Der Mittwochmorgen begann in Ungarn mit einem Knalleffekt. Nach wochenlangem Rätselraten darüber, welche Personen vom Einreiseverbot betroffen sind, das von den USA gegen sechs ungarische Offizielle verhängt wurde, gibt es nun den ersten sicheren Namen: jenen der Direktorin der mächtigen Steuerbehörde NAV, Ildikó Vida.
In den ungarischen Medien wurde von Anfang an darüber spekuliert, dass die NAV-Chefin vom US-Einreisebann betroffen sein könnte. Nachdem eine mediale Treibjagd gegen sie begonnen worden war und sich die Verdachtsmomente gegen ihre Person verdichtet hatten, packte sie gegenüber der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Nemzet schließlich aus und outete sich bereits in der ersten Frage des Journalisten, ob sie denn zu den vom US-Einreiseverbot berührten Personenkreis gehören würde, unumwunden mit einem klaren „Ja“.
Wie sie gegenüber dem Blatt sagte, sind „mehrere Mitarbeiter” der Steuerbehörde vom US-Einreisestopp betroffen. Namen nannte sie aber keine. Sie sei eine „Muttertigerin” und wolle diese nicht preisgeben. Vida verriet auch, dass sie selbst eine Person aus Regierungskreisen benachrichtigt hätte. Demnach wusste also auch die Regierung zumindest vom Einreiseverbot gegen die NAV-Direktorin.
Indes hatten diverse Regierungsvertreter, darunter der direkte Vorgesetzte von Vida, Volkswirtschaftsminister Mihály Varga, in den vergangenen Wochen wiederholt ausgeschlossen, dass die Direktorin der Steuerbehörde unter jenen sechs Personen sein könnte, gegen die ein US-Einreiseverbot verhängt worden war.
Wer lügt, NAV-Direktorin Ildikó Vida oder die Regierung?
Mehr noch: Die Regierung hat bisher beharrlich bestritten, im Besitz der Namen der sechs Betroffenen zu sein. Sowohl Außenminister Péter Szijjártó als auch Volkswirtschaftsminister Varga und Kanzleramtsminister János Lázár untermauerten dies. Varga sagte selbst noch nach dem Outing von Vida, dass er „überrascht” sei. Für die ungarische Presse ist angesichts dieser Widersprüche jedenfalls eines klar: Entweder Vida lügt oder die Regierung sagt nicht die Wahrheit.
Dass die Regierung entgegen den Behauptungen einiger ihrer Vertreter schon früh vom Einreiseverbot gewusst haben musste, ist auch den Worten des Geschäftsträger der US-Botschaft in Budapest, André Goodfriend, zu entnehmen. Goodfriend gab zu Protokoll, er habe das ungarische Außenamt bereits am 6. Oktober in Kenntnis gesetzt, dass ungarische Offizielle wegen Korruption mit einem US-Einreisebann belegt worden sind.
Mit einem Fragezeichen verbunden ist auch die Frage, wann Ildikó Vida von US-Seite jenen Brief bekommen hat, in dem sie von ihrem Einreiseverbot in die USA benachrichtigt wurde. In ihrem Interview mit Magyar Nemzet behauptet Vida, dass sie dieses Schreiben erst einige Tage nach dem 16. Oktober erhalten habe, jenem Tag also, als der Skandal um das US-Einreiseverbot ausbrach. Es mutet hierbei seltsam an, dass die US-amerikanische Botschaft das Außenamt bereits am 6. Oktober benachrichtigt hatte, während Vida als Betroffene erst zwei Wochen später von ihrem Einreiseverbot erfuhr.

Ildikó Vida: „Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen und werde deswegen auch nicht zurücktreten.“
Anonymus: „Lüge und Korruption sind Zwillingsgeschwister”
Fragen wirft auch die geheimnisumwitterte Person aus Regierungskreisen auf, die Ildikó Vida von ihrer Degradierung zur Persona non grata benachrichtigt hatte. Nach menschlichem Ermessen ist Volkswirtschaftsminister Mihály Varga jene Person, die diesbezüglich am ehesten in Frage kommt, ist er doch der direkte Vorgesetzte der NAV-Direktorin.
Allerdings steht diesem Szenario entgegen, dass Varga mehrfach dementiert hat, von Vida über deren Einreiseverbot in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Vida verriet gegenüber Magyar Nemzet, dass jene geheimnisvolle Person aus Regierungskreisen ihr folgenden Ratschlag gegeben hätte: „Selbst wenn der Vorwurf (Korruption; Anm.) vage und nebulös ist, ist es ratsam, sich zu exponieren und die Wahrheit zu sagen, denn Lüge und Korruption sind Zwillingsgeschwister. Wo eine der beiden Zwillingshälften auftaucht, erscheint auch die andere bald.”
