
Zuverlässiger Unterstützer der Wirtschaftspolitik der Orbán-Regierung: Notenbankpräsident György Matolcsy.
Bei den strategischen Lenkern der ungarischen Wirtschaftspolitik könnten so kurz nach Silvester schon wieder die Sektkorken knallen: Wenn der Neujahrstrend anhält, wird der Forint gegen die großen Währungen bereits in den nächsten Tagen so schwach wie nie zuvor notieren. Und das soll der ungarischen Wirtschaft angeblich gut tun.
Die Akteure an den Finanzmärkten haben zur Kenntnis genommen, dass beim Forint Hopfen und Malz verloren sind. Wenn man auf die Prognosen der Analysten blickt, die diese gewöhnlich für drei, sechs und zwölf Monate vorausschauend erstellen, glaubten diese in den jüngsten Jahren immer noch an eine Rückkehr des HUF/ EUR-Kurses unter den Schwellenwert von 300. Für das vor uns liegende Jahr 2015 konnten sich derartige Szenarien nicht halten.
Dabei wollten Spekulanten vor gut einem Jahrzehnt, als der Forint noch nicht liberalisiert war, die ungarische Währung stärker machen, als es der Nationalbank des vor seinem EU-Beitritt stehenden Landes lieb sein konnte. Wie der Forint aus der Position einer vor Selbstbewusstsein und Kraft strotzenden Landeswährung in den heutigen, jämmerlichen Zustand gelangte, behandelten wir vor fast genau einem Jahr ausführlich („Schuldenberg kaum verringert – Forint so schwach wie nie zuvor“ in der BZ 5/2014, S. 13). Wenn die einheimische Währung heute zum dritten Mal nach 2009 und 2012 historische Tiefen gegen den Euro auslotet, geschieht das freilich in einem stark gewandelten Umfeld.
IWF wünschte „business as usual“
Beim ersten Mal wurden die Märkte gewahr, dass Ungarn einer der am leichtesten verwundbaren Staaten inmitten der in den Vereinigten Staaten vom Zaun gebrochenen, aber schnell auf andere übergegriffenen Finanzkrise ist. Deshalb wurde der Forint 2009 unbeeindruckt vom Rettungsschirm, den Internationaler Währungsfonds (IWF) und EU in Windeseile über Ungarn gespannt hatten, oder aber umgekehrt gerade wegen dieses Milliarden-Euro-Pakets, in eine zuvor für unmöglich gehaltene Tiefe gestoßen. Erstmals war die heimische Währung gegenüber dem Euro unter die Marke von 300 HUF/EUR angelangt. In Zeiten der Hochzinspolitik hatten die Anleger plötzlich kalte Füße bekommen, denn im Falle eines Staatsbankrotts wäre es um die satten Erträge geschehen gewesen. Aber natürlich gab es die 20 Milliarden Euro des IWF (und der EU) nicht für umsonst: Damit das „Business as usual“ weitergehen konnte, musste der Ungarn abwirtschaftende Ferenc Gyurcsány dem Technokraten Gordon Bajnai weichen.
Zum zweiten Mal in der Geschichte des jungen demokratischen Ungarns ließ sich eine sozialistisch-liberale MSZP-SZDSZ-Regierung das Heft des Handelns aus der Hand nehmen. (Beim ersten Mal hatte ein Finanzminister namens Lajos Bokros gegen den Willen von Ministerpräsident Gyula Horn im März 1995 das bis heute verfluchte brutale Sparpaket nach dem Notenblatt des Währungsfonds aufgelegt, mit brutaler Forintabwertung und Inflationierung des Geldes sowie einem Privatisierungsrausch, der Energie- und Bankensektor ein neues Gesicht verlieh.) Bajnai manövrierte das leckgeschlagene Schiff durch die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, was ihm die Wähler auf die ihnen eigene Art dankten: Die MSZP wurde 2010 zum zweiten Mal nach 1998 vom Fidesz geschlagen, möglicherweise ohne die Chance auf eine Rückkehr. Doch nicht der politische Aspekt interessiert uns hier, sondern der aggressiv zur Schau gestellte nationalistische Kurs der zweiten Orbán-Regierung und dessen Effekt auf die Forint-Notierungen.

