Ist die Rücknahme der Internetsteuer für die Regierung aufgegangen oder wurden die Probleme damit nur auf Eis gelegt?
Gábor Török: Es stand außer Frage, was die richtige Entscheidung sei, allerdings war nicht klar, ob Orbán dazu fähig ist, diesen Schritt zu machen. Er war dazu fähig. Den Freitag (Tag der Ankündigung der Rücknahme der Internetsteuer; Anm.) hat er politisch denn auch für sich entschieden. Was aber die langfristigen Konsequenzen dieser Entscheidung angeht, da bin ich mir nicht sicher.
Gábor G. Fodor: Meines Erachtens entspricht das, was Orbán am Freitag im Radio (Kossuth Rádió; Anm.) gesagt hat, der Realität. Die Regierung hatte lediglich die Absicht, eine sektorale Steuer (Telekommunikationssteuer; Anm.) auszuweiten. Allerdings bekamen die Menschen diese steuerliche Ausweitung in den falschen Rachen. Die sogenannte Internetsteuer wurde als Schröpfung des Volkes aufgefasst. Mehr noch: Sie wurde als Versuch der Regierung erlebt, den Menschen die Freiheit zu nehmen…
GT: …nicht die Menschen bekamen die Steuer in den falschen Rachen. Vielmehr waren die Entscheidungsträger nicht weise genug. Sie sahen die Konsequenzen nicht ab. Es gibt drei Erklärungen für die sogenannte Internetsteuer. Erstens: Sie wurde aufs Tapet gebracht, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von etwas anderem abzulenken. Zweitens: Irgendetwas hätte mit ihr vorbereitet werden sollen. Drittens: Die Entscheidungsträger sind stümperhaft vorgegangen. Meiner Meinung nach trifft die letzte Erklärung zu. Es ging wirklich nur darum, eine Sondersteuer auszuweiten, wobei die Entscheidungsträger die Konsequenzen nicht vorhersahen.
GGF: Es war eine sinnlose Initiative, die noch dazu ungeschickt vorgebracht wurde. Was sich allerdings in dieser Situation gezeigt hat: der Vorrang der Politik gegenüber der Sachpolitik. Der Ministerpräsident kam, sah und ruderte zurück. Mit anderen Worten: Er löste mit einem Schlag das Problem. Damit brach auch die Verschwörungstheorie in sich zusammen, wonach Orbán ein Diktator sei, der entschieden hatte, den Ungarn durch die Beschränkung ihrer Freiheit eins auszuwischen. Die Situation mit der „Internetsteuer” hat vor Augen geführt, dass man auch siegen kann, indem man verliert.
GT: Die Situation hat aber auch gezeigt, dass es auf Regierungsebene Probleme mit der Entscheidungsfindung gibt. Wenn sich so lange niemand findet, der darauf aufmerksam macht, mit welchen Konsequenzen die Internetsteuer einhergehen wird…
GGF: Das stimmt. Es gibt diesbezüglich aber auch eine andere Interpretation. Orbán ist für einige Tage in die Schweiz verschwunden. „Schauen wir mal, wie ihr, die Thronanwärter, ohne mich zurecht kommt!” Und wie sind sie zurechtgekommen? Sie fielen völlig aus der Rolle, der eine wie der andere. Sie waren nicht nur lahme Enten, sondern auch außerstande, eine Entscheidung zu fällen.
GT: Dieses System hat Viktor Orbán in dieser Form aufgebaut. Wegen ihm funktioniert es so.
GGF: Keine Frage. Ich wollte nur sagen, dass er aus dieser Situation gestärkt hervorgegangen ist. Er ist zurückgekehrt, hat ein brenzliges Problem gelöst und im Lager der Opposition Chaos geschaffen. Die Optik war durchgehend schief: Alle glaubten, dass der große oppositionelle Durchbruch da sei, während der Ball bei der Regierung lag.
GT: Wir machen einen Fehler, wenn wir die Internetsteuer isoliert betrachten. Sie ist bloß eine Episode: Die Regierung hat einen Fehler begangen, ihn eingesehen und korrigiert. Was wir aber nicht wissen: Was verbirgt sich im Hintergrund. Die ganze Situation ist nämlich ausschließlich im Lichte des US-Einreiseverbots interessant.
Wissen Sie, wer vom Einreiseverbot betroffen ist?
GT: Nein.
GGF: Nein.
Ist niemand vom Think tank Századvég auf der Liste?
GGF: Ich weiß nicht, wer auf der Liste steht. Ich weiß nur, dass die Mitglieder des Századvég Kuratoriums, dem auch ich angehöre, allesamt Anträge auf Einreise in die USA gestellt haben. Wir haben auch allesamt die Einreiseerlaubnis bekommen. (Es wurde spekuliert, dass der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts Századvég, Péter Heim, vom US-Einreiseverbot betroffen ist; Anm.) (…)
GT: Was mich am Einreiseverbot wirklich interessiert, ist das, was dahintersteckt. Wir wissen nichts davon, welche Informationen im Besitz der Amerikaner sind.
