
Budaer Retro-Klassiker: Das Bambi ist eine echte Institution und selbst für überzeugte Pester einen Besuch wert. (BZ-Fotos: Nóra Halász)
Budapest – das rollt von der Zunge, und im Vergleich zu den Namensschöpfungen anderer Städtefusionen wie Bad Neuenahr-Ahrweiler oder Limbach-Oberfrohna schmeichelt es den Ohren. Kein orthografisches Schriftzeichen trennt, was bereits seit 1873 zusammengehört, als Buda, Óbuda und Pest auf dem Papier vereinigt wurden. Doch lauscht man manchen lokalen Stereotypen, so könnte man fast glauben, Buda und Pest trenne vielleicht mehr als nur die reißenden Ströme der Donau. Ein objektiv-subjektiver Vergleich zweier Bewohner.
Lisa Weil: Buda! Denn „wohnst Du noch oder lebst Du schon“
Buda ist ruhig! Buda ist grün! In Buda kann man sich von Pest erholen! Sicher, Pest ist quirlig und lebhaft, dort ist alles um die Ecke. Doch Budas Ruf, schlicht langweilig, teuer und „weit-weit weg“ zu sein, wird dem westlich der Donau gelegenen Teil der Hauptstadt nicht gerecht.
Lebensqualität à la Buda
Zum Bedauern aller Budapester haben sich in den vergangenen Jahren die Immobilienpreise in der ganzen Stadt erhöht. Vom V. bis zum IX. Bezirk: Die Gentrifizierung hat speziell Pest stark verteuert, und wird die Stadt auch immer schöner, die stattlichen alten Gebäude endlich hübsch renoviert und moderne Architektur verbreitet, so fällt es leidenschaftlichen Pestern doch immer schwerer, sich in Innenstadtnähe niederzulassen. Winzige Wohnungen mitten im lauten Ausgehviertel mit veralteten Heizungen werden zu Wucherpreisen vermietet, wobei der Pester Downtown-Sommer nun wirklich keine Freude ist: Staub, Hitze, Gestank – als Ex-Bewohnerin des XIV., IX. und VII. Bezirks weiß ich, wovon ich rede. In Buda hingegen sind mir der II., XII. und I. Bezirk wohlbekannt. Und ja, in Buda ist die Luft besser, die Stimmung gelassener, das Leben lebenswerter – ganz subjektiv betrachtet natürlich.
Amüsieren: auch in Buda möglich
Entgegen vieler Vorurteile ist der gemeine Budaer kein Rentner. Im Gegenteil, immer mehr Studenten und junge Familien siedeln sich in diesem Teil Budapests an. Die renommierte Moholy-Nagy-Universität für Kunsthandwerk und Gestaltung beispielsweise befindet sich in Zugliget, unweit des auf den János-hegy hinauffahrenden Sesselliftes. Im Studentenwohnheim nebenan wohnen die hippen, jungen Kreativen, die sich sowohl tags als auch abends gern unten im Univ. Arts Café treffen. Wer Wein statt Bier und Fisch statt Burger bevorzugt, der kann sich im Fióka am János-Krankenhaus wohlfühlen. Und weiter gen Donau, am Fuße des feinen Rózsadomb-Wohnviertels und im Bezirk Víziváros (Wasserstadt), sprießen die netten Locations nur so aus dem Budaer Boden: Margit utca 9, Bookta oder das nostalgisch-altehrwürdige Bambi Presszó und das Átrium Filmtheater versetzen sogar so manchen Unterhaltungs-verwöhnten Pester ins Schwärmen. Wem der Sinn mehr nach Entspannung steht, der wird den südlichen Teil Budas bevorzugen. Im XI. Bezirk erwartet das wohl familienfreundlichste Café der Stadt, das Tranzit Art Café, seine Gäste – im Sommer sogar mit Hägematten im Freien. Und wussten Sie, dass der XXII. Bezirk bis heute ein Weingebiet ist? Eine Tour durch die zahllosen Weinkeller ist nicht nur für Hobby-Somiliers etwas. Sicher, zum Tanzen ist Pest die erste Wahl. Die erst Ende letzten Jahres eröffneten Clubs im sogenannten Bécsi negyed (Wiener Viertel) auf dem Bécsi út, GRAND und MIRROR vereinen mit ihren Preisen und aufgesetztem Snobismus leider alle negativen Vorurteile gegenüber Buda in sich. Und auch „Budas erste Ruinenkneipe“, das Magyarom, ruht seit 2013 in Frieden. Und doch lässt es sich hier vielfältig Spaß haben, und würde ein Pester dem Budaer Entertainment-Angebot mal eine Chance geben, würde er diesen Zeilen sogar Glauben schenken.
Katrin Holtz: Pest! Denn „schlafen kann man , wenn man tot ist“
Pest ist laut! Pest ist lebendig! Pest ist immer wach! Ruhe mag man ja in Buda suchen, doch nur in Pest findet man so viel Kultur, Kneipen non-stop, und nur hier kann man den verfallenen, manchmal schmuddeligen Charme der verlebten Ostmetropole wirklich erleben.

Buntes Pest: Streetart wie diese findet sich hier an vielen ehemals grauen Feuerschutzwänden und machen die Stadt erst richtig lebendig.
