Bei den landesweiten Kommunalwahlen am 12. Oktober dürfte wohl kein Urnengang so wichtig werden wie der in Ungarns Hauptstadt. Die Budapester Zeitung stellt Ihnen daher die wichtigsten Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters vor, einschließlich ihrer Pläne für Budapest. Diese Woche: Fidesz-Spitzenkandidat und aktueller Amtsinhaber István Tarlós.
„Das ist ein Versäumnis der vorherigen Stadtregierung, die 20 Jahre lang nichts tat.“ Ein Lieblingssatz des amtierenden OB gegenüber der Presse, die er grundsätzlich als lästig empfindet, weil sie ihn, genau wie die linke Opposition, nicht verstehe und daher falsch über ihn berichte.
Doch wer ist dieser missverstandene István Tarlós eigentlich? Werfen wir nun einen Blick zurück auf seinen Werdegang. Tarlós wurde 1948 in Budapest als Sohn eines Juristen und einer Buchhalterin, die beide an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften arbeiteten, in eine bürgerliche Familie geboren. Im III. Bezirk aufgewachsen absolvierte er dort seine Schullaufbahn, nach dem Wehrdienst studierte er in Budapest und Győr Ingenieurswesen. Er arbeitete 15 Jahre lang in der Baubranche, kurz vor der Wende hatte er zusammen mit seiner Frau Cecília Nagy ein eigenes Ingenieurbüro inne.
1989 wurde er laut eigener Aussage „wegen der markanten regimekritischen Töne“ Mitglied des liberalen Bunds Freier Demokraten (SZDSZ). In seinem Heimatbezirk mehrmals zum Anwalt der Bürger gewählt trat er bei den ersten freien Wahlen Ungarns 1990 als Kandidat von SZDSZ und Fidesz bei der Bezirksbürgermeisterwahl an und gewann. 1994 trat er wegen Meinungsunterschieden (nicht zuletzt wegen der Koalition mit der MSZP), aus dem SZDSZ aus. Als unabhängiger Kandidat und weiterhin gestützt durch den Fidesz trat er im selben Jahr erneut bei den Bezirkswahlen an und wurde deutlich im Amt bestätigt, was ihm auch bei den folgenden beiden Wahlen gelang. 2006 schickte ihn der Fidesz ins Rennen um die Wahl des Budapester Oberbürgermeisters, er unterlag jedoch knapp dem langjährigen freidemokratischen Amtsinhaber Gábor Demszky. Im April 2010 zog er – immer noch unabhängig – als hauptstädtischer Fidesz-Fraktionschef ins Ungarische Parlament ein, diese Ämter legte er jedoch kurz nach seiner Wahl zum OB im Oktober nieder. Er ziehe die Stadt- der Landespolitik vor, denn erstere sei eher „ein Dienst“, letztere „Netto-Politik“.
Mann mit Konflikten und Widersprüchen
Tarlós gilt laut rechten Politikerkollegen als konservativer Realpolitiker („Auch Zweidrittel-Mehrheiten leben nicht ewig, selbst Rom hat nicht ewig gelebt“), laut Kritikern habe er autokratische Methoden. In einem Interview mit dem Wirtschaftsblatt Figyelő erklärte er vergangene Woche, dass er bei einer Wiederwahl der Landesregierung harte Auflagen machen werde, um seine Arbeit fortsetzen zu können, wobei er auf den Konflikt mit Kanzleramtsminister János Lázár wegen der Verteilung von EU-Hilfsgeldern für die Stadtentwicklung abzielte. Der Zoff mit Lázár sei kein „Schauspiel” gewesen, „aber auch nicht so schwerwiegend, wie manche meinen.“ Dem Wochenblatt Hetek verriet Tarlós am Samstag, dass er sich selbst als humorvoll und offenherzig betrachte, weshalb er auch markante Sprüche mache, etwa über Lázár. Tarlós ist trotz dieser Offenheit nicht immer widerspruchsfrei: Er pflegt ein zwar nicht konfliktfreies, aber gutes Verhältnis zum Fidesz, andererseits streitet er sich gerne mit Lázár oder dem BKK-Vorstand und Fidesz-Günstling Dávid Vitézy. Als „Mann der Stadt“ und erfahrener Stadtpolitiker kämpfe er immer für das Wohl von Budapest und wolle sich nicht mit Landespolitik befassen, in Sachen Fördergelder kann er sich dem aber kaum entziehen.