GGF: Muss tatsächlich etwas in ihrem Besitz sein?
GT: Wenn sie nichts Greifbares in der Hinterhand hätten, würden sie sich nicht so aus dem Fenster hängen.
GGF: Warum nicht? Es geht hier eindeutig darum, Druck auszuüben. Diese Affäre handelt davon, dass der Bewegungsspielraum der ungarischen Regierung eingeschränkt werden soll. Dies kann mehrere Phasen haben, angefangen vom „Wir sagen euch, wie ihr euch verhalten sollt” bis hin zur Absicht, Viktor Orbán zu demontieren.
Ist Letzteres realistisch?
GT: Ich kann mir eine Affäre vorstellen, die Viktor Orbán aus dem Amt bugsieren könnte. Meines Erachtens läuft das Spiel jetzt aber nicht darauf hinaus.
Selbst Gyurcsány musste nicht nach der Rede von Balatonőszöd zurücktreten.
GT: Theoretisch ist eine umfassende Korruptionsaffäre vorstellbar, die den Ministerpräsidenten zu Fall bringen könnte. Es sollte im Interesse der Regierung sein, den Nebel zu lichten, das heißt, sie sollte klären, was sich hinter dem US-Einreiseverbot verbirgt. Tut sie das nicht, erweckt sie den Eindruck, dass sie Angst davor hat, was die Amerikaner wissen.
GGF: Ich kann diese Angst nicht sehen.
GT: Ich sehe nur diese Angst.
GGF: Sollte es Angst geben, dann entspringt diese sicher nicht der Affäre um das Einreiseverbot. Vielmehr geht es darum, dass es fast immer von Erfolg gekrönt ist, wenn sich die Amerikaner irgendwo auf der Welt einmischen. Die Sorgen, sofern es welche gibt, sind meiner Meinung nach eher auf die möglichen Konsequenzen zurückzuführen als auf die Affäre. Was kann man auf Aufrufe wie „Kämpft gegen die Korruption” antworten? Generell kann man dieser Aufforderung nicht gerecht werden, weil es in jedem Land Korruption gibt.
GT: In jedem Land, ja, nur stellt sich hier die Frage, ob die Regierung in die Korruption verwickelt ist.
GGF: Jeder kann etwas Dreck am Stecken haben. Es ist aber möglich, dass niemals bekannt wird, was hinter der Affäre steht, weil die Sache letztlich darauf hinausläuft, Verunsicherung zu schaffen. Was aber noch unheimlicher ist: In der ungarischen Politik treten heute solche Interessen beinhart zutage, die früher nicht zu sehen waren. Amerikanische Interessen, russische Interessen, EU-Interessen…
GT: Aber Gábor, dass nennt man doch Politik! Der Stärkere und Gescheitere gewinnt, der Schwächere und Dümmere zieht den Kürzeren. In der internationalen Politik ist Amerika der Fidesz. Es schreckt nicht davor zurück, sich jener Instrumente zu bedienen wie hierzulande die Regierungspartei.
GGF: Der Unterschied ist riesig: Amerika wurde von niemandem gewählt, um den Weltpolizisten zu spielen. Diese Rolle ist seiner Macht geschuldet, nicht aber dem Wählerwillen. Amerika ist eine Gelddemokratie. Dort haben diejenigen eine Stimme, die auf vielen Dollars sitzen. In dem Wissen, dass auch Merkel Druck auf Orbán ausübt, wenn es um die Interessen deutscher Unternehmen geht, ist es nicht abwegig, davon auszugehen, dass auch die Amerikaner wirtschaftliche Interessen haben, für die sie jetzt in dieser Form kämpfen. Das Problem der Amerikaner liegt nicht darin, dass sie Probleme mit der Demokratieauffassung der Regierung oder ihrem Umgang mit der Zivilgesellschaft haben, sondern darin, dass wir ihre Interessen verletzen.
Das hier in Auszügen abgedruckte Gespräch erschien am 6. November 2014 in der konservativen Wochenzeitung Heti Válasz.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar
„Aber Gábor, dass nennt man doch Politik! Der Stärkere und Gescheitere gewinnt, der Schwächere und Dümmere zieht den Kürzeren. In der internationalen Politik ist Amerika der Fidesz. Es schreckt nicht davor zurück, sich jener Instrumente zu bedienen wie hierzulande die Regierungspartei.“
Genau das ist Politik nicht – sollte es jedenfalls nicht sein, wenn sie über den eigenen Machterhalt hinaus etwas erreichen will. Was hier aber dem Fidesz, in offenbar lobender Absicht, und leider nicht zu Unrecht, unterstellt wird.