Von Péter Kóczián
Die Demonstration gegen die Internetsteuer wird in Hinblick auf die Regierungstätigkeit von Viktor Orbán wohl eine Wende markieren. Während er bislang selbstmächtig alles tun konnte, wird er nunmehr mit größerem Widerstand zu rechnen haben – auch an der Spitze der Regierungspartei Fidesz.
Der Fidesz ist jene politische Kraft, die am meisten auf die Umfragewerte der Demoskopen schielt. Jeder noch so kleine Meinungsumschwung wird mit Argusaugen verfolgt. Je größer seine Popularität ist, desto größer ist auch seine Aufmerksamkeit in Sachen Umfragen, weiß er doch allzu genau, dass seine Popularität jenseits seiner blindgläubigen Stammwählerschaft jederzeit sinken kann, was auch ein Schrumpfen seiner Legitimität und damit einhergehend seines politischen Bewegungsspielraums bedeuten kann.
Orbán bringt sich selbst in Gefahr
Laut Information der Tageszeitung Népszabadság ist die Idee einer Internetsteuer direkt dem Kopf von Viktor Orbán entsprungen. Der Protest dagegen griff allerdings derart rasch und mit solch einer elementaren Kraft um sich – in der gestrigen Kundgebung (Sonnta; Anm.) gipfelnd –, dass sogar die Gefahr eines Schneeballeffekts besteht, als dessen Folge sich ein großer Schatten über die Regierungstätigkeit des Fidesz legen könnte. Eine solche Gefahr kann der Fidesz als Institution jedoch nicht zulassen.
Entgegen der landläufigen Meinung bin ich der Ansicht, dass der Fidesz als Institution sich sogar gegen Viktor Orbán wenden würde, wäre das Gebäude der Regierungspartei durch diverse Einzelaktionen des Ministerpräsidenten vom Einsturz bedroht.
Dabei spielt es keine Rolle, dass es sich um eine belanglose Angelegenheit handelt: Die ungarische Öffentlichkeit hat schon schlimmere Steuern und Widersprüche geschluckt. Der springende Punkt: Die Idee des Ministerpräsidenten ist auf keinen fruchtbaren Boden gefallen.
Darum geht es nämlich. Viktor Orbán und sein Umfeld haben bereits unzählige Male mit Ideen um sich geworfen, die das Leben Zehntausender, ja Hunderttausender Menschen betraf. Man fühlt sich gleichsam an eine Einkaufsliste erinnert, auf die man etwas schreibt, um es im nächsten Moment wieder zu streichen.
Keine politische Gemeinschaft mag es, wenn ihre politische Elite auf Grundlage von Ideen regiert. Doch solange Politiker erfolgreich sind, rufen ihre Entscheidungen keine Irritationen bei den Wählern hervor. In diesem Fall werden sie entweder in blindem Glauben oder mit Zynismus und Passivität goutiert.
Allerdings: Ein kleiner Fehler kann bereits jene positive Aura zerstören, die bis dahin vor Kritik aus dem eigenen Lager schützte. Die Folge: Unweigerlich vermehren sich jene Stimmen, welche die gesamte Regierungstätigkeit infrage stellen.
Orbán hat seine Souveränität sukzessive ausgeweitet
Viktor Orbán ordnet alles der Ausweitung seiner Souveränität unter. Dies ist eines seiner wichtigsten Ziele. Er tut dies aber nicht nur gegenüber der Opposition und jenen Wählern, die nicht ihn gewählt haben. Er weitet seine Souveränität gegenüber der eigenen Partei und Fraktion und gegenüber László Kövér, Lajos Kósa, Antal Rogán, Zoltán Pokorni und all die anderen sukzessive aus.
Diese Haltung des Ministerpräsidenten lässt sich nun jedoch nicht mehr fortsetzen. Er wird seine Ideen nicht mehr so einfach durchbringen können wie bisher. (…) Die Internetsteuer hat einen empfindlichen Nerv der ungarischen Gesellschaft getroffen. Worum es geht: Die Bürger erwarten vom Staat, dass er ihr persönliches Wohlergehen und ihre individuelle Freiheit nicht einschränkt. Solange der Staat dieses Bedürfnis beachtet, sehen ihm die Ungarn Vieles nach: Korruption, Verschwendung, Zögerlichkeit, Missgunst, Nachlässigkeit.
Jener Politiker indes, der diese empfindliche Grenze übertritt, geht das Risiko ein, eine emotionale Ablehnung hervorzurufen, die sich rasch zu einer gesamtgesellschaftlichen Ablehnung seiner Politik auswachsen kann. Der Sonntag zeigt uns, dass Orbán mit der Idee der Internetsteuer diese Grenze überschritten hat – und mit ihm zusammen auch der Fidesz.
Der Autor ist Publizist. Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 27. Oktober 2014 auf dem Blog des Autors koczianpeter.blog.hu.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar
Ich wünsche den Ungarn viel Glück bei der Überwindung des Orban-Systems.