In keiner Stadt mangelt es an Mythen, an urbanem Gemunkel über diese oder jene mysteriöse Begebenheit vergangener Zeiten, an Geschichten, die selbst die kleinste Ungereimtheit in den Rang eines Staatsgeheimnisses erheben. Und in keiner anderen Stadt gedeihen sie so gut wie im historischen und wunderschönen Budapest. Die Budapester Zeitung geht in dieser Reihe einigen dieser oft von Touristenführern wiedergegebenen Stadtlegenden auf den Grund.
Das Kaffeehaus New York feierte diese Woche seinen 120. Geburtstag. Dieses atemberaubende Grand-Café mit seiner opulenten Pracht gehört zu den traditionsreichsten Kaffeehäusern der Hauptstadt. Heute wirken diese prunkvollen, mit Gold und Fresken verzierten Paläste vielleicht wie Überbleibsel einer anderen Zeit, gefüllt mit Touristen und betuchten älteren Menschen. Doch versetze man sich nur einmal zurück in ihre Blütezeit Anfang des vergangenen Jahrhunderts, als Kaffeehäuser wie das New York ein Treffpunkt für Intellektuelle, Künstler und natürlich Schriftsteller waren. Gerade letztere waren derart vom Kaffeehausfieber ergriffen, dass sie oft ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlagerten.
Tiefe Liebe zum Kaffeehaus
Einer von ihnen war Ferenc Molnár, der Anfang des 20. Jahrhunderts als Schriftsteller, Dramatiker und Journalist große Erfolge feierte. Über ihn erzählt man sich die Legende, er sei derart obsessiv dem New York verfallen, dass er die Schlüssel des Kaffeehauses nach dessen Eröffnung in die Donau warf. So wollte er garantieren, dass dieses ihm besonders liebe Kaffeehaus nie wieder seine Türen schließt. Dieser Wunsch erfüllte sich weitgehend, denn bis auf einen Zeitraum zwischen 2001 und 2006, als das berühmte Kaffeehaus für Renovierungsarbeiten geschlossen war, überdauerte das New York alle Kriege und Regimewechsel unbeschädigt.
Kleine Ungereimtheiten
Besonders oft wird diese Kaffeehauslegende weitergetragen, nicht zuletzt auch von den Betreibern des New York Kávéház, die ihr am letzten Sonntag sogar mit dem symbolischen Versenken eines weiteren Satz Schlüssel in der Donau huldigten. Obwohl eine Geschichte wie diese dem kecken Boheme Molnár, der auch für Exzesse bekannt war, durchaus ähnlich sähe, gibt es eine kleine Ungereimtheit: Als das Café am 23. Oktober 1894 seine Pforten öffnete, war Molnár zarte 16 Jahre und in der Welt der Literatur noch unbekannt. Sicher hätte niemand diesem Halbwüchsigen die Schlüssel ausgehändigt. Molnárs Enkel Mátyás Sárközy klärte nun die Geschichte auf: Nicht zur Eröffnung, sondern weit später, als Vilmos Tarján, ein Freund Molnárs, Besitzer des New York Kávéház war, habe diese Begebenheit tatsächlich stattgefunden.