Davon, dass in Ungarn der KMU-Sektor – ähnlich wie in Deutschland – das gesunde Rückgrat der Volkswirtschaft bildet, kann noch längst nicht die Rede sein. Dass sich an diesem Zustand aber mittel- und langfristig etwas ändern könnte, ist auf jeden Fall tatkräftigen und strategisch denkenden Unternehmern wie Sándor Gonda zu danken.
Ohne „politischen Rückenwind“ und ohne „beherztes Zugreifen“ bei der Privatisierung in den 1990er Jahren – zwei wesentliche Ausgangsmomente vieler heutiger ungarischer Erfolgsgeschichten – hat der Unternehmer durch Zielstrebigkeit und harte Arbeit in den letzten 25 Jahren eine Respekt gebietende Erfolgsgeschichte der selteneren Art geschrieben, und er schreibt sie auch heute noch tagtäglich fort.
Vom Dozenten zum Unternehmer
Ungewöhnlich an dieser Geschichte ist bereits ihr Anfang, der noch wenig unternehmerisch aussieht. Nach einem Studium an der Agrarwissenschaftlichen Universität Gödöllő ging der frischgebackene Agrarmaschinen-Ingenieur Sándor Gonda zwar erstmal in die freie (Land-)Wirtschaft, danach setzte er seine Karriere jedoch als Dozent an der Agrartechnischen Hochschule in Mezőtúr fort. Hier ergab es sich Ende der 1980er Jahre, dass es im Zuge der immer weiter voranschreitenden politischen Öffnung Ungarns nach Westen auch zu Kontakten mit entsprechenden Partnern in der Bundesrepublik kam. Diese gestalteten sich so gedeihlich, dass bald die Möglichkeit ins Auge gefasst wurde, in Ungarn etwas zu produzieren, was sich allerdings unter den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen noch reichlich kompliziert gestaltete.
Erst parallel zur politischen Wende ergaben sich dafür neue, passende Möglichkeiten. Gonda ließ nicht viel Zeit verstreichen: Bereits im Herbst 1989 gründete er zusammen mit einem bisherigen Kooperationspartner, dem Mannheimer Unternehmer Heinz Schulte, das Joint Venture Agrohíd Kft., an der Gonda und seine Ehefrau zu 34 Prozent beteiligt waren. Der Firmenname bildete sich aus dem damaligen Produktspektrum, nämlich der Herstellung von Komponenten für landwirtschaftliche Maschinen, und der Funktion der Firma als Brücke (ungarisch: híd) zwischen Deutschland und Ungarn beziehungsweise zwischen Aufträgen aus Deutschland und deren Abarbeitung in Ungarn.
Die Neugründung war von Erfolg gekrönt: Zunehmend kamen mehr Aufträge nach Ungarn. Die Zahl der Mitarbeiter stieg von anfänglich zwei, der Unternehmer selbst und seine Frau, stetig an – heute ist die Firma direkt für 60 und indirekt für weitere 100 Arbeitsplätze verantwortlich – und ebenso wuchs die Zahl ihrer Produktionspartner vor Ort. Ende 1995 erfolgte für die junge Firma eine entscheidende Weichenstellung. Wegen Auftragsproblemen auf dem deutschen Markt entschloss sich der deutsche Partner, sich von seiner ungarischen Beteiligung zu trennen. Nach einem gründlichen Abwägen der verschiedenen Optionen, zu der auch die Liquidierung der Firma gehörte, entschlossen sich die Gondas schließlich, den 66-prozentigen Anteil ihres bisherigen Geschäftspartners zu übernehmen und das Geschäft weiterzuführen. Es wurde auch vereinbart, dass Schulte der Firma in Deutschland als Geschäftsvermittler auf Provisionsbasis erhalten bleiben würde.
Ritterschlag durch den Gewinn von Audi als Kunden
Auch das sollte sich als goldrichtige Entscheidung erweisen. Bereits im ersten Geschäftsjahr der nun vollständig ungarischen Firma gelang es, nicht nur erfolgreich das Kundenprofil zu wechseln – statt nur für Firmen aus dem Landmaschinenbereich begann Agrohíd zunehmend auch für Auftraggeber aus dem Automobilbereich zu produzieren –, sondern sogar das Unglaubliche, nämlich durch die Hilfe von Schulte fast aus dem Stand den Automobilgiganten Audi als Kunden zu gewinnen. „Eine erstklassige Referenz, so gut wie eine Qualitätszertifizierung“, weiß Gonda diesen, heute noch immer belieferten Kunden zu schätzen. Möglich wurde dieser rasche Achtungserfolg sicherlich auch deswegen, weil Schulte keinerlei Probleme damit hatte, Audi eine Zusammenarbeit mit der ungarischen Firma nahezulegen. Immerhin wusste er aus eigener Erfahrung genau, dass er und damit auch Audi und alle zukünftigen Agrohíd-Partner sich voll auf Gonda und sein Team verlassen können.
