
Gergő Sáling und András Pethő starten gemeinsam mit drei weiteren Kollegen das Portal Direkt36. (BZ-Fotos: Nóra Halász)
Von András Pethő
Uns hat in der letzten Zeit nicht nur eine Flut von aufmunternden Briefen erreicht, auch unsere Facebook-Gemeinschaft ist um viele neue Mitglieder gewachsen. Ja, man wurde sogar im Ausland auf uns aufmerksam. Dies lässt uns äußerst optimistisch auf den bevorstehenden Start jenes neuen Journalisten-Netzwerks unter dem Namen Direkt36 blicken, das zu einem Flaggschiff des investigativen Journalismus in Ungarn avancieren will. Zu den Gründern des Netzwerks gehören Gergő Sáling, Balázs Weyer und ich.
Seinen Anfang nahm unser hoffnungsfroh stimmendes journalistisches Projekt indes mit einer traurigen Begebenheit vor mehr als einem halben Jahr. Es war der Nachmittag des 2. Juni 2014, als ich gerade auf dem Flughafen Charleroi unweit von Brüssel landete. Ich war zu einer Konferenz zum Thema investigativer Journalismus in die belgische Hauptstadt eingeladen worden, auf die ich mich lange vorbereitet hatte. Ein Telefonanruf nach der Landung in Charleroi brachte mich indes völlig aus der Fassung.
Mein damaliger Chef, Gergő Sáling, war am anderen Ende der Leitung. Ohne zu grüßen sagte er Folgendes ins Telefon: „So lange hat meine Laufbahn als Chefredakteur bei Origo gedauert.” Die Nachricht schockte mich, dennoch war ich nicht überrascht. In den vorangegangenen Monaten hatte sich der Druck auf die Redaktion nach und nach erhöht. Ich hatte also damit gerechnet, dass dies letztlich kein gutes Ende nehmen würde.
Als es noch Unabhängigkeit gab
Origo ist eines der größten Nachrichtenportale in Ungarn. Gergő und ich hatten uns im selben Jahr, 2002, der Redaktion angeschlossen. Während Gergő als Tagesredakteur zu arbeiten begann, recherchierte ich eher für tiefschürfende Artikel, die einen investigativen Charakter hatten. Bei Origo konnten sowohl Journalisten des investigativen Fachs als auch Tagesredakteure sehr lange Zeit unter hervorragenden Gegebenheiten arbeiten.
Das Portal gehörte der Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom, Magyar Telekom. Angesichts unseres kapitalstarken Eigentümers hatten wir denn auch niemals Angst vor finanziellen Problemen. Es gab in jener Zeit auch niemals Versuche, unsere Arbeit von oben zu beeinflussen. Mithin hatte es für uns den Anschein, dass die Eigentümer die Unabhängigkeit der Redaktion respektierten.
Wir wussten, dass die Mitglieder des Managements wegen unserer Artikel mitunter böse Anrufe bekamen. Es gab aber niemals die Anweisung, dass wir uns bestimmter Themen nicht annehmen sollten. Ganz im Gegenteil: Mir wurde von den Redakteuren sogar Mut zugesprochen, wenn ich an heiklen Themen dran war.
Diese Situation änderte sich vor etwa zwei Jahren. Die ersten Anzeichen einer Veränderung nahm ich Ende 2013 wahr, nachdem ich von einem 15-monatigen Studienaufenthalt in den USA heimgekehrt war. Gergő hatte kurz zuvor den vakanten Stuhl des Chefredakteurs übernommen. Nach meiner Rückkehr trug er mir den Posten seines Stellvertreters an. Wir wälzten große Pläne mit dem Portal. So hatten wir die Absicht, die etwas eingerostete Redaktion zu erneuern.
Wir beschlossen ferner, uns eindringlicher und mehr mit Politik zu befassen. Den Großteil meines Studienaufenthalts hatte ich im Ressort für investigativen Journalismus bei der Washington Post verbracht. Die Erfahrungen, die ich dort sammeln durfte, waren für mich sehr inspirierend. Es war meine feste Absicht, Vieles, was ich in den USA gelernt hatte, auch in Ungarn umzusetzen.
Ein heikles Thema
Allerdings stellte sich rasch heraus, dass Origo nicht mehr jenes fruchtbare Terrain für einen unabhängigen Journalismus war wie in den Jahren zuvor. Ich bekam wiederholt zu spüren, dass die Unternehmensführung den sachlichen, aber beharrlich nachbohrenden Journalismus, der für das Portal bis dahin kennzeichnend war, nicht mehr so unterstützte wie früher.
