Zum Glück sind nächste Woche Kommunalwahlen. Nach dem 12. Oktober haben die Politiker dann dreieinhalb Jahre keinen Zwang, uns die Taschen vollzuhauen. Vielleicht wird sich die Wirtschaft in dieser Ruhephase ja wirklich einmal nachhaltig erholen können.
Die Zweidrittelmehrheit hat den unzweifelhaften Vorteil, dass die Regierenden die Kommunikation landauf, landab beherrschen. So kommt es wenigstens nicht mehr zu einem Wirrwarr an wilden Versprechungen, die ohnehin kaum Bezug zur Realität haben. Fidesz-KDNP müssten bestenfalls darauf achten, nicht noch das Blaue vom Himmel zu versprechen. Vermutlich ist aber wohl auch das egal, wenn die Wahlbürger keine politische Alternative sehen…
Aufspaltung der diesjährigen Nebenkostensenkung für eine stärkere mediale Wirkung
Da wird etwa von einer Abrechnung der Banken schwadroniert, die angeblich eine Million Menschen aus der Falle der Devisenkredite befreit. Von denen werden sich nicht wenige verblüfft umschauen, wenn der Kredit erst auf Forint inklusive Forintverzinsung umgestellt ist – das wird aber ohnehin erst im ersten Halbjahr 2015 der Fall sein. Und es ist ständig von den sinkenden Wohnnebenkosten die Rede. In diesem Jahr wurden diese Maßnahmen gleich über drei Monate verteilt vollzogen. So haben die Fidesz-nahen Medien die Chance, die dritte Runde dieser Wohlfahrtspolitik gleich dreifach anzupreisen.
Die zuvor in jeweils einem Schritt durchgeführten beiden Wohnnebenkostensenkungen in Höhe von jeweils zehn Prozent wurden deutlich geringer medial begleitet, als die diesjährigen Senkungen: 6,5 Prozent für Erdgas, 5,7 Prozent für Strom und 3,3 Prozent für Fernwärme. Die ab 1. April sinkenden Gaspreise trafen zwar erst am Ende der Heizsaison ein, ließen sich aber direkt vor den Parlamentswahlen immerhin ideal vermarkten. Zum 1. September wurden dann die Strompreise gesenkt, einen Monat später und damit nur elf Tage vor der Kommunalwahl erfolgte nun die Tarifsenkung für Fernwärme. Auf diese Weise haben nun beide Wahlen etwas vom Kuchen der Nebenkostensenkung abbekommen.
2010-2013: Allgemeine Inflation lässt Wirkung der Nebenkostensenkungen verschwinden
Würden sich die Politiker bei ihren Auftritten stärker auf Daten und Aussagen des Zentralamts für Statistik (KSH) stützen, wären wir der Realität schon näher. Das KSH veröffentlicht eine Unmenge an Zahlenreihen, die sich mit den Verbraucherpreisen beschäftigen, so gibt es auch Preisvergleiche über Zeiträume von Jahrzehnten hinweg. Bis in die Wendezeit soll hier gar nicht ausgeholt werden, nur so viel sei erwähnt, dass damals 5.000 Forint ein Vermögen waren, ein Fahrschein für die Straßenbahn 2-3 Forint und ein gutes tschechisches Importbier um 14- 18 Forint kostete.
Da neuerdings nur noch der Fidesz tönt, wie großartig diese Regierung die Preise senkt, haben wir uns in der beigefügten Tabelle auf einen Vergleich ausgewählter Preise in den Jahren 2010 und 2013 beschränkt (jährliche Durchschnittspreise für 2014 sind verständlicherweise noch nicht verfügbar). Der Verbraucherpreisindex stand Anfang 2010 bei 6,4 Prozent, von wo er sich bis zum Sommer 2011 auf 3,1 Prozent halbierte. Fortan ging es – wohlgemerkt, unter der „preisbrechenden“ Orbán-Regierung! – bis zum September 2012 wieder munter auf 6,6 Prozent nach oben, ehe die Politik der sinkenden Wohnnebenkosten die Inflation Ende 2013 praktisch auszulöschen vermochte.
In den vier Jahren ermittelte das KSH einen durchschnittlichen Preisverfall, der sich für den gewöhnlichen ungarischen Privathaushalt auf nahezu 20 Prozent summierte. In unserer Tabelle braucht also nicht zu schockieren, wenn Eier, Käse und Öl ein Fünftel mehr kosten. Die Preisexplosion bei Zucker und Zigaretten hingegen übertraf die Reizschwelle der Bevölkerung, weshalb der Einkaufstourismus in die Nachbarländer ebenso wie der Schwarzhandel aufblühten. Die mittlerweile wöchentlich mehrfach machbaren Preiskorrekturen an den Zapfsäulen der Tankstellen nerven Millionen Autofahrer; unterm Strich bezahlen die Halter von Autos mit Benzinmotoren heute ein Viertel und im Falle von Dieselmotoren sogar ein gutes Drittel mehr, als vor vier Jahren.
Preise für Energieträger Holz steigen unbeeindruckt weiter
Im gleichen Zeitraum, also zwischen 2010 und 2013, stiegen die durchschnittlichen Bruttolöhne in der ungarischen Volkswirtschaft um knapp 14 Prozent auf 230.000 Forint. Netto verblieben den Vollzeitbeschäftigten im Schnitt 150.000 Forint monatlich; prozentual hielt der Anstieg mit dem Bruttozuwachs Schritt, absolut fanden sich bei Lohnzahlung 20.000 Forint mehr im Portemonnaie.
Leider zeigen soziologische Tiefenforschungen, dass die Durchschnittskennziffern die Tatsache verschleiern, wonach rund 60 Prozent der Menschen schlechter abschneiden. Diesen Familien frisst die Inflation das Geld auf. Und diese Familien werden angesichts ihres knapp bemessenen Haushaltsbudgets die teils deftigen Preisvorteile bei langlebigen Gebrauchsgütern (siehe Kühlschrank und LCD-TV in unserer Tabelle) seltener mitnehmen. Für diese Menschen sind immer noch Holz und PB-Gas die erstrangigen Energieträger, nicht Strom, Fernwärme und Gas, bei denen der Fidesz ein Ende der „Extraprofite“ verkündete. Kein Wunder, dass dort die Marktpreise unbeeindruckt vom Willen der Regierenden weiter aufwärts tendieren.
Der eigentliche Witz in der offiziellen Statistik des KSH besteht aber darin, dass sich die Preise für Strom und Erdgas anders verhalten, als uns die Fidesz-Öffentlichkeitsarbeit glauben machen will. So bemühte der Fidesz im Wahlkampf eine Statistik, wonach Strom heute nur noch drei Viertel dessen kostet, was die Menschen unter den sozialistisch-liberalen Regierungen zahlen mussten. Beim KSH kam jedoch auch nach zwei Runden und nominal 20 Prozent Stromtarifsenkung gegenüber 2010 nur eine reale Preissenkung von sechs Prozent heraus, der Kubikmeter Erdgas wurde zur gleichen Zeit sogar teurer! (Korrekterweise sei angemerkt, dass die zweite Runde erst im November 2013 zur Wirkung kam, sich also im Jahresmittel 2014 niederschlagen wird. Zum vollständigen Bild gehört aber ebenso, dass Strom und Gas noch unter dem Fidesz teurer wurden – vermutlich fehlte der Orbán-Regierung anfänglich einfach die Energie, den Kampf mit den Multis aufzunehmen, denn man hatte ja mit dem Rauswurf des IWF und der Forint-Schwächung alle Hände voll zu tun.)
Umworbene Mittelschicht
Unsere Tabelle lesen jene Angehörigen der Mittelschicht, die von der Steuerpolitik des Fidesz bevorzugt werden, derweil mit verständlicher Gelassenheit. Wer als politisch willkommener Standardbürger monatlich 50.000, 70.000 oder gar 100.000 Forint mehr Haushaltseinkommen zur Verfügung hat, den können die schleichenden Preiserhöhungen nicht aus der Ruhe und dem (finanziellen) Gleichgewicht bringen. Aber auch diese Leute bemerken, dass sie heute für Waren des täglichen Bedarfs deutlich mehr zahlen als 2010.