
Volkswirtschaftsminister Mihály Varga hat den USB-Stick mit dem Haushaltsentwurf für 2015 an Parlamentspräsident László Kövér übergeben.
Die Regierung hat den Haushaltsplan für das kommende Jahr im Parlament eingebracht. Nun macht sich jeder seinen Reim auf die vorgelegten Zahlen.
Es war Mitte der 90er Jahre, als mir eine anerkannte ungarische Volkswirtin ihr Unverständnis wegen der alljährlich ausbrechenden Hysterie um die Vorstellung des Haushaltsplans für das jeweils nachfolgende Jahr anzeigte. Der Staatshaushalt sei in der ungarischen Öffentlichkeit vollkommen übergewichtet, meinte sie, dabei handle die Marktwirtschaft doch genau umgekehrt davon, dass sich der Staat mehr und mehr auf seine grundlegenden Funktionen beschränken und ergo auch aus dem Wirtschaftsleben zurückziehen werde. Ich fand damals, die Frau sei ihrer Zeit voraus, denn die ungarischen Staatsfinanzen litten unter unbarmherzigen Ungleichgewichten und der Staat überlagerte die Wirtschaft wie ein Krake. Was wir aber beide nicht geglaubt hätten: Im Ungarn des Jahres 2014, unter dem Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orbán bleiben die obigen Aussagen ein frommer Wunsch, denn nunmehr gilt mehr Staat wieder als salonfähig und gewollt.
In diesem Umfeld stellte die Regierung vergangene Woche den Entwurf zum Haushaltsplan für 2015 vor. Wie wir bereits berichteten, soll das Defizit nur noch 2,4 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) betragen. Ministerpräsident Viktor Orbán legte in seinem Freitag-Interview für das öffentlich-rechtliche Kossuth Rádió sogleich nach, dass „der gesunde Menschenverstand“ einen Nullsaldo verlange. Die durch seinen Volkswirtschaftsminister Mihály Varga einkalkulierten Neuschulden im Volumen von 878 Mrd. Forint (ca. 2,8 Mrd. Euro) sind demnach immer noch 878 Milliarden zu viel. Übrigens nannte er Deutschland mit seinen Sparanstrengungen als Vorbild. Deshalb bekommt Berlin aber auch scharfe Kritiken nicht nur von der Peripherie der EU, weil das „Gesundsparen“ der reichen Deutschen die Chancen der Südländer einschränkt, sich am eigenen Schopf aus ihrem Schuldensumpf zu ziehen.
Rentenzusage lebte drei Tage
Varga bezeichnete den Haushaltsentwurf für 2015 vergangenen Donnerstag im Parlament als „Budget der Abrechnung mit den Banken“, weil diese 1.000 Mrd. Forint an die Devisenkreditnehmer zurückgeben müssten, die sie auf unlautere Weise erhoben hätten. Wie sich diese politisch motivierte Position im Staatshaushalt niederschlägt, konnten wir allerdings nicht entdecken. Varga wiederholte ansonsten Dinge, die er bereits bei der Vorstellung der Steuergesetze loswerden wollte, als er deren familienfreundlichen Charakter in den Mittelpunkt seiner Ausführungen rückte. Neu war der Fakt, dass für die staatlichen Arbeitsprogramme erneut mehr Geld bereitgestellt wird, die 2015 bereits 270 (+35) Mrd. Forint verschlingen werden. Für Polizisten, Soldaten und Pädagogen wird die Regierung die Lohnsumme um 82 Mrd. Forint erhöhen. Ebenso verpflichtet sich der Staat, ab September 2015 ausreichend Kindergartenplätze anzubieten, weil dann – erziehungspädagogisch begründet – die Eltern die Pflicht haben werden, ihre dreijährigen Sprösslinge in einen Kindergarten zu stecken.
Die angebliche Stärkung des Systems der Hausärzte wurde uns von Betroffenen bereits dementiert; hier trickst die Regierung mit den Beträgen: Tatsächlich wird ein neuer Zuschuss von 10.000 Forint eingeführt, zur gleichen Zeit aber ein anderer Verrechnungsbetrag gesenkt. Was die Renten anbelangt, gab es erst gar keine Verpflichtung – hier sprach Varga lediglich von einem Realwert, den es zu bewahren gilt. Allerdings hatte sein Ministerkollege Zoltán Balog den Rentnern nur wenige Tage vorher eine Erhöhung ihrer Bezüge um 2,2 Prozent versprochen; laut Varga bleiben davon 1,8 Prozent übrig. Unterdessen lässt der Bürokratieabbau, den der das Ministerpräsidialamt leitende Minister János Lázár zwischen den Wahlterminen lanciert hatte, auf sich warten: Neben zahlreichen weiteren Versprechen sollen auch so manche staatlichen Gebühren erst ab 2016-2018 sinken.
