Internetsteuer weckt Ungarns Zivilgesellschaft
Vor dem ungarischen Parlament haben am Montag mehr als zehntausend Menschen gegen Korruption demonstriert und den Rücktritt von Premier Viktor Orbán gefordert. In den Wochen zuvor hatten Zehntausende gegen die Einführung einer Internetsteuer protestiert. Die Demos hatten keinen parteipolitischen Hintergrund und wurden vor allem von Bürgern getragen, die zuvor noch nie auf Demonstrationen waren, konstatiert die linksliberale Tageszeitung Népszabadság: „Die Widerstandsbewegung in Ungarn handelt weder nach herkömmlichen Rezepten noch verfolgt sie herkömmliche Ziele. (…) Bei den Kundgebungen sind jedes Mal Neulinge anzutreffen. Das sind Menschen, die die Kraft des Widerstands spüren und den Mumm haben, der Regierung die Stirn zu bieten. Nach der zweiten Demo gegen die Internetsteuer, an der Zehntausende teilnahmen, erreichten sie sogar ihr Ziel, denn die Regierung machte einen Rückzieher. (…) Diese renitente Menschenmasse ist unkontrollierbar. Ihre Führungslosigkeit und Dynamik flößt Angst ein. Und im Gegensatz zu den Parteien konnte sie Viktor Orbán bereits zum Einlenken zwingen.“ (18. November 2014)
Orbáns Werbesteuer hat Bumerangeffekt
Die rechtskonservative Regierung von Viktor Orbán will die im Sommer eingeführte sogenannte Werbesteuer weiter erhöhen. Die Maßnahme trifft vor allem den Privatsender RTL Klub. Die linksliberale Tageszeitung Népszabadság glaubt, dass sich die Regierung dabei ins eigene Fleisch schneiden könnte, sollte sie den regierungskritischen Sender weiter gegen sich aufhetzen: „Die Regierung erhöht den Einsatz: Mit dem Hinweis auf eine gerechte Verteilung der öffentlichen Last will sie jetzt eine noch höhere Werbesteuer erheben. (…) Ihre Zielscheibe ist eindeutig RTL. (…) Die ganze Situation erinnert an ein tödliches Pokerspiel. Dabei stellt sich die Frage: Wer wirft zuerst das Handtuch, die Regierung oder RTL? Fakt ist, dass die Popularität der Regierungspartei Fidesz schwindet, zudem wollen die Demonstrationen gegen die Regierung nicht abreißen, und RTL ist immer professioneller darin, die Missstände der Regierungspolitik aufzuzeigen.“ (14. November 2014)
Orbán vergisst Kinderarmut
Die rechtskonservative Regierung von Viktor Orbán hat sich zum Ziel gesetzt, den Bevölkerungsrückgang in Ungarn um jeden Preis zu stoppen. Ihr Motto: Jedes neue Leben in Ungarn ist wertvoll. Sie vergisst aber dabei sträflich, dass viele ungarische Kinder in bitterer Armut aufwachsen müssen, stellt die Sozialarbeiterin Nóra Ritkók in der linksliberalen Wochenzeitung hvg fest: „Häufig denke ich, dass die Entscheidungsträger bei der Suche nach Lösungen für gesellschaftliche Probleme nur nach ihren eigenen Vorstellungen und realitätsfernen Vorurteilen handeln. (…) Wie soll sich zum Beispiel eine fünfköpfige Familie über Wasser halten, die pro Kopf von 685 Forint [rund 2,20 Euro] pro Tag leben muss? (…) Es gibt viele Paare, die nicht genug Geld zum Leben haben und trotzdem Kinder in die Welt setzen. Familien, die beispielsweise von rund 20.000 Forint [knapp 70 Euro im Monat] pro Kopf leben, sind nicht einmal dazu imstande, einen Ofen, geschweige denn Möbel zu kaufen.“ (14. November 2014)