Forint in zerknautschter Verfassung: Die Notenbank hat ihr Stabilitätsziel aufgegeben. (BZT-Foto: Nóra Halász)
Ramschstatus sollte Orbán das Wasser abgraben
Zunächst einmal spielte Orbán die Griechenland-Karte aus und stellte Ungarn praktisch auf eine Stufe mit einem Eurozonenland, das gerade von Brüssel „gerettet“ werden musste. Dabei war das Gerede von einem möglichen Staatsbankrott Ungarns schon im Sommer 2010 kalter Kaffee – Orbán hatte Bajnai bei der Übergabe der Regierungsgeschäfte bescheinigt, die Staatsfinanzen aus der akuten Gefahrenzone manövriert zu haben. Das IWF-Diktat passte dem Fidesz ganz und gar nicht ins Konzept, aber immerhin konnte sich Orbán zum Freiheitskämpfer aufschwingen, der die Fremdherren aus dem Lande wirft. Dafür nahm er schweigend in Kauf, dass der Forint 2011/12 zum zweiten Mal in die Regionen aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise abgewertet wurde. Dieses Mal trauten die Anleger Ungarn einfach nicht zu, ohne Hilfe aus Washington auf die Beine zu kommen. Die Ratingagenturen taten ihr Übriges, der ehrgeizigen und eigenwilligen ungarischen Führung mit dem Prädikat Ramschstatus für die Auslandsschulden das Wasser abzugraben.
Orbán umschiffte aber auch diese Klippen, indem er die Führung der Notenbank austauschte. Mit seinem Getreuen György Matolcsy an der Spitze verstand sich die MNB erklärtermaßen nicht länger als „unabhängig“ von der Regierung, sondern als Unterstützer der Wirtschaftspolitik. Diese neuartige Zweisamkeit bedeutete Spielregeln, an die sich die Anleger erst einmal gewöhnen mussten. So wurde der Leitzins radikal nach unten gefahren, ist der Notenbank nicht länger am Stabilitätsziel gelegen und werden die Akteure am Finanzmarkt auf den Anleihenmarkt geleitet. Die Ablösung der Devisenschulden des Staates geschieht unter verstärkter Einbeziehung der Bevölkerung, deren Fremdwährungskredite mit einem Zwangskorsett ausgelöscht werden.
Die MNB hält sich heute das Inflationsziel vor Augen, hat in dieser Hinsicht aber keinen Handlungsbedarf. Mittelfristig soll die Teuerungsrate unter 3 Prozent gehalten werden, aktuell muss Ungarn ähnlich wie so manch andere europäische Länder aufpassen, nicht in Deflation abzugleiten. Natürlich beobachtet der Stab der Notenbank auch weiterhin die Stabilität des Forintkurses, nur bindet man uns nicht auf die Nase, bis wohin das Abwertungspotenzial der heimischen Währung noch ausgereizt werden soll.
Der Forint ist nach drei Jahren erneut auf einem Tiefpunkt angelangt, dabei droht Ungarn nun wirklich kein Bankrott mehr. Als erstrangige Auslöser werden politische Erklärungen bemüht, vom Ukrainekonflikt bis zur „Unzuverlässigkeit“ der Magyaren in den Augen der US-Regierung. Dass der Euro selbst dramatisch an Boden gegenüber dem Dollar verliert, sorgt für ein langjähriges Tief in der HUF/USD-Parität. Immerhin können die in Schweizer Franken verschuldeten Kreditnehmer aufatmen, die nach jetzigem Stand mit dem Diktat des Zwangsumtausches (zu fixierten Wechselkursen von 309 HUF/ EUR bzw. 256,50 HUF/CHF) bereits zehn Forint auf jeden einzelnen Franken ihrer Schuldenlast gegenüber der Bank einsparen.
