
Konvervativer linker Spitzenkandidate: „Es ist ein breite Koalition der demokratischen Kräfte nötig, unabhängig davon, ob sie bei einzelnen fachpolitischen Fragen linke oder rechte Standpunkte einnehmen.“ (BZ-Fotos: Nóra Halász)
Nach verschiedenen Rücktritten ist der Konservative Lajos Bokros jetzt mit einem Mal zur großen Hoffnung vieler Linker aufgestiegen. Wir unterhielten uns mit dem ehemaligen Finanzminister (1995-1996) über die Gründe für diese paradoxe Situation und vor allem über seinen festen Willen, dem System Orbán in Budapest Paroli zu bieten.
Was ist das eigentlich für eine Partei, der Sie vorstehen?
Die Modern Magyarország Mozgalom (Bewegung für ein modernes Ungarn) wurde vor einem halben Jahr gegründet. Wir definieren sie als konservative, freiheitliche, europäische und der Nation verpflichtete Mitte-Rechts-Partei. Das ist die dem westeuropäischen Wertesystem gemäße Definition der Partei. Das ist sehr wichtig, weil in der ungarischen Politik die Bezeichnungen „links“ und „rechts“ andere Bedeutungen haben als etwa in Deutschland oder Großbritannien.
Ich saß fünf Jahre lang im Europaparlament in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten zusammen mit der britischen Conservative Party. Den Traditionen dieser Partei und der CDU folgend definieren wir uns als konservative Partei, was in der Wirtschaft bedeutet, dass wir bedingungslose Anhänger der Marktwirtschaft, des freien Wettbewerbs, der unternehmerischen Freiheit und des freien Handels sind. Wir begrüßen die ausländischen Investoren und glauben nicht, dass der Staat Arbeitsplätze schaffen muss. Auch glauben wir nicht, dass der Staat den Wohlstand begründet, sondern, dass das selbstständige, gemeinsame Handeln der freien Bürger die Grundlage des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Demokratie ist. Das steht in krassem Gegensatz zu den Ansichten des Fidesz, der ja die illiberale Demokratie vertritt. Aus dem Blickwinkel der westlichen Zivilisation betrachtet stellt dieses Staats- und Wirtschaftsmodell jedoch eine klare Sackgasse dar.
Gleiches behauptet der Fidesz vom liberalen Modell…
Die Ungarn sind zwar ein freiheitsliebendes Volk, aber die Regierung deutet die Freiheit auf einer kollektivistischen, nationalistischen und populistischen Grundlage. Wir dagegen betrachten die Freiheit des Individuums als wichtig, zusammen mit der Verantwortung des Einzelnen. Und wir sagen, dass es ohne Liberalismus keine Demokratie gibt.
Sie bekennen sich eher zu konservativen und liberalen Werten und verkörpern in Budapest dennoch die letzte Hoffnung der Linken.
Ja, das ist ein Paradoxon. Aber ich darf daran erinnern, dass in Deutschland CDU/ CSU mit der SPD eine gemeinsame Regierung gebildet haben, sprich die linke und rechte Mitte. Man sollte es auch in Ungarn nicht als seltsam oder ungewohnt betrachten, wenn die rechte Mitte im westeuropäischen Sinn, was wir sind, und die linke Mitte im westeuropäischen Sinn, was einige ungarische Parteien zusammenfasst, zusammenarbeiten, um in Ungarn die Demokratie wiederherzustellen. Noch dazu stellt in Deutschland niemand den Verfassungs- und Rechtsstaat infrage. Niemand stellt die Demokratie infrage, niemand stellt die Selbstständigkeit der Kommunalverwaltungen infrage. In Deutschland spricht niemand von einer „illiberalen Demokratie“. In Deutschland baut niemand Monopole, um mit ihnen den freien Wettbewerb und die Marktwirtschaft zu unterdrücken. In Deutschland wird das ausländische Kapital nicht verfolgt. In Deutschland will man nicht die Banken zur Rechenschaft ziehen, jedenfalls nicht von Seiten der Regierung. Es gibt extreme Parteien, die solche Töne anschlagen. Aber in Ungarn ist diese autoritäre Herrschaft russischen Typs am Ruder. Daher ist eine breite Koalition der demokratischen Kräfte nötig, unabhängig davon, ob sie bei einzelnen fachpolitischen Fragen linke oder rechte Standpunkte einnehmen.
