Die Automobilindustrie ist der mit Abstand größte Hoffnungsträger für Ungarns Wirtschaft. Sie generiert Wachstum, steht für ein Fünftel der Exportleistung, erwirtschaftet rund 15 Milliarden Euro und sichert bei gut 700 Firmen 115.000 Arbeitsplätze. In einer neuen BZ-Serie schauen wir ein wenig hinter die Kulissen der Fertigung in den drei großen Automobilwerken, aus denen in diesem Jahr 450.000 Autos rollen könnten, so viele wie nie zuvor in Ungarn. Nach Artikeln über die Audi Hungaria Motor Kft. und die Mercedes-Benz Manufacturing Hungary Kft. befassen wir uns im 3. Teil mit der Magyar Suzuki Zrt. in Esztergom, dem ersten vollwertigen Automobilwerk, das nach der Wende hierzulande entstand.
Dass es 1989/90 zur Systemwende im ehemaligen Ostblock kam, daran hatte die „lustigste Baracke“, wie Ungarn gerne genannt wurde, großen Anteil. Kaum ein anderes Land im sozialistischen Lager orientierte sich so stark am Westen. Doch nicht von dort sollte die Wiederbelebung des komplexen Automobilbaus kommen, dazu bedurfte es eines Investors aus dem Fernen Osten. Die japanische Suzuki Corp. setzte 1993 das erste Bein auf den europäischen Kontinent – die Standortwahl für das Fertigungswerk fiel auf das kleine Städtchen Esztergom im Donauknie, nordwestlich der ungarischen Hauptstadt. Japanische Werke gab es im Ostteil des alten Kontinents zu jener Zeit noch überhaupt keine, doch was sich für Ungarn als weitaus wichtiger erweisen sollte: Dank Suzuki entwickelte sich das Industriehinterland für die komplexen Prozesse im Fahrzeugbau. Darauf konnten schließlich die deutschen Automobilkonzerne bauen, zuerst Mercedes mit einer Investition auf der grünen Wiese in Kecskemét, dann Audi mit der Standorterweiterung in Győr. Die größten Kapazitäten in der Automobilproduktion hält jedoch bis heute die Magyar Suzuki Zrt., die aktuell etwa 3.100 Mitarbeiter beschäftigt und indirekt über ihre mehr als 80 einheimischen Zulieferer zehnmal so vielen Menschen eine Existenz sichert.
2008 nahe an der Kapazitätsgrenze
Dabei ist das Werk wegen Umstellungen in der Modellpalette momentan nur in einer Schicht ausgelastet. Die Weltwirtschaftskrise hat die Absatzpläne der Japaner nämlich gehörig durcheinandergewirbelt. Wurde in den 90er Jahren der Suzuki Swift der ersten Generation noch mit gemäßigtem Erfolg verkauft, sollte sich die zweite Generation des Kleinwagens als Volltreffer erweisen. Bereits im ersten vollständigen Verkaufsjahr 2005 lieferten die Esztergomer rund 85.000 Swift-Modelle aus, praktisch doppelt so viel, wie vom Vorgänger im Durchschnitt eines Jahrzehnts verkauft werden konnte. Im Rekordjahr 2007 wurden sogar nahezu 110.000 Suzuki Swift in Ungarn gebaut. Ähnlich verhielt es sich mit der zweiten Modellreihe, die zur Jahrtausendwende aufgelegt wurde. Mit Wagon R+ bzw. Ignis ließen sich im Schnitt jährlich etwa 40.000 Einheiten auf den Montagelinien binden, der 2005 präsentierte SX4 verkaufte sich aber doppelt so gut.
Hatte das ungarische Suzuki-Werk im Jahre 2004 erstmals an der Messlatte von 100.000 Kleinwagen im Jahr gerüttelt, wurde diese ein Jahr später mit Leichtigkeit übersprungen; 2006 hatte sich die Produktionszahl des Jahres 2000 verdoppelt, ein Jahr darauf sogar verdreifacht, bevor 2008 ein absoluter Auslieferungsrekord mit rund 280.000 Kleinwagen erzielt werden sollte. Die Kapazitäten hatten die japanischen Investoren zwischenzeitlich im Rahmen ihres „europäischen Renaissance-Programms“ auf 300.000 Einheiten aufgestockt, die seit 1991 über 1,5 Mrd. Euro in Ungarn investierten. Allein vom neu lancierten Minifahrzeug Splash wurden im letzten „Friedensjahr“ mehr als 120.000 Stück verkauft – das war der stärkste Serienanlauf aller Zeiten in einem ungarischen Automobilwerk. Für den Swift und den SX4 war der Aufwärtstrend jedoch zu Ende, die Krise warf ihre Schatten voraus. Innerhalb eines Jahres gingen 2009 einhunderttausend Verkaufseinheiten verloren, das Produktionsniveau sackte auf den Stand des Jahres 2006 ab.
