Imre Mécs ist eine besondere Erscheinung in der ungarischen politischen Szene. Der nach dem Volksaufstand 1956 zum Tode Verurteilte und später im Rahmen einer Generalamnestie Entlassene saß zur Zeit der Wende mit am verfassungsgebenden Runden Tisch, ehe er nach 1990 zwanzig Jahre lang als Abgeordneter die Geschicke des Landes mitgestaltete. Bis heute ist er auf fast allen oppositionellen Demonstrationen anzutreffen. Mit der Budapester Zeitung sprach der Zeitzeuge über Vergangenes, Aktuelles und wenig Bekanntes.
In einem heimeligen Café nahe des Liszt Ferenc tér treffen wir Imre Mécs. Das unauslöschliche, kaum wahrnehmbare Lächeln blitzt auch heute auf. Der im Jahr 1933 geborene Mécs spricht leise, die Klaviermusik im Café übertönt ihn hier und da, er ist nicht derjenige, der um Aufmerksamkeit durch Lautstärke buhlt. Auch auf dem Szabadság tér bei den Protesten gegen das Besetzungsdenkmal stand Mécs selten im Mittelpunkt. Doch obwohl die täglichen Proteste heute nicht mehr stattfinden, das Thema beschäftigt ihn weiter: „Das Denkmal wurde bis heute nicht offiziell übergeben und eingeweiht. Viktor (Orbán – Anm.) hat sich nicht getraut, her zu kommen, und jemanden schicken konnte er auch nicht. Das Ganze ist still und heimlich über Nacht aufgestellt worden.“
Dabei spricht er ohne Bitterkeit über das Denkmal und die dort beschäftigten Arbeiter: „Die Bauarbeiter dort haben in passiver Weise, zumindest scheint es uns so, unseren Protest unterstützt. Sie waren vorsichtig, sind nicht auf die von uns ausgelegten Erinnerungsstücke und Blumen getreten. Wenn sie die Erinnerungsstücke entfernen mussten, haben sie sie sorgsam in Kisten gepackt.“ Der Protest, so erinnert sich Mécs, hätte irgendwann Dürrenmatt´sche Züge angenommen: „Jeden Tag montierten wir die Bauzäune ab und jede Nacht wurden sie wieder aufgestellt. Doch hier in Ungarn brauchen wir keine Literatur, wir erleben Tag für Tag die sonderlichsten Absurditäten.“ Eine dieser Absurditäten war es zweifelsohne, dass Imre Mécs, seine Frau Fruzsina Magyar und einige ihrer Mitstreiter auf dem Szabadság tér wegen angeblichen Widerstands gegen die Staatsgewalt vor Gericht gestellt wurden.
Doch eine Geldstrafe kam für den überzeugten Demokraten nicht in Frage, „wir wollten den Fall zu Ende bringen und wären zur Not auch bis nach Straßburg gegangen.“ Nach einem Einspruch wurden Mécs und seine Mitstreiter freigesprochen. Er sieht darin die Bestätigung einer seiner grundlegendsten Überzeugungen: „Das Recht auf Meinungsfreiheit ist das allumfassendste aller Freiheitsrechte in Europa. Über diesem darf kein Recht außer dem Recht auf Leben stehen. Um dies zu verdeutlichen, haben wir beschlossen, den gerichtlichen Weg bis zu Ende zu gehen.“ Dass dieser bereits in Budapest zu Ende sein würde, überraschte und freute ihn: „Die Richterin hat uns rein anhand der Fakten freigesprochen. Als Anhänger der Idee und als einer der Gründer des ungarischen Rechtsstaates habe ich mit Vertrauen auf die junge Richterin geblickt.“
Ob dies ein Zeichen des Wandels ist, beurteilt Mécs nicht, sicher jedoch ist, es geht etwas vor sich innerhalb der Gesellschaft: „Die Menschen werden sich ihrer selbst bewusst, sie stehen für ihren Willen ein und haben keine Angst vor Repressalien – und es werden immer mehr.“ Mit seiner Frau spricht er manchmal scherzhaft darüber, endlich Menschen auf Demonstrationen zu treffen, die er nicht kennt. Obwohl er in den vergangenen Jahren Zweifel daran hatte, dass das Konzept der rebellischen Jugend in Ungarn noch Gültigkeit hat, so ist Mécs doch froh zu sehen, dass, wenn es um für sie greifbare Dinge geht, sie doch den Weg des Protestes einschlagen können.
