Ungarn steht wieder im Schlaglicht der internationalen Öffentlichkeit, diesmal nicht nur in Europa, sondern weltweit. Denn mit der geplanten Einführung einer Internetsteuer haben Premier Viktor Orbán und die nationalkonservative Regierungspartei Fidesz einen Schritt gewagt, der im Ausland für Unverständnis, in Ungarn selbst für Wut und Empörung sorgt.
Zur Erinnerung: Zu Beginn der vergangenen Woche waren die ersten Nachrichten zur Internetsteuer zu lesen. Der Gesetzentwurf, in dem das erste Mal von der Sonderabgabe die Rede war, sorgte für Wirbel. 150 Forint pro übertragenem Gigabyte Datenverkehr waren geplant. Eine schnelle Kalkulation ergab, dass damit die Kosten für den Internetanschluss einer Familie um mehrere tausend Forint pro Monat steigen würden. Während erste ungläubige Reaktionen noch eine Ente oder ein Ablenkungsmanöver hinter der Nachricht vermuteten, war es am Wochenende Gewissheit: Die ungarische Regierung plant tatsächlich die Telekommunikationssteuer auf das Internet auszuweiten. Dass dieser Vorschlag nicht einmal innerhalb des Regierungslagers abgesprochen worden war, sondern – wie die linksliberale Tageszeitung Népszabadság behauptet – auf Betreiben von Premier Viktor Orbán selbst eingereicht wurde, zeigt sich auch an den teils überraschten Reaktionen aus den Reihen des Fidesz. Eine konkrete Erklärung für die ad hoc Einführung der Steuer ist bis heute nicht bekannt.
Zu Beginn der vergangenen Woche hieß es noch von Volkswirtschaftsminister Mihály Varga: „Die Regierung hat beobachtet, dass immer mehr Menschen ihre Telefongespräche im Internet tätigen.“ Deshalb müsse die Telekommunikationssteuer, die bereits für Telefongespräche mit zwei Forint pro Minute zu Buche schlägt, auch auf das Internet ausgeweitet werden. Schnell machte der Begriff der Skype-Steuer die Runde und mit ihm die Frage, wie der Datenverkehr erfasst werden soll. Technisch sei dies ohne weiteres möglich, wie der Budapester Zeitung von Informatikern bestätigt wurde. Allerdings wurde diese Version in den vergangenen Tagen von Regierungsseite nicht weiter ausgeführt. Am Montag hieß es dann, die Internetsteuer würde gebraucht, um den Eigenanteil des von der EU geförderten Ausbaus des Breitband-Internets in Ungarn zu finanzieren. Eine dritte Erklärung klingt aber am wahrscheinlichsten. Geld muss her, denn die Regierung hat der Polizei, dem Militär und den Beamten der Steuerbehörde NAV großzügige Gehaltserhöhungen in Aussicht gestellt, ganze 30 Prozent soll der Lohn der Sicherheitsbeamten steigen. Eine Möglichkeit, die dafür notwendigen Mittel einzunehmen, liegt in der Einführung der Internetsteuer. Mehrere Zehnmilliarden Forint könnten so in die Haushaltskasse gespült werden. Dabei, wird immer wieder von Regierungsseite betont, zielt die Steuer nicht auf die Endverbraucher, sondern auf die Telekommunikationsunternehmen und Internetbetreiber ab. Doch wie auch bei der Bankensteuer ist anzunehmen, dass diese mittelbar den Verbraucher belastet.
Die Internetsteuer bleibt
Seit dem Wochenende kursieren zwei weitere Zahlen. 700 und 5.000 Forint sind es, welche die Gemüter beruhigen sollten, die Obergrenzen für die Internetsteuer für Privathaushalte (700 Forint) und für Geschäftskunden (5.000 Forint). Wie die Teilnehmerzahlen der Demonstrationen am vergangenen Sonntag (etwa 30.000 Menschen) und Dienstag (bis zu 100.000 Menschen) zeigen, die Internetsteuer ist für viele Menschen nicht hinnehmbar. Denn die neue Abgabe betrifft alle. Während bei politisch organisierten Anti-Regierungs-Demonstrationen oft die ältere Klientel überwog, da junge Menschen in Ungarn zunehmend unpolitisch sind, waren es am Sonntag und am darauffolgenden Dienstag vor allem junge Erwachsene, die die Straßen von Budapest bevölkerten. Denn sie sind es, die ihre digitalen Kommunikationswege in Gefahr sehen.