Heute bezeichnet Gonda die ersten fünf Jahre seiner Firma an der Seite von Schulte als eine „zweite Universität“, nämlich als ganz wichtige Lehrjahre in Sachen Qualitätsmanagement und Auftragsabwicklung nach höchsten deutschen Maßstäben. „Ich habe von meinem früheren Partner, Herrn Schulte, viel gelernt und verinnerlicht, so unter anderem das Prinzip der vollen Verantwortungsübernahme“, würdigt Gonda seinen früheren Mentor. Zu dem genannten Prinzip gehöre unter anderem auch, dass sich die Kunden blind auf die qualitäts- und fristgerechte Auftragsabarbeitung verlassen können. Und sollte einmal zwischendurch ein Problem auftauchen, das die Auftragserfüllung gefährde, dann werde sofort der Kunde einbezogen. Also nicht erst dann, wenn sich dieser von sich aus danach erkundigt, ob alles in Ordnung sei oder gar erst am Tag der vereinbarten Lieferung. „Wenn ein Auftraggeber während des Produktionszeitraums nichts von uns hört, dann kann er hundertprozentig davon ausgehen, dass alles wie geplant läuft und er die Endprodukte zum vereinbarten Termin entgegennehmen kann.“
Ebenso wie bei der Zuverlässigkeit wirkt bei Agrohíd aber auch beim Qualitätsmanagement bis heute die Schulte-Ära nach. Um dessen ganzheitlichen Qualitätsansatz zu illustrieren, erzählt Gonda eine Episode mit Schulte im vormaligen Motorenwerk Mannheim (MWM). Am Rande eines Betriebsrundgangs machte er ihn bei einer Einrichtung zur Prüfung von Materialfehlern mittels einer Lampe, die fluoreszierendes Licht aussendet, auf eine bemerkenswerte zusätzliche Einrichtung aufmerksam, nämlich auf eine, die den Zustand der Prüflampe kontrolliert. Dies sei notwendig, da die Lampe gegen Ende ihrer Lebenszeit verfälschte Ergebnisse hervorbringen kann. „Dieser Ursprung, eine Qualitätsabweichung schon in ihrem Ansatz zu erkennen und auszuschließen, dieses Bemühen um perfekte Qualität haben mich damals sehr beeindruckt“, erinnert sich Gonda.
Drang nach höchster Qualität
Heute ist Gondas Firma von der Eingangskontrolle bis zur Endabnahme nach diesen Prinzipien organisiert. Ganz wichtig ist es ihm dabei, den Drang nach höchster Qualität, den ihm Schulte eingepflanzt hat, an seine Mitarbeiter weiterzugeben. „Als ich einmal bei einem Bauteil für ein Werkzeug von Audi einen Grat feststellte und der dafür verantwortliche Mitarbeiter sich herausreden wollte, dass so ein winziger Grat doch nichts ausmachen würde, da habe ich ihn zu meinem Audi gebeten, die Motorhaube geöffnet und ihn aufgefordert gründlich den Motorblock zu befühlen“, erzählt er. Danach gab es keine Diskussion mehr. Generell setzt Gonda viel auf gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter: „Eine Maschine kann sich jeder mit Geld kaufen, es kommt aber auf die richtigen Mitarbeiter an, die sie bedienen – diese sorgen für den feinen Unterschied.“ Oder noch deutlicher formuliert: „Ohne entsprechende Mitarbeiter ist selbst die beste Maschine nichts wert.“
Deshalb habe er auf schwierige Auftragslagen, die es im Laufe der 25-jährigen Firmengeschichte freilich auch gab, nie mit Entlassungen geantwortet. „Die von uns intensiv geschulten Mitarbeiter hätten mir ja bei einer Verbesserung der Lage sofort gefehlt.“ Entlassungen seien aber auch deshalb nie ein Thema gewesen, weil er sich bei Liquiditätsengpässen, aber auch bei Finanzierungen immer voll auf seine Hausbank verlassen konnte. Daher sei auch das Wort „Kreditklemme“, über die viele Unternehmer seit der Krise vorwurfsvoll klagen, in seiner Beziehung zur MKB Bank ein Fremdwort, unterstreicht er. Noch nie sei er von ihr zurückgewiesen worden. „Gut, ich bin bisher auch nur mit fundierten, finanzierbaren Wünschen an meine Bank herangetreten“, räumt er ein und lobt gleichzeitig die gute Beratung der Bank im Vorfeld von Finanzierungen und generell ihr Mitdenken in unternehmerischen Belangen.