„Unser Auto“ ist kein Billigauto
Der Suzuki Swift war im Zuge von zwei Jahrzehnten dank eines cleveren Marketings, gepaart mit einem flächendeckenden Händlernetz, Niedrigpreispolitik und fantastischen Finanzierungsofferten im wahrsten Sinne des Wortes zu „unserem Auto“ avanciert. In den besten Jahren erhielten 40.000 der in Esztergom gebauten Suzukis ein ungarisches Kennzeichen. Doch die Krise traf genau die Käuferschicht von Kleinwagen am härtesten, aus dem Wunder der Fremdwährungskredite wurde ein Alptraum.
Inmitten dieses unwirtlichen Krisenumfeldes versuchten sich die Japaner mit einer Neuprofilierung: Mit dem Suzuki der dritten Generation wurde die weit verbreitete Auffassung über Bord gekippt, was in Ungarn gebaut wird, müsse gesetzmäßig billig sein. Daneben schärfte das Unternehmen mit dem SX4 sein Profil als Hersteller geländegängiger Fahrzeuge. Genau das – nämlich Kleinwagen und geländegängige Fahrzeuge (SUV-Modelle) – machen ja die weltweit anerkannte Stärke der Japaner aus. Im vorigen Jahr wurden in diesem Sinne einige Weichen gestellt, die dem Standort Esztergom eine bessere Zukunft versprechen. So wurde die Fertigung des Kleinwagens Splash ebenso eingestellt, wie die Produktions-Zusammenarbeit mit Fiat und Opel (die mit ihren Lieferaufträgen für Sedici und Agila über einen beachtlichen Zeitraum hinweg anständig zur Auslastung des ungarischen Suzuki-Werks beigetragen hatten). Die Magyar Suzuki Zrt. brach mit dem SX4 S-Cross unterdessen zu neuen Ufern auf, die das Freizeitauto in einer höheren Qualitätsklasse anstrebt.
Fertigungsqualität wie in Japan
Dazu ist es gut zu wissen, dass die Ungarn hinsichtlich der Fertigungsqualität den gleichen Standard wie in Japan erreichen. Esztergom landet in der internationalen Rangliste sämtlicher Suzuki-Werke mal auf dem 2., mal auf dem 3. Platz, hat also überaus stabil einen Platz auf dem Siegerpodest gemietet. Hinzu kommt, dass die Zulieferer bereits in die Entwicklungstätigkeit einbezogen werden, was von der Entwurfsplanung angefangen eine engere Geschäftsbeziehung generiert. Ausgehend von dieser Unternehmensphilosophie erhält ein größeres Gewicht, dass mit dem SX4 S-Cross zum ersten Mal eine sogenannte Pilot-Fertigung in Ungarn verwirklicht wurde, d. h. dieses Modell wurde von Anbeginn dem Können der hiesigen Belegschaft anvertraut.
Nur wenige Wochen ist es her, dass Suzuki auf dem Pariser Autosalon den neuen Vitara präsentierte – Sie haben es sicher schon erraten, auch dieser SUV wird künftig in Esztergom gebaut. Das sind tolle Nachrichten für den ungarischen Standort, der von der höheren Wertigkeit der hier in Serie gebauten Modelle nur profitieren kann. Dank einer anspruchsvolleren Modell-Mixtur stiegen die Umsatzerlöse der Magyar Suzuki Zrt. im Vorjahr gegenüber 2012 um zwölf Prozent auf knapp 1,6 Mrd. Euro, obgleich doch kaum mehr Autos von den Bändern rollten. Wenn ab 2015 SX4 S-Cross und Vitara die ungarische Angebotspalette neben dem bewährten Basismodell Swift ergänzen und die Rückkehr zum Zweischichtbetrieb unumgänglich wird, dürften Umsatz und Gewinn auch in Nordungarn endgültig wieder nach oben schnellen.