Das neue Jahr hat hierzulande begonnen, wie das vergangene ausgeklungen ist: mit einer Anti-Regierungs-Demonstration. Am 2. Januar fand vor der Budapester Oper eine im Vorfeld mit großem Brimborium erwartete Kundgebung statt. Die Demo, an der wieder mehrere tausend Menschen teilnahmen, wurde vom Gründer des ungarischen Sozialnetzwerks iWiW (vergleichbar mit Facebook), Zsolt Várady, organisiert. Várady ist Mitbegründer der Zivilbewegung MostMi!
In einer Erklärung, die auf der Facebook-Seite von MostMi! zu finden ist, ist der ideologische Hintergrund der Bewegung zu lesen. Dort heißt es: „Heute ist unübersehbar, dass der politischen, wirtschaftlichen und intellektuellen Elite des Landes das Wissen, die Klarsicht und Energie fehlt, um einen Ausweg aus der Misere zu finden. Die Gesellschaft hat sich von den öffentlichen Belangen abgewandt. Sie ist nicht nur politikverdrossen, sondern sie hat sich auch von Werten wie Kooperation und Solidarität zunehmend entfernt. Es ist ein Prozess der gesellschaftlichen Atomisierung und Isolierung zu beobachten.“
Kritik wird von MostMi! insbesondere an den Parteien geäußert. „Die Parteipolitik ist nicht mehr am Wohlergehen der Gesellschaft orientiert. Die Repräsentanten der Parteien sind unabhängig von ihrer Weltsicht schlechthin nicht daran interessiert, einen grundlegenden Wandel ins Werk zu setzen. Als Folge der Versäumnisse der vergangenen 25 Jahre laufen ihre Interessen den Interessen der Gesellschaft inzwischen zuwider.
Gesellschaft muss Selbstbewusstsein erlangen
„Wandel beginnt erst dann, wenn die Gesellschaft von Grund auf wieder zu sich findet. Wir müssen jene kleinen und großen Gemeinschaften zum Leben erwecken, die eine Kultur des Meinungsaustauschs, der Diskussionen und der Kooperation pflegen. (…) Dieser Prozess hat mit den Demonstrationen seinen Anfang genommen. MostMi! verfolgt das Ziel, das Grundgewebe der Gesellschaft neu zu beleben.“
Bei der Demonstration selbst sagte Initiator Zsolt Várady, dass MostMi! die Tätigkeit jener Parteien kritisch hinterfrage, die in den vergangenen 25 Jahren im ungarischen Parlament vertreten waren. „Die Politiker sind uns nicht nur über den Kopf gewachsen, sondern sie haben sich auch von der Realität entfernt. Unübersehbar vertreten sie nicht mehr das Gemeinwohl, sondern sind vielmehr damit beschäftigt, ihre eigene Welt aufzubauen.“
Es ist wichtig, dass die Gesellschaft ein Selbstbewusstsein erlangt. Es ist wichtig, dass wir den Mut haben zu fragen. Und es ist wichtig, dass wir Folgendes einsehen: Es ist nicht Aufgabe des Staates statt uns zu denken.“ Várady dementierte bei der Kundgebung überdies Gerüchte, wonach sich MostMi! zu einer Partei formieren könnte.
Parteienvertreter waren bei Demo unerwünscht
Várady und MostMi! hatten vor der Demonstration am 2. Januar die Parteien des linksliberalen Spektrums aufgerufen, der Kundgebung fernzubleiben. Ursprünglich wollten die Sozialisten (MSZP) mit roten Schals und Vertreter der Partei von Ex-Premier Ferenc Gyurcsány, Demokratische Koalition (DK), mit Parteifahnen an der Demo teilnehmen. Letztlich waren bei der Kundgebung aber nur die Spitzen der Ökopartei LMP, András Schiffer und Bernadett Széll, zu sehen.
Vertreter der MSZP und DK zeigten sich empört darüber, von der Demonstration gleichsam ausgeschlossen worden zu sein. Sie kritisierten, dass MostMi! mit der nationalkonservativen Regierung von Viktor Orbán gemeinsame Sache mache, weigere sich die Zivilbewegung doch beharrlich, mit den etablierten Linksparteien an einem Strang zu ziehen. Zsolt Gréczy von der DK forderte MostMi! auf, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, um im Kampf gegen die Regierung Orbán auf einen gemeinsamen Nenner zu gelangen.
MostMi!-Gründer Várady zieht sich zurück
Anfang dieser Woche sorgte Várady unerwartet für einen Knalleffekt. Der MostMi!-Mitbegründer teilte mit, er wolle künftig keine Demonstrationen mehr organisieren. Gleichwohl betonte er, dass er für MostMi! weiterhin tätig sein werde, insbesondere wolle er sich bei der Entwicklung des Online-Auftritts der Zivilbewegung einbringen.
Als Begründung für seinen Rückzug in den Hintergrund gab Várady den „Mangel an Zeit“ an. Einzelne Medien wollen allerdings wissen, dass es innerhalb von MostMi! zuletzt Spannungen gegeben habe, nicht zuletzt auch in Hinblick auf eine mögliche Parteibildung. Die nächste Großdemo ist für den Tag des Staatsbesuchs der deutschen Kanzlerin Angela Merkel am 2. Februar geplant.