Die Rebellion der Jugend erlebte Imre Mécs einst auch bei einem heute bekannten Politiker: „1988, als wir am Runden Tisch saßen und die neue ungarische Verfassung besprachen, saß Viktor Orbán neben mir. Er wusste um meine politische Vergangenheit und fragte oft „Imre, wie würdet ihr das machen?“ Viele sagen heute, sie hätten damals schon gewusst, dass Orbán gefährlich sei, aber das kann ich nicht teilen.“ Was er jedoch teilt, ist die Auffassung, Ungarn sei heute auf dem Weg in eine Diktatur: „Ich habe in Diktaturen gelebt. Der Begriff der Diktatur ist irgendwann untrennbar mit dem Begriff der Totalitarität verbunden. Diktatur war, als man uns zu hunderten gehängt hat, als tausende von uns inhaftiert und interniert waren. Das nannte sich Diktatur des Proletariats, wobei das Proletariat hier komplett außen vor war, die Diktatur war dafür umso präsenter.“ Heute sei Ungarn noch nicht auf dem Stand einer totalitären Diktatur, aber auf dem Weg dorthin, „denn die meisten Diktaturen haben nicht totalitär begonnen“. Es gibt Beispiele in der Geschichte, in denen erst gesellschaftspolitisch günstige Maßnahmen eingeführt wurden, bevor es zu politischen Säuberungen kam.
Der einstig zum Tode Verurteilte stellt der Regierung Orbán ein vernichtendes Urteil aus: „Die jetzige ist keine totalitäre Diktatur. Bis heute ist niemand hingerichtet worden, ist noch niemand wegen politischer Vergehen eingesperrt worden. Aber der juristische Apparat ist bereits eingenommen. Staatsanwälte und Richter werden in einer Art und Weise benutzt, die in einem demokratischen Rechtsstaat undenkbar wären.“ Damals, am Runden Tisch, hätte man sich auf die Bezeichnung des demokratischen Rechtsstaats in der Verfassung geeinigt, weil ein Rechtsstaat allein noch nicht die Demokratie mit sich bringt, oder, wie Mécs es ausdrückt: „Die Rechtsstaatlichkeit bedeutet, das Funktionieren nach feststehenden Regeln. Aber diese Regeln müssen nicht zwangsläufig gut sein.“ Umso wichtiger war es damals allen Beteiligten, dass demokratische Grundwerte die Basis für die neue, im Entstehen begriffene Gesellschaft bilden.
Von diesen hat sich der einstige Freiheitskämpfer Orbán jedoch entfernt, so Mécs: „Die Regierung hat sich einbetoniert, auch wenn das dem zusammengeschusterten neuen Grundgesetz widerspricht.“ Die Art und Weise, wie das Grundgesetz und das Wahlrecht heute verändert und umgebaut werden – insbesondere die Idee der Registrierung vor der Wahl – , erinnert ihn stark an die Zeiten der k. u. k. Monarchie, als ebenfalls mit viel Bedacht das Wahlrecht so gestaltet wurde, dass nur der Monarchie genehme Bürger wählen können. Doch wie fühlt es sich an, den einstigen Mitstreiter und überzeugten Liberalen Viktor Orbán nun zu sehen? Ohne Bitterkeit spricht Mécs über ihn: „Wir haben den Fidesz damals 1988 herzlich aufgenommen in unseren Kreisen, wir haben uns über diese Organisation ehrlich gefreut.“ Gleichzeitig achtete man aber auf Seiten des Fidesz darauf, nicht aus Versehen als Jugendorganisation der in Gründung befindlichen Demokratischen Vereinigung zu gelten: „Als wir 1988 dabei waren, uns als Partei neu zu gründen, baten wir den Fidesz um Unterstützung. Gábor Fodor sollte unseren Gründungskongress leiten. Gábor Fodor nahm unsere Einladung an und eröffnete seine Rede ebenfalls mit einer Bitte. Er hätte gehört, dass wir uns als Partei den Namen Demokratische Vereinigung geben wollen. Ob wir nicht etwas anderes wählen könnten, weil der Fidesz sonst allzu sehr nach unserer Jugendorganisation klingen würde.“
