Strahlend blaue Augen, ein schelmisches Lächeln und ein rechter Haken, der Kieferknochen splittern lässt. Die Boxerin Dömsödi wird demnächst 40, aber während andere Profi-Sportler in diesem Alter schon im Ruhestand sind, ist Renata auf dem Weg zum Höhepunkt ihrer Karriere.
Am 1. November des vergangenen Jahres lieferte Renáta den wohl bisher besten Kampf ihres Sportler-Daseins. Gegen Eva „GoldenBaby“ Voraberger stand sie in Wien im Ring. Mehrfach schickte die Ungarin ihre 15 Jahre jüngere Kontrahentin zu Boden, demolierte ihren Kiefer und dominierte ihre Gegnerin über weite Strecken. Trotzdem entschieden die Ringrichter zu Gunsten Vorabergers, was auch beim österreichischen Publikum vor Ort zu lautstarken Unmutsbekundungen führte. Der Weltmeistertitel blieb Dömsödi verwehrt. Zwei Monate später sind die Prellungen geheilt, der Alltag ist wieder eingekehrt. Doch wie sieht der Alltag einer Profi-Boxerin in Ungarn aus?
Keine Zeit zum Stillstehen
„Ich habe relativ spät mit dem Boxen angefangen“, gesteht Renata lachend. Nach zehn Jahren in den USA hat sie das Heimweh wieder zurück nach Budapest gezogen. „Natürlich hatte ich Freunde und Bekannte in den USA, ich habe gearbeitet und mein Leben gelebt. Aber in einem Land, in dem du nicht deine Muttersprache sprichst, bleibst du zwangsläufig immer Ausländer, egal, wie lange du da bist“. Zurück in der ungarischen Hauptstadt verdingte sich Renáta als Bartender. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten und das im Stehen essen machten sich schnell bemerkbar, die Pfunde wurden mehr, die Hüften immer runder. „Ich wollte das einfach nicht und beschloss, ich muss etwas tun.“ Zum Glück waren sowohl ihre Kollegen als auch ihr damaliger Vorgesetzter flexibel und so konnten Schichten getauscht werden, sodass der Trainingsplan von fünf Einheiten pro Woche eingehalten werden konnte. „Manchmal hat mich ein Kollege früher abgelöst und ich konnte zum Training oder ich bin nach meinem Work-out zur Arbeit gegangen. Das hat alles relativ gut funktioniert, aber mehr als fünf Einheiten konnte ich einfach nicht in meiner Woche unterbringen.“ Doch irgendwann waren diese fünf Trainings nicht genug.
„Zwar habe ich als Bartender wirklich gut verdient, aber wenn ich mehr im Sport erreichen will, muss ich einen Jobwechsel in Kauf nehmen“, erinnert sich Renáta. Oft kam es vor, dass sie aus der Nachtschicht kommend sich nicht etwa ins warme Bett kuschelte, sondern in Laufkleidung zwängte und noch eine Laufeinheit absolvierte. Heute arbeitet die Boxerin als Trainerin und Übersetzerin, da, wie sie sagt, ein Job mit festen Arbeitszeiten für einen Profisportler in Ungarn oftmals nicht machbar ist: „Leider können die wenigsten Sportler von ihrer Leidenschaft leben, fast jeder muss noch nebenher arbeiten.“
Profi-Sportler in Ungarn zu sein bedeutet nicht nur, Höchstleistungen im Sport zu erbringen, sondern auch ein fast übermenschliches Zeitmanagement zu bewerkstelligen. Renáta hilft viel, dass sie als Trainerin arbeitet: „Ein Einzel-Training fordert dich mental wie physisch fast noch mehr als eine simple Trainingseinheit für dich selbst.“ Beim Schlagtraining und Sparring muss sie nicht nur die Koordination ihres Schülers verbessern und analysieren, sondern muss ebenso parieren und einen „Kampf im Kleinen“ liefern. Und natürlich heißt es auch beim Krafttraining „geteiltes Leid ist halbes Leid“, und so steht Renáta ihren Schülern auch hier in nichts nach und hebt Hanteln, macht Klimmzüge und Bauchpressen.
