Wie bereits angekündigt, zieht es heute am Tag der Volksempörung (közfelháborodás napja) wieder Zehntausende Menschen auf die Straße. Im ganzen Land wurden Demonstrationen angemeldet. Schon lange geht es nicht mehr um einzelne Anliegen, wie die Internetsteuer, sondern um eine allgemeine Unzufriedenheit mit den hiesigen Zuständen. Beginn der Veranstaltung ist für 18 Uhr angesetzt. Im Sozialen Netzwerk Facebook sagten mehr als 21.000 Menschen ihr Kommen an.
Im Live-Ticker hält Sie die Budapester Zeitung zu den Ereignissen auf der Demonstration am Kossuth tér auf dem laufenden.
18:02 Uhr – Aus allen Richtungen strömen Menschen zum Kossuth tér. Es ist bereits abzusehen, dass deutlich mehr Demonstranten als angekündigt sich einfinden werden. Den pünktlichen Anfang der Veranstaltung macht auf der Bühne Mihály Dabóczy. Er macht in seiner Ansprache klar, warum man sich erneut zur Demonstration eingefunden hat: „Wir haben genug davon, dass wir nicht wissen, in wessen Hand die Macht ist.“
Bereits seit dem Nachmittag wurde die Demonstration sowohl auf Seiten der Polizei als auch diverser Protestgruppen vorbereitet. Schon 15 Uhr fanden sich vereinzelte Fahnen schwenkende Demonstranten als auch Fernsehteams ein.
18:18 Uhr – Auf dem Kossuth tér drängen sich die Menschen eng an eng, zur Alkotmany utca hin wird es jedoch weniger dicht. Slogans wie „Wir sind nicht allein“ sorgen für Jubel bei den Anwesenden. Die oppositionelle Partei MSZP hisst die Europa-Flagge aus dem Fenster ihres Büros im Parlament.
18:20 Uhr – In dem Gedicht mit dem Titel „Ich bin wütend, weil…“, versucht eine der Rednerinnen, Emma Krasznahorkai in Worte zu fassen, was ihrer Meinung nach der Kern der aktuellen Problematik ist. Dafür erntet sie vermehrt Applaus, aber auch Pfiffe.
18:28 Uhr – Als nächstes spricht Luca Kertész: „Allein sind wir niemand, gemeinsam sind wir das Volk.“ Im Publikum befinden sich besonders viele junge Leute und junge Familien. Auf Plakaten sind Botschaften zu lesen wie: „Eine korrupte, zynische Regierung wollen wir nicht!“, „Mafiaregierung!“ oder „Lauf Viktor, lauf!“
18:32 Uhr – Volksbefragung für umme, gleich hier auf dem Kossuth tér: Wollt ihr, dass die Regierung weitere Milliarden aus dem Sektor der öffentlichen Bildung abziehen? Wollt ihr, dass nur Auserwählte ins Gymnasium gehen können? Wollt ihr, dass eure Kinder bereits mit 14 Jahren die Schule und dann das Land verlassen müssen? Die einhellige Antwort des Publikums lautet: „NEIN!“
18:37 Uhr – Auf der Bühne werden alle Probleme angesprochen, die schon seit langer Zeit für Unmut in der Bevölkerung sorgen: Bildung, Ausgaben und die undemokratische Staatsführung der Fidesz-KDNP-Regierung. Derzeit spricht András Horváth, ehemaliger Mitarbeiter der Steuerbehörde NAV, zum Thema Korruption. Zitat: „So viele Steuern können wir gar nicht zahlen wie ihr klaut.“ Weiterhin bemängelt Horváth, dass die ungarische Regierung Null-Toleranz gegenüber Organisationen und Gruppierungen gezeigt hätte, die sich bisher aktiv gegen Korruption eingesetzt haben. „Was ist der nächste Schritt? Wer sich gegen Korruption ausspricht, wird demnächst wegen Staatsfeindlichkeit ins Gefängnis geworfen?“, fragt Horváth. Er fordert die Schaffung eines unabhängigen Anti-Korruptionsbüros
18:46 Uhr – Die Stimmung auf der heutigen Demonstration scheint etwas gelöster, als bei den Veranstaltungen der vergangenen Wochen. Die Menschen trinken selbst gebrachten Glühwein und essen Brezeln. Es wird gelacht. Auch das Polizeiaufgebot fällt geringer aus, als erwartet. Jedoch werden die Ereignisse und Demonstranten von zahlreichen Polizisten mit Kameras auf Film festgehalten.