Kein Interesse an Kaufinteressenten
Dass es mit seiner Bank bis heute so gut klappt, hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Gonda bei Investitionen stets sehr risikobewusst vorgeht und Wert auf einen entsprechenden Eigenkapitalanteil legt. „Lieber langsamer, dafür aber solide und nachhaltig wachsen“, sei seine Devise. Deswegen sei er bis jetzt auch nicht am Verkauf von Geschäftsanteilen oder gar der ganzen Firma interessiert gewesen. „Vor Jahren wollte sich ein holländischer Investor beteiligen. Nach langem Überlegen bin ich auf das Angebot, das auch mit äußerst dynamischen Wachstumsperspektiven glänzte, schließlich nicht eingegangen. Ein Unternehmer aus der Gegend schon. Heute ist dessen Firma ruiniert und er selbst arbeitslos. Ganz zu schweigen von dessen ehemaligen Mitarbeitern“, fühlt sich Gonda im Nachhinein bestätigt. „Schon aus Verantwortung für meine Mitarbeiter würde ich die Führung unseres Unternehmens nie in fremde Hände legen.“
Seiner Meinung nach hätten viele Unternehmer in Ungarn generell das Problem, dass sie nicht das richtige, also ein maßvolles Entwicklungstempo fänden. „Im ungarischen KMU-Sektor fehlt das langfristige Denken, viele wollen einfach nur schnell reich werden. Im Endeffekt würden sie nicht genug Reserven bilden und sich schrittweise verschulden. Und dann: Aus der Traum!“ Die Maßlosigkeit führe auch dazu, dass bei Angeboten an potenzielle Auftraggeber die „Gewinnmaximierung um jeden Preis“ im Vordergrund stehe und nicht so sehr eine langfristig gute und bei steigenden Volumina schließlich auch einträgliche Zusammenarbeit. Zudem sei zuweilen auch nicht der Preis ausschlaggebend, sondern die Zuverlässigkeit sowie das Erbringen konstanter Qualität und Präzision.
Tipps für ungarische Mittelständler
Nach weiteren Tipps für ungarische Mittelständler gefragt, die genauso erfolgreich werden wollen wie seine Firma, weist Gonda sogleich auf ein Denken und Handeln in Systemen hin. „Wenn ein Fehler geschehen ist, dann kann das auch ein Hinweis darauf sein, dass das System an einer Stelle einen Schwachpunkt aufweist.“ Dieser müsse dann ausgemerzt werden, damit das System wieder aus sich selbst heraus die bestmögliche Qualität hervorbringt. „Es reicht nicht, nur selbst gut zu arbeiten. Das ganze System muss gut funktionieren“, so Gonda. Systemisch geht es aber auch ganz am Ende zu: „Ich gebe meinen Kunden nicht einfach nur Produkte, sondern Systeme, in denen diese Produkte vorkommen.“ Ein weiterer Tipp geht wieder in Richtung Personalpolitik: „Ich suche stets Mitarbeiter, die auf ihrem jeweiligen Fachgebiet besser sind als ich.“
Während all diese Tipps bei Agrohíd bestmöglich verwirklicht sind, ist eine andere wichtige Empfehlung, nämlich, dass der Anteil eines Kunden nie über 30 Prozent des Gesamtumsatzes liegen sollte, bei ihm gegenwärtig nicht umgesetzt: So hängt die Auftragslage seiner Firma derzeit zu 50 Prozent von Bosch, 30 Prozent von Audi und 20 Prozent von verschiedenen kleineren Firmen ab. Von daher arbeitet Gonda jetzt verstärkt an einer Diversifizierung seiner Kundenbasis, natürlich über die Gewinnung von Neukunden und die Erhöhung des Gesamtvolumens von derzeit bereits stattlichen zwei Milliarden Forint. Gerade würden etwa vielversprechende Verhandlungen mit einer neuen Firma geführt, mit einem jährlichen Auftragsvolumen von immerhin etwa einer Million Euro. Gonda ist zuversichtlich, innerhalb eines Jahres bereits eine deutlich ausgeglichenere Auftragsstruktur zu haben.
Engmaschiges Zulieferernetz für mehr Aufträge
Mit dazu beitragen wird auch der sich unter der Regie von Agrohíd vollziehende weitere Ausbau eines eigenen Zulieferernetzes. Dieses Projekt hat Gonda schon vor Jahren einfach aus der Einsicht gestartet, dass die Werkzeuge und auch deren Komponenten so komplex sind, dass es eher unwahrscheinlich ist, ausgerechnet einen Auftrag an Land zu ziehen, den man komplett innerhalb der eigenen Firma abwickeln kann. „Es ist natürlich schön, wenn wir möglichst viele Produktionsphasen von den eigenen Mitarbeitern erledigen lassen können, aber Hauptsache wir bekommen überhaupt den Auftrag und daraus dann etwas Arbeit“, erklärt Gonda, warum sich seine Firma als Integrator so stark um den Ausbau des Netzes bemüht. Diesem Ziel dient übrigens auch das Logistikzentrum in einer 2012 teilweise mit Geldern aus dem neuen Széchenyi-Plan eigens errichteten 1.080 qm großen Lager- und Montagehalle in Mezőtúr. Bei der Vergabe der Aufträge an ungarische Subunternehmer und dem anschließenden Eingang der Fertigwaren im Logistikzentrum erweist sich das Team von Gonda als mindestens ebenso kritisch und qualitätsbewusst wie die deutschen Auftraggeber von Agrohíd. „In einem funktionstüchtigen System müssen halt alle Teilsysteme gut funktionieren.“