Der Besuch Angela Merkels in Budapest brachte zwei Erkenntnisse: Zum einen, dass es durchaus auch von „Mutti Merkel“ Kritik geben kann. Zum anderen: Wenn ein hoher Staatsbesuch nach Budapest kommt, steht das Leben still.
Wer am Montag zwischen dem Nyugati pályaudvar im Osten und der Burg im Westen einen Arzttermin, eine Vorlesung oder einfach nur seine Wohnung hatte, der musste sich teils in Geduld üben. Denn egal, wo Angela Merkel gerade war, immer war sie von einer Bannmeile und einer Unmenge an Polizisten umschirmt. Dabei gab es ganz selbstverständliche Sicherheitsvorkehrungen, etwa dass die Metro nicht unterhalb des Parlaments verkehrte, während Frau Merkel im Hohen Haus anwesend war. Daneben gab es aber auch Momente, in denen nichts als Verwunderung oder gar Wut herrschte. Selbst mit Gewalt ließe sich keine politische Motivation hinter der Ein- und Ausgangssperre rund ums Parlament vermuten. Während akkreditierte Journalisten sich mit Polizisten und dem scheinbar auf alles als Antwort dienenden Satz „Sie können hier nicht durch, vielen Dank für Ihr Verständnis“ herumschlagen mussten, erging es Anwohnern noch schlechter. Während im Parlament hinter verschlossenen Türen verhandelt wurde, brachten Verhandlungsversuche vor verschlossenen Türen jedoch nichts. Mit unnachgiebigem Willen zur Pflichterfüllung wurden Anwohnern und Studenten der Zutritt zu ihren Wohnungen und der Alma Mater verwehrt, während Angela Merkel auf dem Weg ins Parlament war. Zwischenzeitlich hieß es sogar, dass die Studenten der Handels- und Gastronomie-Fachschule in der Alkotmány utca nicht an die Fenster hätten treten dürfen, nachdem sie endlich Einlass erhielten.
Ein Verbot, das in Erinnerung bleibt
Diese Anekdoten eines Staatsbesuches werden wohl bis zum Besuch des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin vergessen oder zumindest bei vielen verblasst sein. Ganz im Gegenteil zu den Erinnerungen der Organisatoren der „Jetzt wir!“-Demonstration, die seit dem 2. Januar offiziell auf dem Vorplatz der deutschsprachigen Andrássy Universität geplant war.
TEK verbietet Demo
Bori Takács, eine der Gründerinnen der zivilen Bewegung, weiß noch immer nicht, warum ihre Kundgebung so plötzlich verlegt werden musste: „Nachdem wir unsere Demonstration am 2. Januar der Polizei mitgeteilt hatten, hatte diese binnen 48 Stunden keine Einwände, und die Demonstration galt somit als angemeldet.“ Mehr noch, eine Woche vor dem Kanzlerin-Besuch gab es gar eine Ortsbegehung, bei der ein Fachmann des ungarischen Sondereinsatzkommandos TEK mit den Organisatoren absprach, wo die Bühne stehen wird und wie man am besten zum Platz gelangen kann. Am Montagmorgen dann der Anruf. „Ein Polizist rief uns an und teilte uns mit, dass das TEK den Pollack Mihály tér vor der Andrássy Universität komplett gesperrt hat, unsere Kundgebung also woanders stattfinden muss“, beschreibt Bori Takács das Geschehen. Eine Erklärung, warum die Sicherheitskräfte sich kurzfristig dazu entschieden haben, die Demo doch noch platzen zu lassen, hat sie bisher nicht bekommen.
Demonstration musste verlegt werden
Der Blog A kommentátor versucht sich mit einer Erklärung. Während sicherheitstechnische Bedenken wohl kaum eine Rolle gespielt haben dürften – schließlich verfügt der Festecsics Palast über eine Toreinfahrt, die auch für eine Limousine inklusive Kanzlerin groß genug ist – könnte eher fehlende Ortskenntnis hinter der abrupten Absage gestanden haben. Steht man nämlich im pompösen Spiegelsaal der Universität, eröffnet sich ein fantastischer Blick auf die Rückseite des Nationalmuseums und eben jene Ecke des Pollack Mihály tér, auf dem die Demonstranten gestanden hätten. Die Demonstration musste kurzerhand verlegt werden, etwa 1.000 Teilnehmer fanden sich trotz des kurzfristig veränderten Ortes ein und beklatschten unter anderem die Rede des deutschen Übersetzers Hans-Henning Paetzke. Paetzke sprach unter anderem davon, es sei ein fataler Irrtum, in einer von Politik durchtränkten Gesellschaft von einem politikfreien Raum zu träumen. Die Kundgebung wurde trotz aller Widrigkeiten als Erfolg gewertet, nichtsdestotrotz will die „Jetzt wir!“-Vereinigung rechtliche Schritte gegen die kurzfristige Absage durch das TEK einleiten.
Weniger erfolgreich nahmen Vertreter der deutschen Wirtschaft den Besuch der Kanzlerin wahr. Arne Gobert, Anwalt und Vorsitzender des Deutschen Wirtschaftsclubs, brachte es markant auf den Punkt: „So selten, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel bei uns in Ungarn ist, so schade ist es, dass sie sich für die hiesige deutsche Community praktisch keine Zeit genommen hat.“ Und so hinterlässt der vergangene Montag viele Fragen und vor allem eine Gewissheit: Wenn schon der wenige Stunden dauernde Merkel-Aufenthalt die Metropole zum Erliegen bringt, dann wird während des Besuchs von Wladimir Putin vermutlich eine Ausgangssperre verhängt.