Volkswirtschaftsminister Mihály Varga tat bei der Ankündigung der Steuergesetzgebung für 2015 in der vergangenen Woche so, als würde sich nicht viel ändern. Das Wenige, was wegen des ehrgeizigen Haushaltsplans machbar sei, komme immerhin den Familien zugute. Großzügig ging er über Änderungen hinweg, die dem Staat mehr Einnahmen etwa aus den Verbrauchsteuern oder Cafeteria-Leistungen bringen sollen.
Im Jahre 2015 werden wir unsere Steuern in einem familienfreundlichen Steuersystem zahlen, das die Arbeit und die Kindererziehung achtet – die Kommunikation der Fidesz-Regierung klingt so, als ob es den Familien in Ungarn besser ergehen wird. Dabei werden die ihnen belassenen Steuergeschenke nominal gar nicht zunehmen, die auch 2015 wieder 230 Mrd. Forint (knapp 750 Mio. Euro) erreichen sollen. Junge Paare dürfen sich hingegen über die neueste Sozialmaßnahme freuen: Sie können sich gerechnet ab der Eheschließung zwei Jahre lang über Steuergutschriften von monatlich 5.000 Forint (16 Euro) freuen. Weitere Ankündigungen, mit denen offensichtlich die Geburtenrate angehoben werden soll, versprach Mihály Varga erst ab 2016; es genügt also voll und ganz, wenn wir darauf in einem Jahr wieder eingehen.
Viel wichtiger erscheint das Konzept, Arbeitsplätze zu schaffen und das Wachstum anzukurbeln. In diesem Sinne ist es eine löbliche Absicht des Ministers, die Körperschaftsteuer von heute 10 Prozent (für Kleinfirmen mit Umsatzerlösen unter 500 Mio. Forint) bzw. 19 Prozent „auf lange Sicht“ in einem einzigen Satz zu verschmelzen, sobald „die Wirtschaftsleistung des Landes dies möglich mache“. Aber wegen der langen Sicht leider vorerst nicht mehr als eine Absicht. Dabei waren die zehn Prozent einst gesetzlich für 2015 verankert worden…
Internetsteuer nur die Spitze vom Eisberg
Den Haushaltsentwurf wird die Regierung erst am Freitag im Parlament einreichen, weshalb sich zum jetzigen Zeitpunkt nur spekulieren lässt, warum der Staat auch 2015 wieder den Bürgern tiefer in die Taschen greift. Dabei bildet die neue Internetsteuer, an der sich gerade der Unmut der Gesellschaft entlädt, nur die Spitze eines Eisberges. Das Volkswirtschaftsministerium sprach bei besagter Ankündigung noch dezent von einer Ausweitung der Telefonsteuer auf Internetdienste. Für den eigentlichen Eklat sorgte die in Klammern gesetzte Präzisierung, wonach für jeweils 1 Gigabyte Datenverkehr 150 Forint (knapp 50 Eurocent) zu zahlen seien. Inzwischen könnten sich die Gemüter wieder beruhigen, denn wie schon bei besagter Telefonsteuer gilt auch im Falle von Internetdiensten eine Obergrenze von 700 Forint im Monat für Familien und von 5.000 Forint für Firmenkunden. Da in einem modernen Haushalt jedoch mehrere Internetverträge die Norm sind, wird eine Familie allein über die neue Steuer um monatlich mehrere tausend Forint erleichtert. Bereits am Dienstag verurteilte die Europäische Kommission die Internetsteuer mit dem Hinweis, eine Verbreitung dieses extrem schlechten Präzedenzfalls würde die Wachstumsaussichten in der gesamten EU einschränken.
Hingegen behauptet Mihály Varga, die Steuer werde die Verbraucher nicht treffen, da sie von den Dienstleistern zu entrichten sei. Der Wettbewerb am Markt sei intensiv genug, um eine Abwälzung auf die Kunden auszuschließen. In dieser Weise argumentierte die Fidesz-Regierung auch bei der Bankensondersteuer und der Transaktionssteuer. In der Tat gilt der ungarische Bankensektor als angebotslastig (im Fachjargon: „overbanked“), wenn also jemand die Steuerlasten nicht hätte weiterreichen können, dann wären das die Banken gewesen.
