Nach der im vergangenen Jahr erfolgten Einführung eines elektronischen Mautsystems sollen mit dem Warenbewegungskontrollsystem (EKAER) im kommenden Jahr weitere Belastungen auf in Ungarn aktive Spediteure, aber auch Handelsunternehmen und Produzenten zukommen. Darüber unterhielten wir uns mit Mathias Durchdenwald, dem Geschäftsführer der deutschen Spedition Atloc Roider GmbH, die seit 2003 mit einer Tochterfirma in Ungarn vertreten ist.
Was hat es mit dem geplanten EKAER auf sich?
Betroffen sind sämtliche Firmen in Ungarn, die Waren versenden, empfangen oder den Transport organisieren. Grund für dessen Einführung sind einige wenige Firmen, die den Staat um die Mehrwertsteuer geprellt haben. Nun sollen alle Firmen dazu verpflichtet werden, vor dem Versand alle Sendungen beim Finanzamt elektronisch anzumelden. Dabei muss unter anderem die Zolltarif-Nummer der Waren sowie das LKW-Kennzeichen, mit dem transportiert werden soll, angegeben werden. Das EKAER wird mit dem HU-GO-System, mit welchem die LKW-Maut überwacht und berechnet wird, verbunden. Da HU-GO mit GPS-Daten arbeitet, kann dann voraussichtlich der Transportweg jeder Sendung nachverfolgt werden.
Ist es realistisch, dass die Regierung das EKAER bereits ab dem 1. Januar 2015 verbindlich machen will?
Angesichts der knapp vier Wochen bis zur Einführung kann ich mir nur mit sehr viel Fantasie vorstellen, dass jeder Betroffene in der Lage sein wird, das Gesetz am 1. Januar 2015 umzusetzen. Es gibt zwar einen großen politischen Druck, mit dem die Sache umgesetzt wird – mit welcher Leidenschaft zu Werke gegangen wird, lässt sich schon an verwendeten Formulierungen sehen. So ist hier etwa seitens des Gesetzgebers von einem „scharfen Schwert“ und einer „neuen Waffe gegen Mehrwertsteuer-Betrüger“ die Rede. Andererseits gibt es noch unzählige offene Fragen.
Was wird die Einführung des EKAER konkret für Ihre Firma bedeuten?
Das hängt ganz stark von den noch offenen Fragen ab. Das Anmelden der Sendungen ist die Aufgabe des Absenders beziehungsweise des Empfängers. Uns kommt dabei die Aufgabe zu, Informationen auszutauschen. Hier ein Beispiel zum besseren Verständnis: Das Hauptgeschäft von ATLOC sind Sammelgut- und Teilladungsverkehre von und nach Ungarn. Dabei werden die Sendungen an verschiedenen Knotenpunkten umgeladen. Bei Sammelgutverladungen ab Süddeutschland werden durchschnittlich 30 Sendungen für unterschiedliche Empfänger auf einen LKW verladen. Um den Empfängern zukünftig die Möglichkeit zu geben, die Sendung rechtzeitig anzumelden, müssen vorab alle Sendungsdaten in Deutschland eingeholt werden und an die etwa 30 Empfänger in Ungarn weitergegeben werden. Anschließend muss kontrolliert werden, ob alle Empfänger ihre Sendungen angemeldet haben und die EKAER-Nummern an das verladende Lager weitergegeben werden, damit dort der Fahrer die vollständigen Daten erhält. Dazu kommt, dass es auf der Straße zu Staus kommen kann, dass ein LKW eine Panne hat oder dass der LKW an der Entladestelle nicht planmäßig entladen werden kann. Änderungen von Fahrzeugeinteilungen sind daher an der Tagesordnung. Zukünftig bedeutet dies, dass dann immer die gesamten EKAER-Anmeldungen geändert werden müssen. Problematisch könnte auch werden, dass viele Firmen, die nur im EU-Binnenmarkt tätig sind, die Zolltarif-Nummer ihrer Waren gar nicht kennen. So müssen wir hier beratend zur Seite stehen. Wir rechnen damit, dass wir ein bis zwei Mitarbeiter zusätzlich benötigen, um die Flut an neuen Informationen verarbeiten und weiterleiten zu können.
Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie noch und im Allgemeinen?