Der Name wurde tatsächlich geändert in Bund Freier Demokraten, SZDSZ. Mécs betont, wie gut die Stimmung damals war und wie gern man kooperiert hat. Damals, als man gemeinsam an einer neuen Verfassung arbeitete, gab es eine Stimmung des Umbruchs: „Wir spürten, dass wir jetzt etwas tun müssen, wir wussten nicht, wie lange dieses Zeitfenster, in dem wirkliche Veränderungen möglich waren, offen sein würde. Also versuchten wir, eine neue Verfassung zusammenzubauen, aber dabei fühlten wir uns wie Hufschmiede, die eine Hirn-OP durchführen sollen.“ Auch deswegen gab es viele Fehler, die sich in die Verfassung von 1989 eingeschlichen hätten, so zum Beispiel die weiterhin enorm große Zahl an 2/3-Gesetzen. „Diese haben wir später unter der Regierung Antal korrigiert und aus der Verfassung genommen.“ Ob er eine ähnliche Atmosphäre des unbedingten Wandels auch 2010 gespürt hätte, fragen wir. „Wenn wir das ganze geschichtlich betrachten, müssen wir uns auch die Frage unserer eigenen Verantwortung stellen. 1989 versuchten wir aus deutschen Beispielen und Erfahrungen zu schöpfen. Aber wir wollten eine Verfassung des Übergangs, das erste, frei gewählte Parlament sollte eine neue, vom Volk mitgetragene Verfassung verabschieden.“ Doch das Schicksal wollte es anders, bei der abschließenden Abstimmung reichte es trotz einer satten Mehrheit von 72 Prozent aus MSZP und SZDSZ nicht für die neue Verfassung. Bis heute ist parteiintern nicht aufgearbeitet worden, was damals passiert ist. „Dies bildete schließlich die Grundlage für die Rechthaberei des Fidesz heute.“
Im Café wird es immer lauter, immer mehr Menschen kehren ein. Eine letzte Frage stellen wir dem gestandenen Oppositionellen noch: Was würde er seinem einstigen Weggefährten und heutigem Ministerpräsidenten raten, wenn er die Möglichkeit dazu hätte. Mécs´s Antwort kommt prompt: „Über diesen Punkt sind wir schon lange hinaus. Wir sind heute an einem Punkt angelangt, an dem ein Dialog nicht mehr möglich ist. Ich sehe in ihm heute das größte Hindernis für eine demokratische Gesellschaft, während er 1989 noch ein Mitstreiter war, mit dem wir gemeinsam die Zukunft gestalten wollten.“
Auch in Deutschland wurden und werden die Geschehnisse um das Besetzungsdenkmal in der Zivilsphäre verfolgt. Die AG Bergen-Belsen e.V. erklärte ihre Solidarität:
Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit
Die Arbeitsgemeinschaft Bergen-Belsen e.V. setzt sich ein für die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus. Dazu zählen Juden, Sinti und Roma und Kriegsgefangene, vor allem aus der Sowjetunion. Aus unserer deutschen Geschichte kennen wir starke Tendenzen, eigene Verantwortung für Barbarei und Massenmord zu bagatellisieren und von sich weg zu schieben. Vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen unterstützen wir das Anliegen der Gruppe Szabadságért és Demokráciáért, zu den Schatten der eigenen Geschichte zu stehen und für die geschichtliche Wahrheit, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen.
Lasst uns gemeinsam mutig und offen für Demokratie und Toleranz eintreten!
Schon verwunderlich, wie eine Partei , die so von edlem Gedankengut durchdrungen gewesen zu sein scheint, den Bach runtergehen konnte???
Waren sie evtl doch nicht so ganz ehrenwert??
Was ist eigentlich aus den Millionenschulden geworden, die die Partei hinterlassen hat??
Also… Mecs wurde freigesprochen….und er sagt, es gibt keine unabhängige Rechtsprechung. Und mit verlaub. Der guter Mensch saß für die Freidemokraten im Parlament. Dann, wenn nicht Gewalt wurde, Herr Demszky hat ihm seinen Platz verkauft. Wenn die SzDSz noch weniger Stimme bekommen hat, ging Mecs zu Nachvolgepartei rüber, die ihn zu Tode verurteilt hat, wie er sagte, er sei ,,megèlhetèsi politikus,, deutsch_ er sitzt in der Partei, die ihn bezahlt.
So einer ist kein moralische Instanz.