18:59 Uhr – Die Ansprachen neigen sich schon langsam ihrem Ende zu, jedoch mit dem Versprechen: „Wir sehen uns wieder.“ Demonstration wird als Erfolg wahrgenommen: „Von Finnland bis Malta demonstrieren die Leute mit uns.“ Doch auch im eigenem Land, von Sopron bis nach Veszprém seien die Menschen auf der Straße, um Veränderungen zu fordern.
19:05 Uhr – Balázs Nemes fordert, dass sich Orbán den Forderungen und der Kritik der Bevölkerung stelle, denn: „Was ist einer, der sich nicht traut, sich Gegenmeinungen zu stellen?“, fragt Nemes. Die Antwort schallt aus dem Publikum: „Feige!“
19:11 Uhr – Nach ein bisschen mehr als einer Stunde wurde nun das offizielle Ende der Demonstration verkündet.
19:30 Uhr – Die Menge löst sich langsam auf. Doch viele bleiben, unzufrieden von der kurzen und eher kraftlosen Demonstration, wissen die aufgestachelten Protestler nicht, was tun? Einige hundert platzieren sich vor dem Haupteingang des Parlaments und scheinen sich Zugang verschaffen zu wollen. Die Polizeieinsatzkräfte reagieren unmittelbar. Der Haupteingang des Parlaments öffnet sich plötzlich und zahlreiche weitere Einsatzkräfte strömen ins Freie und beziehen Stellung. Von den Demonstranten werden sie mit lauten Buhrufen empfangen. Einige Demonstranten, die für einen Sitzstreik vor dem Eingang Platz genommen haben, werden von der Polizei friedlich weggetragen.
19.50 Uhr – Die Stimmung ist angespannt. Mehrere Tausend Demonstranten drängen sich nach wie vor am Kossuth tér vor dem Parlament zusammen. Immer wieder brechen die Menschen in Sprechchöre aus und skandieren meist „Orbán hau ab!“ oder „Viktator“. Die angestaute Frustration der Demonstranten ist beinahe greifbar.
19:58 Uhr – Die Stimmung kippt plötzlich. Es scheint als sei es Demonstranten gelungen sich Zugang zum Parlament zu verschaffen. Die anwesenden Polizisten reagieren sofort und ziehen sich am Parlamentseingang zusammen. Aus dem Nichts erscheinen mehrere Einsatzeinheiten in voller Ausrüstung und Vermummung. Im vorderen Bereich hat sich ein Handgemenge zwischen Polizisten und Demonstranten entwickelt.
20:04 Uhr – Die Polizei kündigt die sofortige Räumung des Platzes an und fordert alle Anwesende auf zu gehen. Die Demonstranten reagieren mit Pfiffen und Sprechchören: „Demokratie“, „Wir sind das Volk!“ und „Nieder mit Orbán.“ Die Stimmung wird aggressiver.
Um ihre Entschlossenheit zu zeigen nicht einen Meter zu weichen, setzen sich zahlreiche Demonstranten an vorderste Linie auf den Boden und müssen von Polizisten abtransportiert werden.
20:30 Uhr – Auch anderthalb Stunden nach Demonstrationsende verbleiben 2.000 bis 3.000 Demonstranten auf dem Parlamentsvorplatz. Auch die Polizei zeigt unverminderte Präsenz. Beide Seiten beäugen einander misstrauisch.
22:15: Auch mehr als drei Stunden nach dem Ende der Demonstration sind noch immer Menschen auf dem Kossuth tér. Die Polizei spielt offenkundig auf Zeit und hofft, dass die Demonstranten ermüden. Obgleich die Stimmung zwischenzeitlich explosiv war, ist es mittlerweile ruhiger.
Noch mehr Bilder von der Demonstration finden Sie hier.