Mitte November beginnt die allgemeine Haushaltsdebatte im Parlament, das voraussichtlich am 15. Dezember über den Staatshaushalt für 2015 abstimmen wird.
Die für die neue Internetsteuer, die ja eigentlich nur eine Ausweitung der Telekommunikationssteuer sein sollte, im Haushaltsplan einkalkulierten 25 Mrd. Forint sind bereits Makulatur, werden das Gesamtbild aber kaum erschüttern. Zumal insgesamt 100+60 Mrd. Forint „für nicht vorhersehbare Situationen“ als Haushaltsreserve zurückgestellt werden. Vater Staat möchte im kommenden Jahr insgesamt 16.381 Mrd. Forint einnehmen (minus Internetsteuer), bei einem auf gut 33.000 Mrd. Forint angesetzten erwarteten BIP. Die Staatsschulden sollen bis Jahresende nominal auf 25.100 Mrd. Forint oder 75,4 Prozent am BIP sinken, der Eurokurs wird recht optimistisch bei 310 Forint, der Schweizer Franken bei 255 Forint erwartet – also auf dem gegenwärtigen Niveau.
Tatsächlich weniger Geld für Familien
Der Volkswirtschaftsminister rechnet für das kommende Jahr vorsichtiger mit einem Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent (für 2014 erwartet die Regierung aktuell 3,2 Prozent), die mittlere Inflation wird nach stagnierenden Verbraucherpreisen dieses Jahres wieder auf 1,8 Prozent zulegen. Der Zuwachs der Reallöhne wird sich Varga zufolge auf 1,8 Prozent halbieren, der Privatverbrauch mit +2,1 Prozent leicht darüber tendieren. Die Investitionen der öffentlichen Hand werden nach dem diesjährigen Boom wenig überraschend um zwei Prozent zurückgehen, der Export-Import-Saldo bei einer mit +7 Prozent anhaltenden Handelsdynamik konstant bleiben, während der Überschuss der Zahlungsbilanz um eine weitere Milliarde auf 5,3 Mrd. Euro zulegen soll.
Für die Wohlfahrt wird der Staat 2015 wieder 120 Mrd. Forint mehr und damit insgesamt 9.100 Mrd. Forint aufwenden. Allein 3.000 (+60) Mrd. Forint fließen an Rentenzahlungen; die Gesamtausgaben der Sozialversicherungskassen werden hingegen stagnieren. Bildungs- und Gesundheitswesen erhalten weiterhin weniger Geld als 2013. Für Familienzuschüsse wird der Staat im Rahmen seines familienfreundlichen Budgets absolut vier Prozent weniger Geld bereitstellen.
Zwar sinken auch die Ausgaben für den Schuldendienst, der aber immer noch 1.200 (-50) Mrd. Forint verschlingt. Beobachtern fiel sogleich auf, dass die von Ministerpräsident Viktor Orbán auf dem jüngsten NATO-Gipfel gemachten Zusagen an die Bündnispartner keinen Niederschlag im Budgetplan finden. Die Verteidigungsausgaben stagnieren demnach, wo sie doch (wenigstens mittelfristig) um 200 Mrd. Forint nahezu verdoppelt werden müssten, um die Amerikaner nicht schon wieder zu verärgern. Sehr ehrgeizig erscheint des Weiteren die erwartete Zunahme an Einnahmen aus der Mehrwertsteuer (ÁFA) um rund 150 Mrd. Forint, selbst wenn die Regierung immer neue Maßnahmen zur effizienteren Steuereintreibung verwirklicht. Im Lichte des familienfreundlichen Haushalts erscheinen zudem +85 Mrd. Forint aus der Einkommensteuer suspekt. Die werden aber vonnöten sein, denn allein für den Bau von (Fußball-) Stadien, das Steckenpferd des Ministerpräsidenten, sollen 2015 erneut rund 65 Mrd. Forint fließen.