Fragwürdig ist auch der Umstand, dass Ildikó Vida ausgerechnet Magyar Nemzet ein Interview gegeben und die Regierung darin indirekt in den Verdacht der Lüge gebracht hat. Hinter der Zeitung steht jener Lajos Simicska, der einer der reichsten und nicht zuletzt einflussreichsten Geschäftsleute des Landes ist, und seit einiger Zeit mit Ministerpräsident Viktor Orbán im Clinch liegt. Der Grund: ein Machtkampf. Bekanntlich waren Orbán und Simicska bis vor kurzem enge Freunde und Vertraute durch dick und dünn. Dass das Vida-Interview in Magyar Nemzet erschienen ist, könnte also durchaus ein Seitenhieb von Simicska an die Adresse von Orbán sein.
Vida beteuert, in keine Korruptionsaffäre verstrickt zu sein
Die Chefin der Steuerbehörde wies gegenüber Magyar Nemzet auch dezidiert von sich, dass sie in eine Korruptionsaffäre verstrickt sei. Wie sie erklärte, hat sie sich nichts zuschulden kommen lassen, weshalb sie denn auch nicht zurücktreten wolle.
Vida sagte, dass sie vom US-Einreisestopp und der Hetzjagd durch die ungarischen Medien derart „erschüttert” worden sei, dass sie erst jetzt die Kraft habe aufbringen können, an die Öffentlichkeit zu treten. Sie sagte zudem, dass sie rechtliche Schritte gegen die Urheber jener Verleumdungskampagne einleiten wolle, die in den vergangenen Wochen gegen sie geritten worden sei.
Für die Opposition war das Coming out von Ildikó Vida freilich ein gefundenes Fressen. Der Partei- und Fraktionschef der Sozialisten (MSZP), József Tóbiás, rief Ildikó Vida zum Rücktritt auf. Wenn die NAV-Chefin dies nicht aus eigenen Stücken tue, dann müsse Volkswirtschaftsminister Varga sie mit sofortiger Wirkung absetzen.
Die Parteiformation „Gemeinsam-Dialog für Ungarn” ging sogar noch weiter. Sie forderte nicht nur NAV-Chefin Vida zum Rücktritt auf, sondern auch Volkswirtschaftsminister Mihály Varga und Kanzleramtsminister János Lázár, hätten doch beide gelogen, als sie behaupteten, die Namen der Betroffenen des US-Einreiseverbots nicht gekannt zu haben.
NAV als korrupte Institution in öffentlichem Gedächtnis?
Die rechtsradikale Partei Jobbik rief Vida ebenfalls zum Rücktritt auf. So könne sie die Steuerbehörde nämlich davor bewahren, dass diese als korrupte Institution im öffentlichen Gedächtnis haften bleibt. Auch die Ökopartei LMP forderte die Demontage Vidas. Sie stellte überdies die Frage in den Raum, wer wohl jene Person in Regierungskreisen sei, der sich Vida anvertraut hatte.
Zur Erinnerung: Am 16. Oktober wurde durch einen Artikel in der regierungsnahen Wirtschaftstageszeitung Napi Gazdaság bekannt, dass die USA gegen ungarische Offizielle in Ungarn ein Einreiseverbot verhängt hatten. Später teilte der Geschäftsträger der US-Botschaft in Budapest, André Goodfriend, mit, dass sechs ungarische Personen aufgrund „handfester Beweise” im Verdacht stünden, sich gegenüber US-Firmen, die in Ungarn tätig sind, der Korruption schuldig gemacht zu haben.
Das US-Einreiseverbot dürfte gegen Vida und weitere NAV-Mitarbeiter wohl deshalb verhängt worden sein, weil die ungarische Steuerbehörde bei ihren Untersuchungen mit Blick auf einen milliardenschweren Mehrwertsteuerskandal auffällig lasch und nachsichtig vorgegangen ist. Aufgrund der Mehrwertsteuerhinterziehung einiger ungarischer Unternehmen seien US-Firmen ins Hintertreffen geraten. Laut US-Gesetz ist es verboten, die Namen von Personen zu veröffentlichen, die von einem Einreiseverbot betroffen sind. Daher gab es von US-Seite bisher auch noch keine konkreten Informationen.