Investoren reiben sich die Hände
Auf die Eurokrise haben Orbán, Matolcsy & Co. nun wirklich keinen Einfluss, die Hoheit über die Gestaltung des Forintkurses wollten sie sich jedoch erhalten. Genau aus diesem Grunde erteilt der Ministerpräsident den Einladungen der Eurozone immer wieder eine Abfuhr. Der schwache Forint soll die ungarischen Exporteure wettbewerbsfähig machen, nicht nur innerhalb der Eurozone, sondern mindestens genauso auf den im Rahmen der Ostöffnung präferierten Märkten. Importgüter werden in der Konsequenz immer teurer, weshalb aktuelle Studien zu denken geben sollten. Laut diesen weist Ungarn im Kreis der Visegrád-Staaten (also gegenüber Tschechien, Polen und der Slowakei) die schwächste Exportdynamik auf. Vielleicht kein Wunder, denn nirgendwo in der Region wurden so viele Firmen in der Krise zur Aufgabe gezwungen, wie hierzulande. Die Handelsbanken kappten alle Kreditlinien, die Regierung tat mit der provozierten Abwertung des Forint ihr Übriges. Nun sucht Orbán nach 12.000 Exportfirmen, wo nach einem beispiellosen Schlachtfest kaum zweitausend verblieben sind.
Für Investoren bleibt Ungarn derweil ein reizvolles Pflaster. Neben den so häufig bemühten Faktoren hat das auch damit etwas zu tun, dass in den Geschäftsplänen der Multis die Lohnsumme eine Konstante bildet. Und zwar seit vielen Jahren. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt rund 330 Euro, der durchschnittliche Nettolohn in der ungarischen Volkswirtschaft kaum 500 Euro. Mag es kleinen ungarischen Betrieben schwer fallen, die Löhne und Gehälter der Mitarbeiter den Empfehlungen der Sozialpartner entsprechend auch in diesem Jahr wieder um 3-4 Prozent anzuheben, für die Auslandsinvestoren ist dies nur in Forint eine Erhöhung.
„Für Investoren bleibt Ungarn derweil ein reizvolles Pflaster. Neben den so häufig bemühten Faktoren hat das auch damit etwas zu tun, dass in den Geschäftsplänen der Multis die Lohnsumme eine Konstante bildet“.
Wenn ich solche Aussagen von Journalisten lese, frage ich mich, wie es in Europa um die
Annäherung und Solidarität steht. Wie können sich osteuropäische Staaten entwickeln, wenn ihre Bevölkerung in erster Linie als Empfänger niedrigster Löhne gesehen wird und dies in Kalkulation/Investition von westlichen Konzernen als Konstante eingerechnet wird ?! Benötigt Deutschland über Jahrzehnte wirklich so miserabel bezahlte ungarische, polnische … Ingenieure, Facharbeiter, Hilfsarbeiter, um teuer bezahlte Arbeitsplätze in D halten zu können. Die westlichen Gesellschaften werden die Spaltungen der Gesellschaften, ja der EU, nicht im Geringsten überwinden, wenn östliche Menschen, deren Arbeitsleistung sich denen westlicher Menschen mitlerweile fast angeglichen haben, als Billiglöhnerkonstante gesehen werden.
Ganz und gar nicht polemisch gemeint: Was machen wir dagegen? Weder Orban noch Merkel oder Junkers werden das ändern (wollen). Was kann der kleine Mann/die kleine Frau dagegen tun? Ich stimme Ihnen voll zu – aber bin ratlos, wenn man mich fragen würde: ‚Und wie sieht Dein Beitrag aus, um das zu ändern?‘
Wir dürfen das nicht ‚denen da oben‘ überlassen . Wir, die wir im Westen leben, können das auch nicht mit ‚geht mich nichts an‘ abtun. Das fällt uns allen noch mal so was von auf die Füße, dass es verdammt weh tun wird.
Also – Vorschläge/Aktionen erbeten!
Liebe Irma Diener,
das Thema gehört auf die Agenda der EU. Ein soziales Europa ist langfristig die Basis ihrer Existens. Angeblich widerspricht es ja den
Gesetzten des Marktes. Unsinn, denn die Produktivität nicht weniger
osteuropäischer Produktionsstätten ist besonders hoch.
Es geht um weltweite Ausbeutung, damit wir billig einkaufen können.
Unter Verlust der sozialen Moral haben sich Osteuropäer den Westeuropäern leider schon angenähert. Wer kann, der kann.
Ansonsten denke ich, dass man Widersprüchliches und Ungrechtigkeit immer beim Namen nennen soll. Solches Verhalten gefährdet aber fast immer den eigenen Arbeitsplatz.
Der Westen ist links-kaptalistisch. Fidesz in manchen Taten rechts-sozialistisch.
In jedem Fall aber alle Verlogen.
Mahlzeit !