Wegen der herrschenden Verhältnisse gehen Sie also davon aus, dass Linke in Budapest einem Konservativen ihre Stimme geben?
Durchaus. Die wichtigste Aufgabe ist es jetzt, eine auf dem freien Wettbewerb beruhende Marktwirtschaft, den Verfassungs-und Rechtsstaat und die repräsentative Demokratie wiederherzustellen. Wenn dies erfüllt ist, dann gibt es in Ungarn wieder eine „langweilige Politik“, in der wir darüber diskutieren können, wie hoch die Minimalmiete sein darf und was für ein Rentensystem wir haben wollen.
Wurde der Rücktritt von Falus, durch den Sie zum Kandidaten der Budapester Linken geworden sind, mit Ihnen abgestimmt?
Ja, das haben wir besprochen, und zwar am vorletzten Samstag, als Viktor Szigetvári und Ferenc Gyurcsány zum Sitz der Bewegung für ein Modernes Ungarn gekommen sind, um zu verhandeln. Sie hatten dabei deutlich gemacht, dass sie die Unterstützung aller linken Parteien besitzen, auch die der MSZP und der Parteienformation “Gemeinsam-Dialog für Ungarn”. Am Montag danach hat sich dann herausgestellt, dass die MSZP geteilt ist. Dass mich zwar der Budapester Parteirat unterstützt, der nationale Parteivorstand aber nicht. Bei „Gemeinsam-Dialog für Ungarn” kam plötzlich heraus, dass mich nur „Gemeinsam“ vertritt, nicht aber „Dialog für Ungarn“. Also kann man nicht davon sprechen, dass sich die gesamte Linke hinter mich gestellt hätte. Aber ich denke, dass wir, verglichen mit der Lage in der Vorwoche, schon weit vorangekommen sind, weil letztlich eine breite Koalition der Demokraten zustande gekommen ist.
Einige neue Risiken eingeschlossen. Viele verbinden mit Ihrem Namen das Bokros-Paket und denken dabei an eine neoliberale, herzlose, harte Politik. Diese Wähler könnten sagen: „Lieber nicht“. Das ist doch ein zweischneidiges Schwert.
Natürlich, aber in der Politik gibt es keine eindeutigen Situationen. Klar gibt es viele linksorientierte Wähler, die denken, dass Kapitalismus, freie Marktwirtschaft und Wettbewerb nicht gut seien und sich wie der Fidesz nach einer Art Staatssozialismus sehnen. Dieser hat aber keinerlei Aussicht, Wohlstand für das Land zu schaffen. Schauen wir uns den Fidesz an, wenn man es so will, eine neokommunistische Partei. Sie hasst den Markt, sie hasst den Wettbewerb, sie hasst die ausländischen Investoren. Sie verfolgt eine Wirtschaftspolitik, mit der sie das Vertrauen der Unternehmer und der Investoren zerschlagen hat. Mit räuberischen Steuern bestraft sie die unterschiedlichsten Sektoren. Dieses Modell einer staatszentristischen, auf Monopole bauenden, wettbewerbsfeindlichen oligarchischen Ordnung ist eine entwicklungspolitische Sackgasse, weil es in die Isolation führt. Möglich, dass es in Russland funktioniert. Ungarn ist aber eine kleine Wirtschaft ohne Rohstoffe, die Energieträger importiert und als Teil der Europäischen Union vollkommen offen ist.

Lajos Bokros: „Ich möchte einfach nur meinen Kindern und Enkeln eine fröhliche, lebenswerte Demokratie hinterlassen.“ BZ-Foto: Nóra Halász
Bitte erklären Sie uns einen Widerspruch. Auf der einen Seite haben viele Ungarn aus den von Ihnen geschilderten Gründen ein Grausen vor dem Orbán-System. Wenn es aber darum geht, es abzuwählen, herrscht nicht nur Uneinigkeit, sondern es geschehen schwerwiegende konzeptionelle Fehler. Das war schon bei den beiden Wahlen im Frühjahr der Fall und passiert jetzt gerade wieder. Welche destruktiven Kräfte wirken insbesondere bei den Linken im Hintergrund?
Sie stellen mir eine sehr schwere Frage, weil ich kein Linker bin und keine Insider-Informationen besitze. Ich kann nicht hinter die Fassaden sehen, ich weiß nicht, was für Kämpfe dort ausgetragen werden – zwischen den vier Parteien. Ich glaube der Hauptgrund ist, dass sich in Ungarn keine sozialdemokratische Werteordnung und Tradition im westeuropäischen Sinn entwickelt hat. Ich sehe hier eine ideologische Wüste.
Die Orbán-Regierung wiederum verhält sich im Grunde so wie eine neokommunistische Partei. Es ist daher sehr schwierig, sich links von ihr zu positionieren. So kommt es auch, dass im ungarischen Parlament praktisch nur sozialistische Parteien sitzen. Sie alle sind mehr oder weniger kapitalismus-, markt- und wettbewerbsfeindlich und glauben an den allmächtigen Staat. Einzig meine Partei bekennt sich rückhaltlos zum westeuropäischen Weltbild. Wir sitzen aber auch nicht im Parlament.
Und nun sollen ausgerechnet Sie beziehungsweise Ihre Partei in Budapest für eine linke Einheitsfront sorgen?
Die von uns vertretenen Werte sind in der Tat nicht gerade populär, weil sehr viele Menschen glauben, dass der Systemwechsel keinen Aufstieg gebracht hat und er für sie persönlich im Grunde genommen ein Absturz war. Sie sehnen sich nach dem paternalistischen Staat der späten Kádár-Ära zurück. An dessen Ende war Ungarn aber hoch verschuldet und stand am Rande der Staatspleite. Das Problem ist nicht, dass seither etwa eine Million Arbeitsplätze verloren gegangen sind, sondern dass keine Million neuer Arbeitsplätze geschaffen worden sind – solche, die für den Weltmarkt Qualitätsprodukte herstellen. Aber dafür hätte es einer Bildungsreform bedurft und einer viel besseren Unterrichtsqualität. Dafür wären auch freie Unternehmen notwendig, die es nicht gibt, weil eine Monopolbildung stattfindet. Dafür wäre aber auch weniger staatliche Umverteilung und Korruption vonnöten. Sehr viele Menschen wollen bei uns einen Wohlstand wie in Deutschland, aber keine Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsintensität und Arbeitskultur wie dort. Das ist aber eine Illusion, in der sie leider von den sozialistischen Parteien hierzulande bestärkt werden.
Warum tun Sie sich das an, gegen diesen mächtigen Strom zu schwimmen? Sie könnten doch auch ganz bequem bis ans Ende Ihrer beruflichen Laufbahn im In- oder Ausland unterrichten. Stattdessen exponieren Sie sich und riskieren für ihre unpopulären Ansichten verbal bespuckt zu werden.
… leider nicht nur mit Worten, manchmal auch tatsächlich. Die Regierung Orbán hat die Gewalt salonfähig gemacht. Die Kultur des Gesindels wurde zum Herrscher.
Also warum tun Sie sich das an?
Ich möchte keine großen Worte benutzen… Ich möchte einfach nur meinen Kindern und Enkeln eine fröhliche, lebenswerte Demokratie mit einer westeuropäischen Kultur hinterlassen. In diesem Jahr bin ich 60 geworden und könnte langsam in die Rente gehen, aber ich möchte noch etwas zum Wiederaufbau der ungarischen Demokratie beitragen.
Sie sehen also nicht genug andere Personen, die diese Aufgabe erfüllen könnten?
Keineswegs. Wir sind sehr viele, auch in der Partei. Ich habe gerade mit Erzsébet Pusztai, der stellvertretenden Vorsitzenden, gesprochen, die Schulter an Schulter mit mir kämpft. Das ist nicht die Aufgabe eines einsamen Kämpfers, es geht hier nicht um Don Quijote de la Mancha. Jeder muss mitkämpfen, sozusagen aus bürgerlicher Pflicht. Wer es sich erlauben kann, sich neben seiner Arbeit auch politisch zu engagieren, wer nicht ständig dem Broterwerb nachgehen muss, dessen Pflicht ist es, seiner Heimat, seiner Nation zurückzugeben, was er von ihr bekommen hat. Auch unter den Linken gibt es sehr viele wohlgesonnene Demokraten, die die Heimat wiederaufbauen wollen. Und wir werden immer mehr. Immer mehr Leuten wird klar, worum es geht. Jetzt wählen wir zwischen Demokratie und Diktatur, Westen und Osten, dem Verfassungs- und Rechtsstaat und der Willkürherrschaft, der freien Marktwirtschaft und den staatszentristischen Monopolen und der Oligarchie. Die Wahl ist vollkommen klar.

„Orbán hat seine eigene Regierung demaskiert und vielen seiner Sympathisanten den Boden unter den Füßen weggezogen. Er hat auch Schande über all jene gebracht, die ihn bisher geschützt haben.“
Trotzdem befürworten die meisten Ungarn den gegenwärtigen Kurs des Landes.
Wenn es weiter in diese Richtung geht, dann geht es in eine Sackgasse. Auch bisher konnte man das stetige Abrutschen Ungarns spüren, nicht nur gegenüber Deutschland oder Großbritannien, sondern auch gegenüber den drei anderen Visegrád-Ländern oder den baltischen Staaten. Vor zwanzig Jahren, als wir an der Stabilisierung gearbeitet haben, dabei erfolgreich waren und neben der Wiederherstellung des Gleichgewichts die Grundlage für ein nachhaltiges Wachstum gelegt hatten, wurde Ungarn höchstens von Tschechien oder Slowenien überholt. Heute haben uns schon die Slowakei, Polen, Estland und Lettland überholt, und im nächsten Jahr folgt auch Litauen. Ungarn ist aus der Sicht der Investoren inzwischen zum Balkanland verkommen. Man zählt unser Land zu einer Gruppe mit Rumänien, Serbien und der Ukraine. Das spiegeln die Risikoaufschläge auf den Kapitalmärkten wider. Wer möchte denn hier auch schon sein Kapital anlegen, wenn es keine Rechtssicherheit gibt?
Sie haben sogar den direkten Vergleich zu Rumänien gezogen.
Ja, seit zehn Jahren lehre ich in Kolozsvár (rumänisch Cluj-Napoca) an der Babes-Bolyai-Universität. Ich bin jeden zweiten Monat dort. Als ich bei der Weltbank arbeitete, habe ich jahrelang die rumänischen Regierungen beraten. Ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu einem bedeutenden Teil der rumänischen Elite, zu Top-Managern und wissenschaftlichen Spitzenkräften. Dort gibt es viel freiere Diskussionen im Fernsehen, die Zeitungen sind viel lesbarer. In Ungarn gibt es keine Pressefreiheit, es gibt im Fall der Kirchen keine Rechtsgleichheit, die Zivilorganisationen werden schikaniert, die Kommunalverwaltungen geschwächt. Es geht in Ungarn jetzt ganz klar auch um die Frage Diktatur oder Demokratie. Ich möchte nicht, dass meine Kinder und Enkel in einem Land leben, das in der Versenkung der Geschichte verschwindet. Jetzt, wo zum ersten Mal seit 500 Jahren keine feindlichen Truppen im Land sind! Wir haben von Mihail Gorbatschow die Freiheit erhalten. Wir sind Mitglied der Europäischen Union, die eine Wertegemeinschaft freiheitlicher, gleichberechtigter Nationen ist, führen aber jetzt einen “Freiheitskampf” gegen Brüssel – obwohl riesige Geldsummen von dort ins Land fließen. Das ist nicht nur paradox, das ist lächerlich!
Am 12. Oktober geht es nicht zuletzt auch um kommunale Themen. Was würden Sie anders machen als Amtsinhaber István Tarlós?
Zuallererst halte ich es für wichtig, dass die Hauptstadt mit allen Mitteln ihr Vermögen beschützt und nichts an die Zentralregierung abtritt. Denn ohne Besitz gibt es kein Einkommen und ohne Einkommen, sprich ohne eigene Einkünfte gibt es keine hochwertigen öffentlichen Dienstleistungen. Die Verkehrsbetriebe werden nicht besser, wenn wir sie an die Zentralregierung übergeben. Wie wir gesehen haben, hat sich durch die Zentralisierung auch die Lage der Schulen und Krankenhäuser verschlechtert. Bei jedem Infrastrukturprojekt muss sichergestellt werden, dass die Qualität stimmt und es kosteneffizient und ohne Korruption abgewickelt wird. Man muss nicht jedes Jahr jede Straße aufreißen, sondern nur einmal und wenn das geschehen ist, brauchen wir eine Qualitätsgarantie des Unternehmers, dass sie für viele Jahre der städtischen Bevölkerung dienen wird. Und weiter: Bei jeder Infrastrukturentwicklung muss man auch für die Deckung der zukünftigen Betriebskosten sorgen. Es reicht nicht zu sagen, dass wir uns mit Geld aus dem dekadenten Westen ein neues Museumsviertel bauen. Die Frage ist, wie wir es aufrechterhalten können. Die Aufrechterhaltung ist sehr wichtig. Darüber hinaus haben wir eigene Vorstellungen hinsichtlich der Linderung von Wohnraumschwierigkeiten, der Verkehrsentwicklung, der Verbesserung der Bedingungen im Gesundheitswesen und der Bewahrung von Grünflächen. Generell sollte auch die Korruption stärker bekämpft werden, die heute auf jeder Ebene den Staat unterminiert, nicht nur in der Zentralregierung, sondern auch in den Kommunalverwaltungen.
In Sachen Korruption war auch die Ära vor 2010 alles andere als vorbildlich…
Ich habe nicht gesagt, dass es besser war. Zum Teil verdanken wir dieser Ära Orbáns Zweidrittel-Siege. Wir sehen ganz klar, auf wessen Mist die heutige diktatorische Willkürherrschaft gewachsen ist. Die Wiederherstellung der Demokratie ist eine nötige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Ausrottung der Korruption.
Wie ist der Budapester Wahlkampf bisher für Sie verlaufen?
Ich empfinde es als eine Bereicherung, fortlaufend mit der Budapester Bevölkerung zusammenzutreffen. Wann hat man schon die Gelegenheit, direkt mit den Bürgern zu sprechen und zu erfahren, was sie beschäftigt! Die überwiegende Mehrheit der Rückmeldungen ist dabei übrigens vollkommen positiv. Natürlich hört man auch immer wieder schmutzige Sprüche, aber schon seltener als im April. Innerhalb der Bevölkerung ist ein deutlicher Stimmungswandel zu spüren.
Worauf führen Sie diesen zurück?
Im Sommer hat sich der Ausdruck der „illiberalen Demokratie“ verbreitet, mit dem der Regierungschef meiner Ansicht nach sich selbst geschadet hat. Er hat seine eigene Regierung demaskiert und vielen seiner Sympathisanten den Boden unter den Füßen weggezogen. Er hat auch Schande über all jene gebracht, die ihn bisher geschützt haben. Doch jetzt wird ihn niemand mehr beschützen, jeder wird sich das dreimal überlegen. Denn niemand weiß, was für einen Unsinn er in seiner nächsten Rede sagen wird – einfach weil er glaubt, dass er sich alles erlauben kann. Endlich hat er reinen Wein eingeschenkt.
