In keiner Stadt mangelt es an Mythen, an urbanem Gemunkel über diese oder jene mysteriöse Begebenheit vergangener Zeiten, an Geschichten, die selbst die kleinste Ungereimtheit in den Rang eines Staatsgeheimnisses erheben. Und in keiner anderen Stadt gedeihen sie so gut wie im historischen und wunderschönen Budapest. Die Budapester Zeitung geht in dieser Reihe einigen dieser oft von Touristenführern wiedergegebenen Stadtlegenden auf den Grund.
Es gibt Orte, die sich so den neugierigen Augen der Öffentlichkeit entziehen, dass ihre Existenz schon innerhalb nur einer oder zwei Generationen von Menschen in Vergessenheit gerät. Nach Jahrzehnten im Dämmerbereich zwischen geschichtlicher Realität und dem Reich der Legenden üben diese vergessenen Orte heute jedoch auf viele eine unglaubliche Faszination aus. So füllen Hobby-Abenteurer ganze Foren mit Erforschungsberichten und Fotoreportagen aus verfallenen Industrieanlagen, ehemals strenggeheimen Tunneln oder stillgelegten Flughangars aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch im Herzen der Budapester Innenstadt gibt es einen solchen vergessenen Ort – ein altes Bunkersystem unter Pests Innenstadt.
Kaum einer weiß, dass sich 40 Meter unter der Erdoberfläche, zwischen Szabadság tér und Kossuth tér, im V. Bezirk der Stadt auf 4.000 Quadratmetern Fläche eines der düstersten Bauwerke des Kalten Krieges erstreckt: Der Schutzbunker mit dem behördlichen Namen F-4 objektum, besser bekannt als Rákosi-Bunker.
Errichtet wurde der Bunker, dessen Bau 1952 begann und erst 1963 abgeschlossen wurde, um dem damaligen stalinistischen Diktator Ungarns (1949- 1956) Mátyás Rákosi und seiner gesamten kommunistischen Führungsriege im Falle eines Atomkrieges Schutz zu bieten. Der Bau wurde für die Beherbergung von mehr als 2.000 Personen ausgelegt. Ein Wasserspeicher von 150 Kubikmeter Füllungsvermögen, Generatoren sowie ein komplexes Belüftungssystem, das nicht nur die Sauerstoffzufuhr gewährt, sondern auch radioaktiven Staub filtert, sollten ein Überleben auch im Falle eines Nuklear-Angriffs ermöglichen. Der Bunker verfügt ebenfalls über einen Anschluss zur Metrolinie, sodass im Notfall in den Bunker geflüchtete Personen zunächst mit der Metro bis zum Keleti Bahnhof und von dort mittels eines speziell präparierten, geschützten Zuges aus der Stadt befördert werden können.
Streng geheime Bauarbeiten
Lange unterlag die Existenz des Schutzbunkers strengster Geheimhaltung und auch der Bau der Anlage wurde erfolgreich vertuscht. Keine leichte Aufgabe, wenn man die Ausmaße des Bauvorhabens bedenkt. Lange hielt sich das Gerücht, dass für den Bau des Rákosi-Bunkers Gefängnisinsassen herangezogen wurden, denen jegliche Kommunikation mit der Außenwelt verboten war. Tatsächlich wurden für die Arbeiten jedoch Minenarbeiter aus dem ländlichen Raum rekrutiert. Die mangelnde Ortskenntnis der Arbeiter ermöglichte die Geheimhaltung des Bauvorhabens, das unter dem Deckmantel eines noch viel aufsehenerregenderen, zeitgleich im Bau befindlichen Großprojektes errichtet wurde: Budapests zweite Metrolinie, deren Verlauf auch eine unterirdische Haltestelle und Tunnelsysteme im Bereich des Kossuth tér einschloss. Kaum einer der Arbeiter erkannte 40 Meter unter der Erde, dass er hier nicht an einer der Metrostationen, sondern an einem gewaltigen Schutzbunker für die obersten Kommunisten mitwirkte. Einzig der Hauptausgang des Gebäudes wurde später unter allerstrengster Geheimhaltung errichtet. Dieser befand sich in der Steindl Imre utca 12, wurde jedoch im Jahr 2009 abgerissen. Für jeden sichtbar ist heute jedoch noch eine der Ventilationsöffnungen des Bunkers, die auch als Notausgang dienen konnten, an einer der Ecken des Szabadság tér.
Ideen für neuen Verwendungszweck gesucht
Zum Glück kam der Bunker nie zum Einsatz, und so ist die Einrichtung samt aller Technik bis heute in einem zwar etwas maroden, aber doch vollständigen Zustand erhalten. Die Obsorge für die Verwaltung und Wartung liegt, das mag einen überraschen, bei den Budapester Verkehrsbetrieben, der BKV. Einmal wöchentlich steigen technische Mitarbeiter der BKV in den Bunker hinab, um alle Anlagen zu warten. Eine Aufgabe, die die BKV gerne abgeben würde. Bisher scheiterten jedoch alle Versuche, das Objekt einer neuen Verwendung zuzuführen. Es habe zum Beispiel die Idee gegeben, den Bunker in eine Ruinenkneipe umzufunktionieren. Doch leider mussten die Initiatoren lernen, dass trotz des anhaltenden Budapester Trends sich nicht alles, was vier Wände hat, auch zur Ruinenkneipe eignet: Eine mögliche Bunkerkneipe scheitert schon allein an der Unmöglichkeit, die nötigen Brandschutzvorschriften zu gewährleisten. Aber auch Nokia Siemens Networks interessierte sich für die Mietung des Objekts, und sogar die Anlage einer Pilzzucht im Untergrund wurde vorgeschlagen. Vielleicht wird ja dem F-4 objektum auch irgendwann ein ähnliches Schicksal zuteil wie dem Felsenkrankenhaus unter der Budaer Burg. Diese im 20. Jahrhundert ebenfalls als Luftschutz- und Atomschutzbunker genutzte Einrichtung wurde zum Museum umgestaltet – als ewiges Zeugnis des Kalten Krieges, als die Welt sich am Rande eines Atomkrieges wähnte.