Máté Kocsis ist Bürgermeister des VIII. Bezirks und hat damit ohne Frage einen der schwierigsten Bezirke der Hauptstadt zu verwalten. Neben einem immer angesagteren Nachtleben konzentriert sich hier auch die Drogenszene Budapests. Zuletzt sorgte Kocsis in diesem Zusammenhang mit der Schließung des Spritzentausch-Programms der Zivilorganisation Kék Pont für Aufregung. Sein neuester Vorstoß lässt Fachleute nunmehr komplett ratlos zurück.
Denn was Máté Kocsis (bekannt auch für seine „unorthodoxe“ Obdachlosenpolitik, auf ihn gehen die ungarichen Obdachlosengesetze zurück, die das Leben auf der Straße de facto unter Strafe stellt (die BZ berichtete), nun aufs Tapet gebracht hat, erscheint mehr denn je als Schnapsidee: Ein verpflichtender Drogentest für alle Jugendlichen zwischen zwölf und 18 Jahren sowie Journalisten und Politiker. Die Begründung ist so einfach wie fachlich nicht nachvollziehbar: Wer gegen den Test ist, ist für Drogen. Der Hintergrund ist laut dem Politologen Gábor Török einfach. Der Fidesz hat mit stetig sinkenden Umfrageergebnissen zu kämpfen. Verzweifelt sucht man nun nach einem Thema, das den Sturzflug beenden könnte. Drogen, so meint man, ziehen immer, denn egal, wie die Opposition auf das Thema reagiert, ihnen kann immer das Etikett „Junkies und Drogenbefürworter“ angeheftet werden, so das Kalkül. Doch noch mehr drängt sich die Frage nach der Zielgruppe auf, Jugendliche, Politiker und Journalisten?
Nur am Rande erwähnt sei, dass Politiker ob ihrer Immunität nicht zu solch einem Test verpflichtet werden können. Und auch bei Journalisten und Jugendlichen sind Datenschutz und Persönlichkeitsrechte eher Nebensache. Denn, so die Erklärung, Jugendliche müssten abgeschreckt, Journalisten sich hingegen ihrer Vorbildfunktion bewusst sein und deswegen am Test teilnehmen. Dass es bei den Regierungsparteien Fidesz und KDNP zumindest koalitionsintern keine Abstimmung in dieser Frage gab, zeigt das Beispiel des KDNP-Spitzenpolitikers György Rubovszky. Gelinde gesagt „ungehalten“ äußerte er sich gegenüber der linksliberalen Tageszeitung Népszabadság wie folgt: „Meine (12jährige – Anm.) Enkelin rief mich schluchzend an, und sagte: „Großvater, ich muss das Land verlassen, ich werde nicht in Gegenwart Fremder pullern!“ Der Vorschlag, so Rubovszky, sei in vielerlei Hinsicht problematisch.
Ein Thema, viele Reaktionen
Derweil fragen sich viele, ob die Idee des Drogentests nicht ein Ablenkungsmanöver des Fidesz ist. László Szili, Blogger bei cink.hu, ist sich sicher, dass hier ein „Gummiknochen“ die Runde macht. Nicht nur, dass es noch gar keinen konkreten Gesetzesvorschlag gibt. Selbst Fraktionsvorsitzender Antal Rogán sprach davon, dass der Test für Journalisten nicht verpflichtend sein sollte und auch für Kinder erst nach vorherigem Einverständnis der Eltern.
Tests sind absolut nicht brauchbar
Natürlich wurde das Thema auch im sozialen Netzwerk Facebook aufgegriffen. Die Gruppe „Eine Million Urinproben für den Fidesz“ zählte am Mittwochabend bereits mehr als 6.000 Mitglieder. Die Gründer erklärten, sollten 10.000 Unterstützer zusammenkommen, würde es eine dem Thema würdige Protestaktion geben, die Übergabe von Urinproben in der Fidesz-Parteizentrale. Die oppositionelle Partei von Ex-Premier Ferenc Gyurcsány, Demokratische Koalition, hatte sich am Montag kurzerhand dieser Idee bemächtigt und Urinproben in der von Kocsis´ verwalteten VIII. Bezirksleitung abgegeben.
Neben der fachlichen Fragwürdigkeit dieses Tests sind es auch die Kosten, die ungeheuerlich scheinen. Gábor Zacher, Toxikologe und Leiter der Ambulanz des Honvédkorház, sprach am Montag gegenüber InfoRádió über Kocsis´ Idee. Der über Parteigrenzen hinweg anerkannte Fachmann stellte der Idee ein vernichtendes Urteil aus. Nur etwa vier bis sechs Prozent der im Umlauf befindlichen Drogen könnten mit den heute zur Verfügung stehenden Tests tatsächlich nachgewiesen werden, und egal, ob positiv oder negativ, vor Gericht hätten sie ohnehin keinen Bestand (bei positivem Ergebnis muss ein zweiter spezieller Test durchgeführt werden, erst dieser hat vor Gericht Beweiskraft). Zudem würden die – überflüssigen und unbrauchbaren – Drogentests bei knapp 750.000 Menschen auch den Haushalt enorm belasten, betonte Zacher. Er rechnete vor, dass der breit angelegte Massentest bis zu 50 Milliarden Forint verschlingen, mit der benötigten Ausrüstung könnte sich diese Summe gar auf 100 Milliarden Forint belaufen. Der Toxikologe wies nachdrücklich darauf hin, dass mit diesem Geld die gesamte Bevölkerung Krebs, Cholesterin-, Blutdruck, Prostata und Dickdarm-Vorsorgeuntersuchungen unterzogen werden könnte.
Und während noch die Diskussion über Sinn und Unsinn eines verpflichtenden Drogentests läuft, wurde im VIII. Bezirk der erste Aids-Kranke getestet. Mit der Schließung des Spritzentauschprogramms ist es Fachleuten zufolge nur eine Frage der Zeit, bis es zum explosionsartigen Anstieg von HIV-Erkrankungen kommt. Sollte die Regierung tatsächlich etwas in Sachen Suchtproblem unternehmen wollen, so wäre eigentlich die Bekämpfung des grassierenden Alkoholismus naheliegend. Im Vergleich zu den ungefähr 20.000 Drogensüchtigen leben in Ungarn rund 800.000 Alkoholkranke, von denen jährlich etwa 30.000 Personen an den Folgen ihrer Sucht sterben.