Ruinenbars made in Pest
Die Vielfalt an Zerstreuungen, die die zahlreichen Hotspots Pests zu bieten haben sucht seinesgleichen. Hunger? Probieren Sie es mit einem der Restaurants in der Restaurantmeile Ráday utca. Steht Ihnen der Sinn nach Theatern und obskuren Amüsierlokalen, dann ist die Nagymező utca, auch bekannt als „Budapester Broadway“ genau die richtige Adresse. Oder doch eher elegant und hip? Eines der Lokale entlang der Andrássy Prachtstraße entspricht sicher Ihren Geschmack. Die Auswahl in Pest ist groß. Jedoch das Herzstück des Nachtlebens ist das jüdische Viertel, welches sich vom Großen bis zum Kleinen Ring und von der Andrássy bis zur Rákoczi út erstreckt. Der ehemals unscheinbare Wohnbezirk mauserte sich in den vergangenen Jahren zu einem der lebendigsten Partyviertel in Europa. Hier steht Budapests berühmteste Kneipe: Der Szimpla kert. Der einzigartige Stil dieses Lokals mit seinen bunten Wänden, eklektischem Design und heruntergekommenen Böden hat nicht nur die bis dahin unbekannte Kategorie der „Ruinenbars“ kreiert, sondern wurde zum Alleinstellungsmerkmal der ungarischen Kneipenszene. Natürlich fordert so viel Betriebsamkeit im Herzen Pests den Anwohnern einiges an Toleranz ab. Nicht nur gegenüber Lärm und Müll, sondern öfter als man denkt auch gegenüber dauertrunkenen, als Power Ranger verkleideten britischen Touristen.
En Garde – Pest punktet mit Kultur
Im kulturellen Bereich hat Pest eindeutig die Nase vorn. So befinden sich viele der bedeutendsten Museen der Stadt diesseits der Donau: darunter das Ungarische Nationalmuseum, der Palast der Künste (Müpa), das Haus des Terrors auf dem Andrássy út, das Museum der Schönen Künste am Heldenplatz, das Ethnografische Museum und das Museum für angewandte Kunst mit seiner wunderschönen Jugendstilkuppel. Mit der Verwirklichung des Bauprojektes „Liget Budapest“ wird Pest sogar um ein ganzes Museumsviertel bereichert. Doch neben Museen sind auch essentielle Kultureinrichtungen wie die ungarische Oper, das Nationaltheater, die Franz Liszt-Musikakademie oder Budapests ältestes Kino, das Uránia Filmspielhaus, in Pest zu finden. Touché.

Ein bisschen schmuddelig, ein bisschen Underground, ein bisschen Hipster: Pests Kneipenmeile Nummer Eins ist die Kazinczy utca im VI. Bezirk.
Pest en vogue – gestern und heute
Oft sagt man Buda nach, der historischere Teil der Stadt zu sein. In der Entwicklung der ungarischen Nationalidentität allerdings spielte Pest eine bedeutende Rolle. Leicht fällt bei Spaziergängen durch die Stadt die Unterschiede in der Architektur beider Stadtteile auf: Während die Straßenzüge Budas verschiedene Epochen widerspiegeln, ist das Pester Straßenbild beinahe einheitlich. Die meisten Häuser stammen aus dem 19. Jahrhundert. Der Grund dafür war die verheerende Flut von 1838, die dreiviertel der ursprünglichen Bausubstanz des flachen Pest hinwegspülte, während das buckelige Buda weitestgehend verschont blieb. Doch die Pester hatten Glück im Unglück, denn dem folgenden Bauboom verdanken sie heute viele der schönsten Gebäude. Darunter das Palais Festetics, der Wenkheim-Palast (heute Ervin Szabó Bibiliothek) oder die Károly Paläste. Seit damals war es, hielt man denn etwas auf sich, en vogue, Residenz in Pest zu beziehen. Der „größte Ungar“ István Széchenyi, dessen Gesicht auf dem 5000 Forint-Schein prangt, sah im funkelnagelneuem Pest jener Zeit das Aushängeschild des „neuen Ungarns“. Hier sollte sich die „ungarische Seele“ entfalten können, im Gegensatz zur deutschgeprägten Herrscherstadt Buda. Ironisch – ist doch gerade Pest heute internationaler denn je und der bevorzugte Wohnort für Expats und ausländische Studierende.
„Budapest, Budapest, te csodás!“
Seien wir doch einmal ehrlich: Buda ohne Pest oder Pest ohne Buda ist wie Túro ohne Rudi – das eine schmeckt einfach nicht ohne das andere, und sowohl Pest verschmähende Budaer als auch Buda verachtende Pester können froh um die andere Seite sein. Kein Tourist kommt in die ungarische Hauptstadt, ohne sich beide Rivalen angesehen zu haben, und selbst wenn sich viele, gerade junge Stadtbesucher mehr an die Restaurants und Kneipen der Pester Innenstadt als die wunderbaren Mosaike und Kacheln des Gellért Bades erinnern, so wird das ungleiche Paar doch in Gänze geliebt. Und wenn Sie sich noch immer ob der jeweils anderen Hälfte grämen, dann spazieren Sie doch einmal an einem sonnigen Tag am Aussichtspunkt innehaltend über die Margit híd und hören Sie dabei Róbert Rátonyis Budapester Liebeslied. Versöhnung garantiert!