Der Generaldirektor der Magyar Telekom Nyrt., Christopher Mattheisen, zeigte gegenüber dem Wirtschaftsportal portfolio. hu sein Unverständnis ob der geplanten Internetsteuer: „Die M-Telekom unterstützt die ungarische Regierung ausgehend von der zu Jahresbeginn geschlossenen strategischen Vereinbarung darin, dass Ungarn die Zielstellungen im Digitalen Fahrplan 2020 der EU bereits zwei Jahre früher, 2018, erreicht und bis dahin sämtliche Haushalte an das Breitbandinternet angeschlossen sein werden. Dieses Ziel bedeutet, Netze zu bauen, die einen möglichst großen Datenverkehr aufweisen. Dafür dürfen wir dann aber immer mehr Steuern zahlen…. Die offizielle Begründung der Steuer können wir nicht interpretieren.“
Das Zentralamt für Statistik (KSH) wies in seiner Inflationsstatistik jedenfalls von einem Jahr zum anderen eine Verdopplung der Gebühren und Provisionen bei Finanzdienstleistungen aus. Kaum zu glauben, dass der Minister diese Zahlen schon wieder vergessen hat.
Cafeteria: 20.000 Forint mehr für den Staat
Bei der Cafeteria werden die Einbußen für die Arbeitnehmer eine ähnliche Dimension erreichen, auch hier sind die Steuervorschläge der Regierung eher kontraproduktiv. Die von den Arbeitgebern gewährten Zusatzleistungen werden 2015 bereits mit Steuern und Abgaben von 51,17 Prozent belegt (bislang waren es „nur“ 35,7 Prozent). Ob Kantinenversorgung, Nahverkehrsanrecht, Erzsébet-Gutschein, Zulagen zur freiwilligen Renten- und Krankenkasse oder aber die außerordentlich beliebte Széchenyi-Urlaubskarte: All diese Leistungen, die Arbeitgeber in Ungarn ihren Arbeitnehmern im Durchschnitt von ungefähr einem monatlichen Bruttolohn gewähren, werden deutlich stärker belastet. Von jeweils 1.000 Forint verbleiben demnach nur noch 660 Forint gegenüber zuletzt 740 Forint – rund 20.000 Forint holt sich der Staat über die Cafeteria bei jedem einzelnen Arbeitnehmer zusätzlich zurück! Das Fachportal cafeteriatrend.hu kam in einer Blitzumfrage unter ungarischen Firmen zu dem Ergebnis, dass diese auf die steigenden Abgabenlasten mit einem um ein Fünftel verringerten Nettobetrag ihres Cafeteria-Budgets reagieren wollen.
Gemessen daran werden es die Verbraucher kaum bemerken, dass weitere Erzeugnisse des täglichen Bedarfs wie Papier, Seife, Kosmetik oder Waschmittel der Produktgebühr unterzogen wurden, die gewöhnlich 10- 50 Forint ausmacht. Im Budget läppern sich daraus aber sehr schnell Milliardenbeträge zusammen. Als Rückzieher gegenüber der EU ist die Besteuerung des Nationalgetränks Pálinka zu verstehen; keine Rede mehr vom Freiheitskampf, der jedem Bürger für 50 Liter vom ungarischen Obstler das steuerfreie Schnapsbrennen erlaubte. Die ab sofort erhobene Verbrauchsteuer wird die weit verbreitet in Lohnbrennereien für den „privaten Verbrauch“ gebrannten Pálinkas um ein Drittel verteuern.
Welche Steuer wurde noch nicht auf die Verbraucher abgewälzt?
– Nur die Steuer, die noch nicht erhoben wurde. (Volksmund)
Auf alkoholische Getränke wird die sogenannte Chips-Steuer ausgeweitet, bei der es sich ja in Wirklichkeit um eine Besteuerung gesundheitsschädigender Lebensmittel handelt. Die neue Abgabe wird pro Liter 20-900 Forint betragen, mit der Folge, dass bei Spirituosen wie Rum oder Whiskey langsam ein Goldpreis erzielt wird. Pálinka und Unicum sind von dieser Neuregelung immerhin ausgeschlossen.
Schließlich finden sich in den Steuergesetzen für 2015 noch „Kleinigkeiten“ wie jene Position, wonach Handelsfirmen künftig bis zu sechs Prozent (!) ihrer Nettoumsatzerlöse für eine Aufsichtsgebühr zur Lebensmittelsicherheit hinblättern dürfen, was natürlich auch wieder in die Verbraucherpreise einfließt. Städte und Gemeinden wiederum werden eine neuartige „Gemeindesteuer“ auf Steuergegenstände jeder Art erheben dürfen.
Das Steuersystem wurde unter der Orbán-Regierung bewusst darauf ausgelegt, die Einkommen aus Arbeit weniger, den Konsum hingegen stärker zu belasten. Allerdings bedeutet beispielsweise der europäische Rekordsatz der Mehrwertsteuer von 27 Prozent einen permanenten Wettbewerbsnachteil für die ungarischen Unternehmen. Zudem leistet auch diese Regierung wieder nur halbe Arbeit: Steuern zu erhöhen (und immer neue einzuführen!) fällt ihr weitaus leichter, als Kosten und damit Steuern zu senken. In diesem Sinne bringt auch 2015 nichts Neues.