Offensichtlich wurde dies, als wir Anfang Januar des Vorjahres daran gingen, uns in ein politisch heikles Thema einzuarbeiten. Beim Lesen einer Datenbank der Regierung fiel auf, dass einer der engsten Mitarbeiter von Ministerpräsident Viktor Orbán, Kanzleramtschef János Lázár, mehrere Reisen unternommen hatte, deren Hotelkosten weit höher waren als vergleichbare Reisen anderer Regierungspolitiker. Die drei Reisen, die uns ins Auge stachen, dauerten insgesamt sieben Tage. Die Kosten für die Unterkünfte beliefen sich indes auf knapp zwei Millionen Forint (rund 6.350 Euro).
Ich begann, Fragen an das Amt des Ministerpräsidenten zu richten, worauf es aber keine handfesten Antworten gab. Die Erklärung: Aus Gründen der nationalen Sicherheit könnten sie keine Details über die Reisen herausgeben. Diese Reaktion war für mich unakzeptabel. Aus diesem Grund schlug ich gemeinsam mit der hiesigen Organisation von Transparency International den Rechtsweg ein. Wir reichten beim Amt des Ministerpräsidenten ein von Juristen formuliertes Ansuchen ein, in dem wir die Herausgabe von Daten forderten. Als das Amt auch darauf nicht reagierte, wandten wir uns an ein Gericht.
Mit dem Voranschreiten der Causa begann ich indes immer mehr zu spüren, dass der Geschäftsführung von Origo diese Geschichte zuwiderlief. In der letzten Märzwoche schließlich rief mich Gergő an einem Nachmittag beiseite. Er teilte mir mit, es sei Wunsch des Unternehmensmanagements, dass ich den Gerichtsweg in der Causa um János Lázár aufschiebe.
Das Gericht hatte den ersten Verhandlungstag ausgerechnet in der Woche der Parlamentswahlen auf den 1. April angesetzt. Die Unternehmensführung ihrerseits hätte den Beginn des Verfahrens aber gerne nach den Wahlen gesehen. Ich stellte Gergő gegenüber klar, dass ich diesen Wunsch mit meinem Berufsethos nicht vereinbaren könne, weshalb ich denn auch nicht bereit sei, ihm nachzukommen. Er unterstützte mich in meiner Entscheidung.
Der Konflikt spitzt sich zu
Bei der Verhandlung am 1. April gab es noch keine Antworten auf meine Fragen und also auch keinen Bericht. Einige Wochen später wurde das Verfahren jedoch fortgesetzt. Dabei kamen die ersten interessanten Details ans Licht. Anfang Mai schließlich veröffentlichte ich meinen ersten Artikel über die Reisen von János Lázár. Daraufhin wurde uns von oben wieder signalisiert, dass es dem Herausgeber gegen den Strich gehe, wenn wir uns weiter mit dem Thema befassen. Gergő berichtete mir am selben Tag davon, dass er eine Anweisung von der Unternehmensführung bekommen habe, den Artikel vom Portal zu entfernen. Dazu war er jedoch nicht bereit.
Der sich nach und nach zuspitzende Konflikt erreichte einige Wochen später seinen Höhepunkt. Am dritten Verhandlungstag Ende Mai verriet das Amt des Ministerpräsidenten Details über die Reisen, die höchst bedeutend waren. Bis dahin hatten wir nicht gewusst, wie viele Personen an den Reisen teilgenommen hatten. Schließlich war es vorstellbar, dass die Hotelkosten deshalb so hoch ausgefallen waren, weil János Lázár eine ganze Delegation im Schlepptau hatte. Bei der Gerichtsverhandlung Ende April stellte sich allerdings heraus, dass Lázár alle drei Male nur mit einer einzigen Begleitperson unterwegs gewesen war.
Im Lichte dieser Information muteten die hohen Hotelrechnungen äußerst sonderbar an. Mein Bericht darüber war prompt einer der meistgelesenen Artikel auf Origo. Zudem wurde er von fast allen maßgeblichen Redaktionen des Landes übernommen. Am Tag nach Erscheinen des Artikels meldete sich auch János Lázár zu Wort. In einer sarkastisch formulierten Erklärung kündigte er an, die Kosten für die Hotelrechnungen dem Staat zurückzuerstatten. Auf die ursprüngliche Frage – warum die Hotelkosten so hoch waren – gab er indessen keine Antwort.
