauso wie beim elektronischen Frachtkontrollsystem EKÁER. Das nach heftigen Protesten nun statt Januar im März in die heiße Phase gehen soll. Nach heftigen Protesten von Seiten jener Unternehmen, auf die sich das Wirtschaftswunder in Orbán-Land stützen will. Auch und gerade aus der Automobilindustrie, die im vergangenen Jahr bereits 18 Mrd. Euro Umsatz erwirtschaftete und für ein Fünftel der ungarischen Gesamtexporte steht. In dieser Branche sind heute 120.000 Magyaren beschäftigt, die deutlich über dem ungarischen Durchschnittslohn von netto kaum 500 Euro im Monat verdienen und krisensichere Jobs haben. Natürlich weiß auch Viktor Orbán, dass selbst die Beschäftigten an den Montagebändern von Audi und Mercedes nur ein Viertel des Lohns ihrer Kollegen in den deutschen Stammwerken mit nach Hause nehmen. Dennoch äußerte er beim Start zur Serienfertigung für den CLA Shooting Brake, der exklusiv aus Kecskemét auf den Weltmarkt rollt, den optimistischen Gedanken, die Ungarn sollten schon in wenigen Jahren Mercedes-Modelle nicht nur bauen, sondern auch kaufen können.
Orbáns Wunsch in Gottes Ohr, doch sieht es so aus, dass dies in naher Zukunft eher ein frommer Wunsch bleibt. Mit den öffentlichen Beschäftigungsprogrammen (Lesen Sie dazu „Kein Geld ohne Arbeit“ auf der Seite 18) geht das nämlich nicht, da diese Hunderttausenden weniger als den Mindestlohn zahlen und noch dazu zu einem Verdrängungswettbewerb im Niedriglohnsegment des Arbeitsmarktes führen.

Vorzeigebranche: Die Automobilindustrie zahlt überdurchschnittliche Löhne und soll sich nun EKÁER gefallen lassen?
Die Erwerbslosenquote konnte mit aktuell sieben Prozent in der Tat auf den niedrigsten Stand seit Jahrzehnten gedrückt werden, aber leider überwiegend durch den Trick, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zum Straßenfegen zu nötigen. Die Regierung konzentriert sich bei ihrer Beurteilung des Arbeitsmarktes auf die „gesunden“ Arbeitsplätze in der Wettbewerbssphäre, von denen mehr und mehr geschaffen würden. Und liegt damit keineswegs falsch, denn mit dem vielleicht liberalsten Arbeitsgesetzbuch innerhalb der EU lockt Orbán Neuinvestoren unverändert ins Land. Freilich engt er deren Kreis laufend ein: Wo Ungarns „Jungkapitalisten“ zum Zuge kommen sollen, ist kein Auslandskapital erwünscht. Ergo will die Regierung hier keine westlichen Bankenhäuser, Handelsketten, Versorger mehr sehen. Firmen aus dem verarbeitenden Gewerbe und gewisse Dienstleister sind hingegen willkommen. So wird die Strategie verfolgt, Ungarn zur Industriehochburg Europas zu machen. Mit Dumpinglöhnen, flankiert von einem abwertenden Forint.
Leute mit Köpfchen gehen lieber
Kann diese Rechnung aufgehen? Die Multis meinen, es ist das Risiko wert. Die allgemeinen Standortbedingungen sind nahezu optimal, mit den Launen des allmächtigen Regierungschefs wird man schon irgendwie (notfalls halt hinter verschlossenen Türen) umgehen können. Wenn selbst eine strategische Vereinbarung nicht mehr hilft, nimmt man Dinge wie EKÁER halt zähneknirschend hin oder schaltet höchste Instanzen ein. Oder aber man zeigt Orbán die Zähne, wie es gerade die Bertelsmann-Gruppe bezüglich der Werbesteuer für Medienunternehmen getan hat. Schließlich besteht hier eine gegenseitige Abhängigkeit.
Die qualifizierten Arbeitskräfte, Berufsanfänger und Ungarn im besten Arbeitsalter, denken aber offensichtlich anders. Die Abwanderung der fähigsten Köpfe wird Orbán mit der oben dargelegten Strategie nicht stoppen können. Wer harte Devisen verdienen kann, lässt sich nicht mit einem weichen Forint abspeisen. Ganz zu schweigen davon, dass sich intelligente Leute nicht von Politikern erzählen lassen, wie sie zu leben haben (Stichwort: Verbot des Sonntagsverkaufs). Ungarn hat in Sachen Wertschöpfung seit der Krise den Anschluss an die Konkurrenten Tschechien, Polen und Slowakei verloren. Die Regierung muss mächtig aufpassen, dass sie das Land nicht aus Mitteleuropa herausführt.
Aber das Bild über „Mitarbeiter“ im öffentlichen Beschäftigungsprogramm ist voll genial.
Ausgerechnet von Zugló !