
Tibor Navracsics musste scharfe Kritik einstecken, die eigentlich der Regierung Orbán galt – so sieht es die Wochenzeitung Heti Válasz.
Der ungarische Anwärter auf den Posten des EU-Kommissars für Jugend, Bildung, Kultur und Bürgergesellschaft, Tibor Navracsics, konnte bei seiner Anhörung vor dem Fachausschuss des Europäischen Parlaments für Kultur und Bildung keine Mehrheit für sich gewinnen (die Budapester Zeitung berichtete). Dennoch scheint ein Kommissar-Posten für ihn sicher. Mehr noch: Trotz der ablehnenden Haltung der EP-Kommission scheint sogar der Posten für Bildung und Kultur möglich. Die regierungsnahe konservative Wochenzeitung Heti Válasz beschäftigte sich in der vergangenen Woche mit den Hintergründen der Ablehnung. Lesen Sie hier Auszüge aus dem Artikel.
Der Fachausschuss stimmte am Montag vergangener Woche gleich zwei Mal ab. Die erste Abstimmung endete mit 15 zu 10 Ja-Stimmen (bei zwei Enthaltungen), was die Eignung des Kandidaten für ein Amt in der EU-Kommission betrifft, die zweite – hier wurde konkret über seine Tauglichkeit als EU-Kommissar für Bildung und Kultur abgestimmt – endete mit einem 14 zu 12 Votum (bei einer Enthaltung). Allerdings: Die Abstimmung ist nicht bindend, sondern stellt lediglich eine Empfehlung dar. Die endgültige Entscheidung über die Zusammensetzung der EU-Kommission wird am 22. Oktober in der Plenarsitzung gefällt. Dort besteht keine Möglichkeit mehr, einzelne Kandidaten zu verhindern, die Kommission muss als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden. (…) Es gilt nunmehr als sicher, dass aus Navracsics ein Kommissionsmitglied wird. Selbst ein völlig neuer Kommissar-Posten scheint für ihn unwahrscheinlich. Ein komplett neues Gebiet würde mit erneuten Anhörungen und Debatten einhergehen, was wiederum die Bildung der Kommission verzögern würde. Dies ist jedoch weder im Interesse des designierten EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, noch wollen die Sozialisten oder die Konservativen dies riskieren.
(…) Ministerpräsident Viktor Orbán ließ Brüssel wissen, Navracsics als Trophäe zu erlegen, bekäme seinen politischen Gegnern nicht gut. Denn in diesem Fall würde die ungarische Regierung einen Kandidaten entsenden, der noch mehr polarisiert.
(…) Dabei sind hitzige Debatten vor der Bildung einer EU-Kommission keineswegs ungewöhnlich: Auch frühere Kommissionen hatten es bei den Anhörungen schwer. Doch kommt jetzt hinzu, dass das Europäische Parlament verstärkt versucht, die Zukunft der EU und die Personalpolitik in den EU-Institutionen selbst zu gestalten. Dabei wäre gerade jetzt ein glattes Zustandekommen der EU-Kommission wichtig. Man kann über die im Mai bei den EU-Wahlen erstarkten euroskeptischen Parteien diskutieren, Fakt ist jedoch, die Mitte-links- und Mitte-rechts-Parteien werden in Zukunft häufiger kooperieren müssen. Wenn bis zum 1. November keine neue Kommission zustande kommt, wird dies europaweit nicht nur als Scheitern verbucht, sondern auch die Funktionsunfähigkeit der EU infrage gestellt.

Jedem Kandidaten mit ähnlicher Regierungsvergangenheit wie Navracsics wäre es ähnlich ergangen. (Foto: MTI)
(…) Der politische Kampf jedoch begann am Montag nach der Abstimmung. Der sozialistische EU-Abgeordnete Tibor Szanyi twitterte bereits vor Ende der Abstimmung, dass der ungarische Kandidat gescheitert sei. András Gyürk sagte gegenüber Heti Válasz: „Tibor Navracsics wurde ausschließlich aufgrund parteipolitischer Ideologien bewertet. Die Angriffe galten nicht ihm als Person, sondern der ungarischen Regierung, seine Eignung hat niemand infrage gestellt.“ Laut dem EU-Abgeordneten des Fidesz ist es deshalb wichtig, die Abstimmung entsprechend zu bewerten.
Das Schicksal der Kommission hängt nun davon ab, ob die beiden großen Fraktionen, die Sozialisten und Konservativen, sich an das ungeschriebene Nicht-Angriffs-Abkommen halten. Im Kern steht dieses dafür, dass die Fachausschüsse keinen der Kommissar-Anwärter diskreditieren. István Ujhelyi sagte: „Statt eines großkoalitionären Paktes sollten wir vielmehr über die Verantwortung der Linken und Rechten bei Junckers Kandidatur sprechen.“ Der Europa-Abgeordnete der Sozialisten (MSZP) sprach weiterhin davon, die Abstimmung hätte Viktor Orbán gegolten. Jedem Kandidaten mit ähnlicher Regierungsvergangenheit wie Navracsics wäre es ähnlich ergangen. Ujhelyi vertritt außerdem die Meinung, der Ministerpräsident sollte Navracsics zurückrufen und stattdessen einen Kandidaten mit mehr Fachexpertise und ohne Regierungsvergangenheit entsenden. Im Übrigen schickte auch die MSZP bereits fragwürdige Kandidaten in die EU-Kommission. László Kovács musste damals – wegen fehlenden Fachkenntnissen – nicht nur einen Portfolio-Wechsel über sich ergehen lassen, sondern musste die Erniedrigung eines komplett neu geschaffenen Portfolios hinnehmen. Statt des Energiesektors erhielt er schließlich Steuerangelegenheiten.
Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 9. Oktober in der regierungsnahen Wochenzeitung Heti Válasz.