Kurz nach der Veröffentlichung des Artikels richtete ich an Gergő die Frage, ob es denn keine Reaktion von Seiten der Unternehmensführung gegeben habe. Er sagte, diesmal sei der Wunsch nicht geäußert worden, den Artikel vom Portal zu entfernen. Der Herausgeber habe aber bemerkt, dass es gut wäre, wenn „wir die Sache nicht auf uns ziehen würden”.
Womöglich hatte die Firmenführung auch deshalb keine scharfen Töne mehr angeschlagen, weil die Vorbereitungen zur Ablösung von Gergő als Chefredakteur bereits im Gange waren. Fünf Tage darauf teilte ihm der Generaldirektor des Unternehmens, Miklós Vaszily, mit, dass er als Chefredakteur abgelöst werde. Offiziell hieß es, die beiden Seiten hätten sich einvernehmlich geeinigt, Gergő machte aber gegenüber allen involvierten Personen deutlich, dass er nicht aus eigenen Stücken gehe.
Nachdem ich aus Brüssel heimgekehrt war, teilte ich dem Generaldirektor mit, dass ich kündige. Dasselbe tat daraufhin auch die Mehrheit der Redaktion. Für eine Massenkündigung von diesem Umfang gab es im ungarischen Journalismus bis dahin kaum Beispiele.

Gefeuert: Gergő Sáling meldete sich im Juni mit den Worten „So lang hat meine Laufbahn bei Origo gedauert“.
Des Rätsels Lösung bei der Telekom
Die wichtigste Frage, die sich stellt, ist die, warum dies geschehen ist? Warum hat sich die Haltung des Eigentümers beziehungsweise der Unternehmensführung zur Unabhängigkeit der Redaktion geändert.
Leider kann ich auf diese Fragen keine beruhigenden Antworten geben. Wahrscheinlich hat die Sache mit dem Besorgnis erregenden Prozess zu tun, der in Ungarn in den vergangenen Jahren zu beobachten war: Jener Raum, in dem ein unabhängiger Journalismus ausgeübt werden kann, wird zunehmend enger. Dies ist einerseits auf die finanziellen Probleme zurückzuführen, von denen die Medien weltweit betroffen sind, andererseits aber auch auf das Bestreben der ungarischen Regierungskräfte, einen möglichst großen Teil der Medien unter ihren Einfluss zu bekommen.
Wenn ans Licht kommt, was bei Origo genau passiert ist, werden wir wohl auch diesen Prozess besser verstehen. Ich habe noch vor meiner Kündigung bei der sogenannten Compliance Abteilung der Magyar Telekom eine offizielle Beschwerde eingereicht. Diese Abteilung hat die Aufgabe, allfälligen Missbrauch innerhalb der Firmengruppe aufzudecken. Auf mein Gesuch hin wurde denn auch eine interne Untersuchung eingeleitet, in deren Verlauf mehrere Schlüsselfiguren in der Angelegenheit befragt wurden.
Unterdessen trennte sich die Magyar Telekom aber nicht nur vom Generaldirektor von Origo, sondern auch von jenem leitenden Telekom-Mitarbeiter, der die Aufgabe hatte, Origo zu beaufsichtigen. Es ist jedoch bis heute nicht klar, ob diese Personalentscheidungen etwas mit dem Wechsel des Chefredakteurs zu tun hatten. Diesbezüglich wurden keinerlei Details preisgegeben.
Im Dezember erhielt ich von der Magyar Telekom eine Benachrichtigung, in der geschrieben stand, dass nach Abschluss der Untersuchung die „notwendigen Schritte” getan worden seien. Weitere Details wurden nicht verraten. Derweil schloss ich mich mit Gergő und anderen ehemaligen Kollegen von Origo zusammen, um ein vielversprechendes Projekt im Zeichen des investigativen Journalismus, Direkt36, auf die Beine zu stellen. Unabhängig davon wäre es aber ein großer Wunsch von mir, wenn die Wahrheit, die bis auf weiteres irgendwo bei der Magyar Telekom zu suchen ist, ans Licht käme.
http://ostpol.de/beitrag/4195-der_schluessel_liegt_bei_der_telekom
http://ostpol.de/beitrag/4197-amikor_egy_ujsagiro_politikai_nyomas_ala_keruel
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar