Die ungarische Wirtschaft ist im III. Quartal wieder um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr gewachsen – im Durchschnitt der ersten neun Monate ermittelte das Zentralamt für Statistik (KSH) dank des starken I. Halbjahres sogar ein Plus von 3,6 Prozent.
Die erste Schätzung stützt sich auf eine beschränkte Informationsbasis; das KSH geht aber davon aus, dass neben der Industrie auch die Landwirtschaft zu der positiven Überraschung beigetragen haben dürfte. Nach fünf Quartalen des Anstiegs war die ungarische Konjunktur im Sommer auf einem Höhepunkt von 3,9 Prozent für das II. Quartal angelangt, womit sich Ungarn an die Spitze Europas setzte. (Dieses Mal schnitten Polen und Rumänien besser ab.)
Dynamik in einzelnen Wirtschaftszweigen lässt nach
Dass dieser Schwung nicht zu halten war, darin waren sich wirklich alle einig. So verabschiedete sich die Wachstumslokomotive Industrie im Spätsommer von den zweistelligen Zuwachsraten; der Aussetzer vom August verdarb nicht nur die Statistik, er markierte auch das Ende des stetigen Aufwärtstrends. Ähnlich ergeht es momentan dem Baugewerbe, das seine Leistung im März gegenüber dem Vorjahr noch um 34 Prozent aufwerten konnte, wovon bis September sieben Prozent verblieben. Dass die Landwirtschaft nach der Rekordernte von 2013 noch Luft hatte, erwarteten die wenigsten. Mit 7,2 Mio. Tonnen wurde die beste Getreideernte der letzten fünf Jahre eingefahren, beim Weizen lagen die Hektarerträge nahezu ein Viertel über den langjährigen Durchschnittswerten.
Die Zeit der Rekorde ist fürs erste abgelaufen; das gegenüber dem II. Quartal im Zeitraum Juli-September realisierte Plus von 0,5 Prozent ist die schwächste Zahl seit dem Abschied von der Rezession. (Im Jahre 2012 und Anfang 2013 hatte das ungarische Wachstum über fünf Quartale hinweg ein negatives Vorzeichen angenommen.) Experten rechnen mit einem fortgesetzten Abschwung, denn abgesehen von der brüchigen Eurokonjunktur und dem zugespitzten Konflikt in der benachbarten Ukraine (die gegen Russland verhängten Sanktionen treffen die ungarischen Exporteure schwer) gibt es dafür mehrere plausible Gründe.
Plausible Gründe für den Abschwung
Zum einen erreichte das Wachstum im Sommer ein Achtjahreshoch, was nun einmal keine alltägliche Leistung ist. Zum anderen sind, wie der Chefanalyst der MKB Bank, Zsolt Kondrát, einschätzt, der Absorption von EU-Fördermitteln Grenzen gesetzt – das noch im Frühjahr erlebte enorme Tempo bei öffentlichen Investitionen und Bauprojekten ist auf Dauer einfach nicht zu halten. In ähnlicher Weise kann die Fahrzeugindustrie nicht ewig um 20-25 Prozent wachsen. Die neuen Automobilwerke von Mercedes-Benz und Audi in Kecskemét und Győr sind im Dreischichtbetrieb an ihre Kapazitätsgrenzen hochgefahren worden, so dass auch diese Reserve nunmehr erschöpft ist. In dieser Hinsicht gibt Suzuki in Esztergom Anlass zur Hoffnung, weil dort wegen eines Modellwechsels momentan nur eine Schicht gefahren wird, bevor man ab Januar zu zwei Schichten übergehen wird.
Der Einzelhandel hat auch nach den aktuellen Zahlen zu urteilen noch nicht die Erwartungen des Wirtschaftsressorts erfüllen können. Doch gerade diese träge Entwicklung könnte die künftigen Erwartungen untermauern, schließlich muss nach den Worten von Volkswirtschaftsminister Mihály Varga früher oder später jede Familie einen neuen Kühlschrank kaufen. Die Umwandlung der Fremdwährungskredite in Forintkredite könnte hierbei helfen, sollen die Familien doch im Durchschnitt um ein Viertel der aktuellen Tilgungsraten entlastet werden. In den vergangenen Jahren hatte die Regierung wiederholt Erleichterungen für die Familien beschlossen, die eine steigende Nachfrage im Einzelhandel generieren sollten. Daraus wurde gewöhnlich eine wachsende Sparbereitschaft, was andere Vorteile mit sich brachte.
Das Volkswirtschaftsministerium hob in seiner Analyse der aktuellen Wachstumszahl des Weiteren hervor, dass die Konjunkturprozesse strukturell ausgewogener und langfristig nachhaltig wurden. In diesem Jahr könnte das Wirtschaftswachstum letztlich noch über der offiziellen Regierungsprognose von 3,2 Prozent landen.