Um die OB-Wahlen sorgt er sich dennoch nicht: Gegenüber Lánchíd Rádió erklärte Tarlós Anfang vergangener Woche, dass er noch keinen solch hektischen und fehlerhaften Wahlkampf auf Seiten der Linken erlebt habe: „Verzweifelt versuchen sie alles zu kritisieren, was die aktuelle Stadtführung begonnen hat. Auf diese hysterischen Vorwürfe muss man gelassen reagieren.“ Er selbst verwies gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur MTI auf das, was die Stadt ihm zu verdanken habe (Metrolinie 4, Austausch von BKV-Fahrzeugen, städtische Abwasserkanalerneuerung etc.) und auf das, was er noch plane (Nutzbarmachung der Flächen der Gasfabrik Óbuda oder des Bahnhofs Josefstadt, Enteignung des BKK und dessen Integration in die Stadtverwaltung, Stau-Steuereinführung ab 2016 etc.). Auch wenn er im Népszava-Interview vor zwei Wochen zugab, nicht für alle seine Pläne die nötigen Gelder zu haben. Für die Metro 3-Erneuerung etwa seien 200 Mrd. Forint nötig, eine entsprechende Förderanfrage werde man daher dem Kanzleramt unterbreiten. Ein regierungsnaher OB könne hierbei mehr erreichen, als ein regierungskritischer.
Tarlós nimmt Opposition nicht ernst
Zu der von der liberalen Opposition kritisierten unzulässigen Nutzung des Hauptstadtlogos auf seinem Wahlplakat sagte Tarlós in einem Interview mit dem TV-Sender atv vergangene Woche: „Ich nutze seit vier Jahren als OB das Logo zu Recht, so auch jetzt, ich dachte nicht, dass das jemanden stört. Mich wundert, dass wir im Wahlkampf über Äußerlichkeiten statt Inhalte reden.“ Er werde die Wähler nicht bitten, für ihn zu stimmen, sondern darum, abzuwägen: was in den vergangenen vier Jahren in Budapest verwirklicht wurde, wer etwas von der Stadtpolitik verstehe. Grundsätzlich beschäftige er sich aber nicht mit den Herausforderern, da diese weder Fachkenntnisse noch Erfahrung hätten.
Tarlós geriet 2012 wegen der Ernennung des Rechtsradikalen György Dörner zum Intendanten des Budapester Neuen Theaters (Újszínház) und des Vorhabens, eine Straße nach der antisemitischen Schriftstellerin Cécile Tormay zu benennen (2013) in die Kritik. Zudem wegen des Obdachlosengesetzes („Ich muss nicht nur die paar Tausend Obdachlosen, sondern die 1,7 Mio. Budapester vertreten“), der möglichen Ballettinstitut-Enteignung und seinem teils ruppigen Umgang mit der Presse (etwa ein Schlagabtausch mit atv-Moderatorin Olga Kálmán).
Laut dem Meinungsforschungsinstitut Medián stieg seine Bekanntheit von 68% (2008) auf über 80% (2010) und liegt seitdem konstant um etwa 90%. Seine Popularität lag 2008-2010 im Schnitt bei 40%, stieg bis November 2010 auf knapp 50%, um sich nach einem Einbruch (März 2013: 26%) bei etwa 38% wieder einzupendeln. Das Meinungsforschungsinstitut Ipsos sieht Tarlós anhand aktueller Umfragewerte als klaren Favoriten der OB-Wahl: 35% der Befragten würden ihn wählen, MSZP und Jobbik nur 12%, LMP, DK und Gemeinsam-Dialog je nur 3%.