Die Automobilindustrie ist der mit Abstand größte Hoffnungsträger für Ungarns Wirtschaft. Sie generiert Wachstum, steht für ein Fünftel der Exportleistung, erwirtschaftet rund 15 Milliarden Euro und sichert bei gut 700 Firmen 115.000 Arbeitsplätze. In unserer BZ-Serie schauen wir ein wenig hinter die Kulissen der Fertigung in den drei großen Automobilwerken, aus denen in diesem Jahr 450.000 Autos rollen könnten, so viele wie nie zuvor in Ungarn. Nach dem Auftaktartikel über die Audi Hungaria Motor Kft. (BZ Nr. 35) befassen wir uns nun mit der Mercedes-Benz Manufacturing Hungary Kft. in Kecskemét, dem jüngsten ungarischen Automobilwerk, das inmitten der Weltwirtschaftskrise erbaut wurde.
Es war der 18. Juni 2008, als der Daimler-Konzern bekanntgab, das neue Automobilwerk für die Fertigung von Kompaktwagen in der Puszta-Stadt Kecskemét errichten zu wollen. Gut einen Monat später wurde bereits die Einverständniserklärung mit der Regierung Ungarns über die Investition von 800 Millionen Euro unterzeichnet. Im Herbst des gleichen Jahres brach die Weltwirtschaftskrise aus, was Zweifel aufkommen ließ, ob der Stuttgarter Premiumhersteller unter diesen Umständen an dem Großprojekt festhalten wird. Bald zeigte sich jedoch, dass die Nachfrage nach Premiumautos nicht nachließ – ganz im Gegenteil! So entstand auf der grünen Wiese (im wahrsten Sinne des Wortes, denn für das Projekt wurde Ackerland auf rund 450 Hektar südlich der Komitatsstadt erschlossen) ein Fahrzeugwerk mit modernster und umweltgerechter Technik, das Ende März 2012 feierlich eingeweiht werden konnte.
Aufgenommen wurde die Serienfertigung mit der neuen Generation der B-Klasse, die von der Mercedes-Benz Manufacturing Hungary Kft. in Kecskemét im Werksverbund mit dem Stammwerk Rastatt flexibel entsprechend den Kundenbedürfnissen gebaut wurde. Der Bau der B-Klasse durfte gewissermaßen als Gesellenstück angesehen werden, bevor der Daimler-Konzern dem neuen Standort in Ungarn ab Januar 2013 die exklusive Fertigung eines vollkommen neuartigen Modells, des Viertürer-Coupés CLA, anvertraute.
Im Sommer konnte das Werk – weniger als 16 Monate nach dem Start der Serienfertigung – das erste bedeutende Jubiläum feiern: die Auslieferung von 100.000 CLA weltweit. Ende September gab das Werk die Fertigung des 250.000- sten Autos seit Produktionsstart 2012 bekannt; diese runde Zahl wurde somit in nur zweieinhalb Jahren erreicht. Dank der enormen Nachfrage wurde die Mitarbeiterzahl in Kecskemét schrittweise auf 3.500 Personen aufgestockt, die seit Mai im Dreischichtsystem bemüht sind, dem enormen Kundenandrang gerecht zu werden. Als der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche, aus Anlass des Auftakts zur Serienfertigung des neuen Modells seine Erwartung äußerte, der CLA werde Ungarns coolster Exportartikel, mochten Emotionen im Spiel gewesen sein. Angesichts des anhaltenden Absatzbooms des Coupés erscheint nun aber nicht einmal jene Behauptung des Vorstandschefs mehr zu gewagt, der Paprika werde nicht länger das Wahrzeichen Kecskeméts sein, verdrängt durch einen Mercedes mit der Aufschrift „Made in Hungary“, ein Auto von Spitzenqualität, das zudem in größerer Stückzahl als ursprünglich geplant gebaut wird.
Mercedes-Kunden zehn Jahre verjüngt
Die neue Kompaktklasse von Mercedes-Benz kommt so gut bei den Kunden an, dass sich das Werk Kecskemét vor Aufträgen kaum retten kann. Um die hohe Nachfrage befriedigen zu können, wurde – nach internationalem Vorbild – noch im vorigen Jahr ein sogenannter Arbeitszeitrahmen eingeführt, inklusive eines Verrechnungszeitintervalls, welche Techniken den Unternehmensbetrieb flexibler gestalten.
Das bringt Punkte bei der Umsetzung der Konzernstrategie, Mercedes-Benz bis 2020 wieder zur Nummer 1 unter den Premiumherstellern der Welt zu machen. Von der neu aufgestellten Kompaktklasse wurden bislang schon mehr als 800.000 Autos verkauft, jedes achte Kompaktmodell aus dem Haus mit dem großen Stern ist somit eine Exklusivfertigung des CLA aus dem ungarischen Kecskemét. Dieses „Hungarikum“ kommt ganz besonders gut in Übersee an: In den Vereinigten Staaten hat das schnittige Coupé achtzig Prozent Neukunden von anderen Marken angelockt und das Durchschnittsalter der Mercedes-Kunden von gewöhnlich 55 Jahren um sage und schreibe zehn Jahre verjüngt.
Gewinne vom Start weg
Auch in wirtschaftlicher Hinsicht zeigt sich die Mercedes-Benz Manufacturing Hungary Kft. von Anbeginn überaus solide. Ungeachtet eines Produktionsstartes Ende März stieß das Unternehmen schon im ersten Geschäftsjahr 2012 bezüglich der Umsatzerlöse an der Milliarden-Euro-Grenze an. In neun Monaten rollten rund 40.000 B-Klassen aus dem nagelneuen Werk. Und es wurden vom Start weg Gewinne geschrieben (54 Millionen Euro 2012, 66 Millionen Euro 2013). Im vergangenen Jahr wurden 109.000 Autos der B-Klasse und des CLA gefertigt, die Umsatzerlöse schnellten auf 2,1 Mrd. Euro hoch und die Mercedes-Benz Manufacturing Hungary Kft. stieg zum viertgrößten Exporteur Ungarns auf.
Derzeit laufen in Kecskemét schon die Vorbereitungen für die Fertigung des fünften Kompaktmodells von Mercedes-Benz, des CLA Shooting Brake, der im kommenden Jahr auf den Markt kommen wird. Die Kombiversion des CLA stellt das dritte Modell in der Palette des ungarischen Tochterunternehmens dar und soll ebenso wie das Coupé exklusiv in Ungarn für den Weltmarkt gebaut werden. Damit dürften die Kapazitäten des seit Mai in drei Schichten gefahrenen Werks für eine geraume Zeit optimal ausgelastet sein.
Pionier in der dualen Ausbildung
Der Daimler-Konzern entschied sich nicht zuletzt wegen der verfügbaren, gut qualifizierten Arbeitskräfte für den ungarischen Standort. Von vornherein war klar, dass man das aus Deutschland bekannte und dort bewährte System der dualen Ausbildung anwenden wollte. So wurde das Mercedes-Benz-Werk in Zusammenarbeit mit der Hochschule und zwei Mittelschulen in Kecskemét zum Wegbereiter der dualen Ausbildung in Ungarn. Dabei werden die angehenden Ingenieure und Facharbeiter im Rahmen von fest in den Studienplan integrierten Praxis-Blöcken über mehrere Monate hinweg in den deutschen Stammwerken von Mercedes-Benz an den Umgang mit modernsten Technologien herangeführt.