Schlag für gesamte Bevölkerung
Zu recht, wie sich jetzt zeigt. Denn am Dienstagabend sagte der Regierungsbeauftragte für die Senkung der Nebenkosten, Szilárd Németh, in einer Sendung des oppositionellen TV-Senders atv, dass die Steuer nicht nur kommen würde, sondern auch in unveränderter Form, also in der geplanten Höhe von 150 Forint pro übertragenem Gigabyte. Németh weiter: „Wir brauchen die Einnahmen nicht, um die Lohnerhöhung der Polizisten und Soldaten zu bezahlen, sondern um den Eigenanteil für die 100 Milliarden Forint EU-Förderung für den Ausbau von Breitband-Internet im Land zusammen zu bekommen.“ Die Kommentare auf Facebook dazu sprechen Bände. Von Zynismus ist die Rede und davon, das Volk für dumm verkaufen zu wollen. Denn schon einmal brachte eine Regierung die Besteuerung des Internets ins Spiel. Damals, im Jahr 2008, unter Premierminister Ferenc Gyurcsány lehnte der oppositionelle Fidesz die Steuer aufs Schärfste ab. Der damalige Leiter der Arbeitsgruppe Informatik und Telekommunikation, Zsolt Nyitrai, sagte damals: „Wir unterstützen grundsätzlich keine neuen Steuern oder Steuererhöhungen, besonders nicht, wenn es ums Internet geht. Eine Internetsteuer ist unsinnig, überflüssig und nicht durchdacht.“ Frei nach dem Motto: „Was geht mich mein Geschwätz von gestern an“ ist man im Volkswirtschaftsministerium nun jedoch eifrig dabei, dem am Montag vergangener Woche eingereichten Gesetzesvorschlag eine Form zu verpassen. Denn auch dort wurde man von der neuen Abgabe überrascht. Weder innerhalb der Regierung noch mit Telekommunikationsunternehmen gab es im Vorfeld fachliche Konsultationen. So ist es auch wenig überraschend, dass die drei größten Telekommunikationsunternehmen die Steuer geschlossen ablehnen und eine Rücknahme des Gesetzesvorschlags fordern.
Derweil zeigt der Entwurf schon erste Wirkungen. Wie das Nachrichtenportal index.hu berichtete, ist seit den ersten Nachrichten über die Internetsteuer der Absatz an Verträgen für mobiles Internet bei der Magyar Telekom spürbar zurückgegangen. Und auch andernorts fürchtet man die Wirkung der Steuer. Das Onlineportal der linksliberalen Tageszeitung Népszabadság sieht gar mehrere hundert Kleinunternehmen in Gefahr. Denn in Ungarn gibt es viele Regionen, die nicht von den großen Internetbetreibern versorgt werden. Dort haben sich kleine Unternehmen etabliert, die der großteils armen, ländlichen Bevölkerung den Zugang zum Internet ermöglichen. Die Unternehmen fürchten, dass selbst bei einer Obergrenze von 700 Forint pro Privatanschluss der finanzielle Rahmen vieler Kunden in ländlichen Regionen gesprengt wird und die Kündigung des Internetanschlusses einzige Möglichkeit bleibt. Damit ist nicht nur der auf EU-Ebene als Recht auf Informationsfreiheit gewertete Zugang zum Internet in Gefahr, sondern auch Tausende Arbeitsplätze bei den ländlichen Internetbetreibern.
Doch wie weiter? Kommentatoren und Journalisten regierungskritischer Medien sind sich einig: Viktor Orbán wird aus dieser Schlacht angeschlagen hervorgehen. Während es ihm nach der Demonstration am Sonntag noch möglich gewesen wäre, den weisen Staatsmann zu geben, der sich demütig dem Willen des Volks beugt, ist diese Chance nun vertan. Die Kritiker der Internetsteuer und die mehreren Zehntausend Demonstranten werden sich kaum mehr mit einer Rücknahme der Abgabe abspeisen lassen. Zwei Optionen stehen zur Wahl: Ein Einlenken, was nach der Massendemonstration am Dienstag aber zweifelsfrei als Zeichen der Schwäche der Regierung gewertet würde oder das Beharren auf der Steuer. Letzteres jedoch würde den Zorn der Bevölkerung nur noch mehr schüren. Die am Mittwochmorgen eingeläutete Demonstration für den Abend des 17. November, dem Tag, an dem die Internetsteuer vermutlich durchs Parlament gepeitscht wird, hatte nur wenige Stunden später bereits mehr als 5.000 Teilnehmer zu verzeichnen. Premier Viktor Orbán ist derweil nicht zu erreichen. Sein Berater Árpád Habony teilte am Dienstag mit, der Premier weile in der Schweiz auf Familienurlaub. In Anbetracht der Lage, die ihn bei seiner Rückkehr erwartet, sollte er nach Möglichkeit Kräfte sammeln.
„Von Zynismus ist die Rede und davon, das Volk für dumm verkaufen zu wollen. Denn schon einmal brachte eine Regierung die Besteuerung des Internets ins Spiel. Damals, im Jahr 2008, unter Premierminister Ferenc Gyurcsány lehnte der oppositionelle Fidesz die Steuer aufs Schärfste ab.“
2008 hat also der „öffentlich-rechtliche“ Rundfung in Deutschland gerne geschlafen, als Gyurcsány diesen Unfug vorschlug, um die Informationsfreiheit zu beschneiden.
Kika Nachtichtensender LOGO wusste es gestern wieder besser: Der böse Onkel Orbán möchte verhindern, dass man schlechte Nachrichten über die Regierung lesen kann.
Simple Botschaften müssen möglichst im Kleinkindalter verbreitet werden, damit es sitzt !!