Eurostat kommt der ungarischen Regierung zur Hilfe. Die europäische Statistikbehörde passt ihre Methodik mit dem neuen Standard ESA 2010 einer global geltenden Norm an, die in den Vereinigten Staaten seit einem Jahr Anwendung findet. Der angenehme Nebeneffekt: Die Schuldenberge der Europäer sinken, ohne dass sie dafür neue Sparmaßnahmen einführen müssen.
Das ergibt sich zum Beispiel aus einem höheren Ansatz des Bruttoinlandsprodukts (BIP), weil die Ausgaben von Unternehmen für Forschung und Entwicklung, aber auch die staatlichen Rüstungsausgaben von nun an als Investitionen verbucht werden. Bei Eurostat rechnet man in der Tendenz mit den stärksten positiven Änderungen für die Skandinavier, aber auch für Österreich oder Großbritannien, während Deutschland eher mittelmäßig gut fährt. Ungarn oder Polen werden nach dieser Einschätzung ganz sicher nicht in dem Maße besser gestellt, wie es im Durchschnitt der Eurozone zu erwarten ist – laut Eurostat wegen der bescheideneren Forschungsausgaben.
EU-Schützenhilfe im Superwahljahr
Dennoch kommt die methodische Korrektur der Orbán-Regierung im Superwahljahr 2014 durchaus gelegen. Denn nicht nur das BIP nahm – wie wir in der vorigen Woche bereits kurz berichteten – im Vorjahr zu laufenden Preisen auf 29.850 Mrd. Forint zu. Viel markanter wirkt sich die Neubewertung des sogenannten „Einstands“ der privaten Rentenkassen aus. Bekanntlich hatte der Fidesz das Rentenvermögen im Jahre 2011 kurzerhand rückverstaatlicht und sich damit etwa 3.000 Mrd. Forint (10 Mrd. Euro!) unter den Nagel gerissen. Als Grund dafür wurde seinerzeit unter anderem angeführt, dass Brüssel nicht gewillt war, im anhängigen Defizitverfahren Kompromisse einzugehen. Budapest befand sich wegen der Misswirtschaft der sozialistisch-liberalen Regierungen (2002-2010) seit dem EU-Beitritt 2004 in einem prekären Abhängigkeitsverhältnis, das Viktor Orbán unbedingt auflösen wollte, um einen unabhängigen Kurs einschlagen und die üppigen EU-Fördermittel restlos und ohne zusätzliche Risiken abrufen zu können.
Problem vom Tisch
Experten schätzten 2011 ein, dass auch die bürgerliche Regierung – ungeachtet ihrer Politik der Steuererhöhungen – das Haushaltsdefizit weiterhin nicht unter 5 Prozent am BIP, geschweige denn die von Brüssel geforderten 3 Prozent senken könne. Mit dem Geld der privaten Rentenkassen wurde das Problem vom Tisch gefegt; der ungarische Staatshaushalt schloss das Jahr 2011 mit einem vollkommen einzigartigen Überschuss von 1.200 Mrd. Forint ab. Die Orbán-Regierung nutzte die Verschnaufpause im Gegensatz zu ihren neoliberalen Vorgängern immerhin dazu, mit weiteren Weichenstellungen das Defizit auch 2012 und 2013 unter den gewünschten 3 Prozent am BIP zu halten.
Defizit kam Jahre zu spät
Nun sagt die neue Norm ESA 2010 aus, dass die Senkung des Budgetdefizits durch die einverleibten Rentenkassen nicht möglich gewesen wäre. Demnach kam 2011 tatsächlich ein Defizit von 5,6 Prozent am BIP zustande – doch Jahre später muss das niemanden mehr unnötig erregen. Das gigantische Rentenvermögen von rund einem Zehntel des Inlandsprodukts darf der neuen Methodik folgend nur in kleinen Schritten, über 35 Jahre hinweg verrechnet werden. Diese Aufteilung sorgt dafür, dass auf der Habenseite fortan die Einnahmen aus dem kassierten Privatvermögen anteilig gutgeschrieben werden. Mit anderen Worten kann Viktor Orbán ein zweites Mal auf das Vermögen der privaten Kassen „zugreifen“, das der Regierung ab sofort zusätzlichen Spielraum von mehreren zehn Milliarden im Jahr verschaffen wird. Zumindest bis Eurostat die nächste Korrektur folgen lässt.
Auch im September leichter Überschuss
Der ungarische Staatshaushalt erwirtschaftete auch im September wieder einen leichten Überschuss von 14 Mrd. Forint. Das seit Jahresbeginn angehäufte Defizit verringerte sich somit auf 845 Mrd. Forint oder 86 Prozent der Jahresvorgabe. Die Regierung hält für 2014 am Defizitziel von 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fest.