Und das hat die Stimmung in der Bevölkerung zu seinen Ungunsten verändert?
Den Staatsbürgern stößt es auch sauer auf, dass mit ihren Steuergeldern Parteipropaganda finanziert wird. Sehen Sie sich doch einmal auf den Straßen um, was da außer Parteiplakaten noch so alles an politischen Plakaten hängt. Wo ist hier die Chancengleichheit? Die Kommunalwahlen mögen vielleicht frei sein, fair und sauber sind sie jedoch ganz sicher nicht!
Immerhin fällt das Ihrer Meinung nach auch immer mehr Ungarn auf!
Wir hoffen darauf, dass ein immer größerer Anteil der Gesellschaft begreift, dass dieses System keinen materiellen Zuwachs, keinen kulturellen Fortschritt, keine nationale Aussöhnung bringt und darüber hinaus auf Lügen basiert. Die Demokratie muss nicht nur deshalb wiederhergestellt werden, weil wir uns dann besser fühlen, sondern auch deshalb, weil die Demokratie einen kulturellen Eigenwert besitzt. Ebenso die freie Meinungsäußerung, die freie Kirchengründung, die Versammlungsfreiheit, die Verfassungs- und Rechtsstaatlichkeit und die Rechtssicherheit. Kein Unternehmen darf in diesem Land enteignet werden können, nur weil irgendein Oligarch gerade ein Auge darauf geworfen hat.
Gibt es noch Chancen, dass man sich mit den Liberalen oder mit der LMP auf ein einheitliches Vorgehen verständigen kann?
Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Sie wollen es einfach nicht.
Sind die programmatischen Unterschiede so groß?
Eben nicht! Kürzlich gab es eine Diskussion zwischen den Oberbürgermeisterkandidaten, an der neben György Magyar – dem Kandidat der Zivilen, der seitdem wie auch Ferenc Falus zu meinen Gunsten zurückgetreten ist – auch Zoltán Bodnár, der Kandidat der Liberalen, und Antal Csárdi, der LMP-Kandidat, teilgenommen haben. Sie konnten nichts auf die Frage antworten, was sie anders machen würden, stellten aber vehement klar, die einzig glaubwürdige Partei zu vertreten.
Ist eine solche von persönlichen Ambitionen motivierte starre Haltung vor dem Hintergrund der von Ihnen geschilderten gesellschaftlichen Phänomene nicht verrückt?
Aus meinem persönlichen, ganz privaten Blickwinkel ist es das zweifelsohne. Als Parteichef enthalte ich mich aber jeglicher Kommentare dazu. Wir, die Bewegung für ein Modernes Ungarn, bereiten uns nicht nur auf die Wahlen vor, sondern möchten in Ungarn auch eine neue politische Kultur etablieren. Wir nehmen nicht an Angriffen auf politische Gegner teil. Ich werde mich daher offiziell zu niemandem in einer Weise äußern, die auch nur ansatzweise an die gewohnten Schlammschlachten des politischen Lebens in Ungarn erinnert. Nur so viel: Ich möchte Ihrer Einschätzung hier nicht widersprechen.
Bokros spricht hier viele Wahrheiten gelassen aus. Leider nur besteht das Konservative Ungarn heute nur aus dieser einen Splitterpartei. Würden nur mehr Menschen erkennen, dass Werte so bewahrt werden müssen und nicht wie in der täglichen Politik Werte zerstört werden.