Wir als Stückgut-Spedition befürchten, dass wir einige Kunden an Unternehmer mit Fahrzeugen bis 3,5 t verlieren werden. Da diese nicht mautpflichtig sind, entfällt hier die EKAER-Anmeldung. Einige Firmen werden sicherlich den einfachen Weg wählen, auch wenn dieser etwas teurer ist. Dafür sparen sie sich den administrativen Aufwand und umgehen das Risiko einer Bestrafung aufgrund eines individuellen Fehlers bei der Anmeldung. In der Folge könnte es zu einer höheren Verkehrsdichte und damit mehr Abgasen kommen. Die Auswirkungen auf andere Firmen sind ganz unterschiedlich. Ist man eine Firma, die hauptsächlich komplette LKW-Ladungen verschickt, ist der zusätzliche Aufwand überschaubar. Es gibt eine Anmeldung für eine vergleichsweise große Menge an Waren. Sehr viel schlechter sieht es da für Firmen aus, die kleinere Sendungen aus der EU importieren. Hier muss vorab sehr viel mit dem Absender und dem Spediteur oder Frachtführer abgestimmt werden. Firmen, die ihre Waren im Sammelgutverkehr versenden, müssen unter Umständen für die Teilstrecken einzelne Anmeldungen vornehmen.
Sind Ihnen dem EKAER ähnliche Beispiele aus anderen Ländern bekannt?
Nein.
Wie wird sich das EKAER auf Automotive-Unternehmen auswirken?
Für diese Branche, bei der großteils „just in time“ oder „just in sequence“ geliefert werden muss, wird der Verlust an Flexibilität durch die Fahrzeug-bezogene Anmeldung eine große Belastung darstellen. Kurzfristige Dispositionsänderungen, um termingerecht ans Band liefern zu können, werden aufwändiger.
Wird die Einführung des EKAER spürbare negative Auswirkungen auf die Vision von Ungarn als Logistik-Hub der Region haben?
Ja durchaus, ebenso wie für die Standortwahl von Unternehmen. Aufgrund der vielen Fragezeichen bezüglich der praktischen Umsetzung, ist aber im Moment noch nicht abzusehen, wie schwer die neue Belastung bei den Unternehmen zu Buche schlagen wird. Firmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, wird es sicherlich am härtesten treffen. Sie müssen mit Firmen konkurrieren, die flexibel und ohne diesen zusätzlichen Aufwand ihre Produkte anbieten können. Für Branchen mit hohem Termindruck wie etwa die Automobilbranche kann dies ein K.o.-Kriterium darstellen. Wie der Einzelhandel betroffen sein wird, ist noch nicht abzusehen. Wenn jede Warengruppe separat angemeldet werden muss, ist der Aufwand riesig. Selbst in kleinen und mittelgroßen Geschäften gibt es hunderte unterschiedliche Artikel. Wenn ein Einzelhändler bei einer Lieferung 50 unterschiedliche Artikel erhält, bedeutet das im schlimmsten Fall, dass 50 Anmeldungen zu der einen Lieferung erfolgen müssen. Kleine Mengen beziehungsweise „Billigprodukte“ können da im Zweifelsfall für den Händler uninteressant werden.
Ist es volkswirtschaftlich zu rechtfertigen, dass der Masse der korrekten Firmen wegen einiger weniger schwarzer Schafe derartige Lasten aufgebürdet werden?
Wegen diesen wenigen, übrigens fast ausschließlich Lebensmittelhändlern, werden jetzt allen deutliche Sonderbelastungen aufgebürdet. Dabei wäre es schonender für die ungarische Wirtschaft, einfach Firmen, die in der Lebensmittelbranche tätig sind, stärker zu kontrollieren. Sollte dies nicht ausreichen, könnte das EKAER dann exklusiv für diesen Sektor oder auch nur gewisse Teilbereiche von ihm eingeführt werden, aber doch nicht für alle!
Ist das EKAER überhaupt die ultimative Vernichtungswaffe für gewisse Formen des Mehrwertsteuerbetrugs?
Ich habe von meinen ungarischen Kollegen erfahren, dass es im Internet schon jetzt Anleitungen gibt, wie das System umgangen werden kann. Ich glaube nicht an absolut sichere Systeme. Wer betrügen will, der betrügt auch weiter.
Wurden Ihre Branche oder Ihr Fachverband vor der Veröffentlichung des Gesetzes von der zuständigen Behörde kontaktiert? Gab es Konsultationen?
Wir wurden vom Logistikverband MLSZKSZ informiert, dass es Ende Januar eine Konferenz bezüglich der Umsetzung zwischen Branchenverbänden und Steuer- und Zollbehörde geben wird. Dies wäre nach heutigem Wissensstand einen knappen Monat nach der Einführung. Inwieweit bereits im Vorfeld Gespräche zwischen der Regierung und den Branchenverbänden stattgefunden haben, weiß ich leider nicht.