Und während man kämpft, um noch das letzte bisschen Kraft aus den Armen zu pressen, lächelt Renáta und zwickt mit bissig-witzigen Bemerkungen so lange, bis man wirklich alle Reserven aufgebraucht hat. Die Entschlossenheit, mit der sie selbst trainiert, vermag sie auch aus ihren Schülern heraus zu kitzeln. Das macht sie einerseits zu einer tollen Trainerin, andererseits zu einer gefährlichen Boxerin: „Im Ring kämpfe ich eigentlich immer gegen mich selbst“, sagt Renáta. „Ich analysiere meine Gegner nicht vor dem Kampf, ich boxe genau so, wie ich boxe. Oftmals bekomme ich nur wenige Wochen vor dem Kampf eine Einladung, wie soll ich mich in so kurzer Zeit alleine auf eine Gegnerin einstellen und womöglich sogar noch meinen Stil anpassen?“ Denn Renáta kämpft allein – im wahrsten Sinne des Wortes.
Während andere Boxer mit einem Heer an Coaches und Helfern umgeben sind, stellt sie ihren Trainingsplan und ihre Ernährung selbst zusammen, bereitet sich allein auf Kämpfe vor. „Wenn ich meine Schlagtechnik verbessern möchte, muss ich ein Einzeltraining bei einem Coach buchen und bezahlen“, erklärt sie und zuckt die Achseln. Die Widrigkeiten, mit denen sie als Frau im Männer-Sport Boxen zu kämpfen hat, machen ihr nichts aus. Generell lässt sie sich von Vorurteilen und Hindernissen nicht abbringen. „Der Hauptgrund, warum ich teils so spät zu Kämpfen eingeladen werde, ist, da geht es nicht darum, ein gutes, ausgewogenes Match zu liefern. Wir Ungarn sind oft einfach nur Kanonenfutter. Viele glauben, gegen einen Ungarn zu gewinnen ist leicht, eben weil hier der Boxsport nicht so professionell abläuft wie zum Beispiel in Deutschland. Dort sind Boxer hauptberuflich Boxer. Hier bei uns machen das die meisten „nebenher“, also arbeiten, um Geld zu verdienen neben dem Sport. In den Augen vieler Gegner startest du als Ungar immer fünf Stufen weiter unten.“
Und trotzdem schafft sie es, gegen diese Vorurteile anzukämpfen, sowohl mental als auch physisch. Renáta beweist jeden Tag im Gym, dass man sie nicht unterschätzen darf und auch ihre früheren Gegner wissen das. Eva Voraberger, ihre österreichische Gegnerin sagt heute über Renata: „Ich schätze Renáta als Sportlerin sehr. Der Kampf selbst war sehr knapp, das ist mir klar, und es war ein super Kampf!“ Obwohl der Weltmeistertitel nicht nach Ungarn kam, ist Renáta nicht betrübt: „Der Kampf selbst war ausgesprochen gut. Es ist unglaublich toll, wenn du so boxt, dass du es genießt!“
Vom Wohlfühlen ist sie derzeit zwar weit entfernt, ein Autounfall hat die Boxerin in eine Zwangspause gedrängt. „Aber spätestens ab Anfang Februar will ich wieder trainieren, bis dahin ist auch der Splitterbruch meiner Rippe wieder soweit in Ordnung“, sagt sie und lacht dabei. Denn für April steht ein Kampf in Frankreich an, für den sie trainieren und sich vorbereiten will. „Abgesehen von dieser Kleinigkeit gebe ich natürlich mein Bestes und tue alles. Meine Chancen werden also wie immer sein“, sagt die Boxerin. Und wer Renáta einmal erlebt hat, weiß, dass ihr Wille zum Sieg ihren Gegnern noch gefährlicher werden kann als ihr rechter Haken.
Renáta Dömsödi
Spitzname: The Fanatic
Gewichtsklasse: Bantam
Profi-Kämpfe: 18, davon 12 gewonnen
Titel: Ungarische Meisterin, UBO+WIBF Intercontinental Champion
Marketing Manager: Anja Gantner
Privatstunden oder Gruppen-trainings sind unter boxingdomsodi@gmail.com buchbar.