Herr Bokros betreibt eine Schwarz-Weiß-Malerei, die schlimmer nicht mehr sein kann. Seinen Gegnern unterstellt er alles Erdenklich-Üble, z.B. Diktatur, Willkürherrschaft, Aushöhlung der Marktwirtschaft etc. – reiht potemkinsche Dörfer wie Perlen auf eine Schnur – und für sich und seine Parteifreunde nimmt er alles Gute in Anspruch. Drängen sich da aber nicht zwangsläufig Fragen auf, wie: Warum haben Gyurcsány und seine anderen Parteifreunde die hehren Ziele, von denen Bokros redet, nicht verwirklicht, als sie an der Regierung waren? Warum haben sie am Ende nicht mehr zustande gebracht als den totalen Bankrott á la Griechenland? Ferenc Gyurcsány war immerhin so erkenntnisfähig, dass er seinerzeit den Ausspruch tat: Wir lügen von früh bis spät. Wie lange müssen wir noch warten, so frage ich, bis auch Bokros zu dieser Erkenntnis fähig wird? Übrigens wie sich Bokros zu den westeuropäischen „demokratischen“ Zuständen äußert, spricht jeder Realität hohn. Da redet er wie der Blinde von der Farbe.
Da müssen Sie aber schon ganz gewaltig farbenblind sein, wenn Sie Bokros und Gyurcsány in einen Topf werfen! Das einzige was die beiden Verbindet ist, dass es Demokraten sind (das kann ich nicht einmal Gyurcsány absprechen). Oder wollen Sie behaupten, dass Gyurcsány ein Konservativer sei? Das MDF war Ihrer Meinung nach dereinst wohl auch kommunistische Staatspartei? Oder war es der konservative Gegenentwurf zum Kommunismus? Natürlich steht Bokros links vom nationalistischen Getöse von Orbán und Konsorten, aber das tun alle Demokraten. Und sie stehen weit rechts von der Orbánschen Planwirtschaft – wie alle Demokraten. Für FIDESZ Leute gibt es aber auch nur eines: Draufschlagen, bis es nicht mehr geht, wenn die Argumente ausgehen muss Gyurcsány her – den ich übrigens absolut ablehne, der aber trotz allem Ungarn nicht so weit herabgewirtschaftet hat, wie es Orbán heute tut. Und Ihre sogenannten griechischen Verhältnisse gab es nie, allerdings eine Weltwirtschaftskrise, durch die auch Ungarn schwer gebeutelt wurde und deren Probleme bereits vor Orbáns Wiederwahl 2010 gelöst waren (sehen Sie sich einmal die Wirtschaftsdaten des KSH an). Und seit 2010 geht es in Ungarn ständig bergab, wärend es in den Ländern um uns herum bergauf geht. Aber wer da einen Zusammenhang sieht, der ist ein linker Staatsfeind, selbst dann wenn er Konservativer ist. Das finden Sie natürlich höchst differenziert und demokratisch, nicht wahr?
Istvaaaaaán! Sind sie Wahlkämpfer?
„…. sogenannten griechischen Verhältnisse gab es nie, allerdings eine Weltwirtschaftskrise, durch die auch Ungarn schwer gebeutelt wurde und deren Probleme bereits vor Orbáns Wiederwahl 2010 gelöst waren. “ Bajnai war also der Befreier von allen Sorgen ?
ist ja putzig, was Sie da behaupten. Auch das mit den aufwärts gehenden Nachbarländern ist Mumpitz. Gerade die letzen Jahre waren für die Nachbarländer weniger erfolgreich als zuvor. Slovenien zB.
„Wie wir gesehen haben, hat sich durch die Zentralisierung auch die Lage der Schulen und Krankenhäuser verschlechtert.“
Na, es soll auch welche gegeben haben, die folgendes von sich gaben.
Wer war das denn gleich??,
Egyetemek, főiskolák, kórházak bezárása, a minimálbér eltörlése, vagy legalább megadóztatása, a felsőoktatásban és az egészségügyben dolgozók közalkalmazotti státuszának megszüntetése,…. usw.
Witzfigur, genau so ohne Rückrat wie alle anderen.