Für andere Firmen könnte ein Aderlass in der Größenordnung der Reklamesteuer für RTL Klub ein Grund dafür sein, das Handtuch zu werfen. Dirk Gerkens, CEO von RTL Ungarn, denkt jedoch an alles andere als ans Aufgeben. In unserem BZ-Interview erlebten wir ihn zuversichtlich und fest entschlossen, dem ungarischen Markt die Treue zu halten.
Herr Gerkens, was sagen Sie zur Reklamesteuer?
Es gibt nicht viel mehr darüber zu reden. Es gibt keine Diskussion mit der Regierung, die hat es auch nie gegeben. Dieses Gesetz ist ohne mit uns oder der Industrie überhaupt zu reden über die Bühne gegangen. Wir vertreten circa 15 Prozent des Werbemarktes, müssen in diesem Jahr aber etwa 80 Prozent der Steuer zahlen.
Zwar gab es zwei Ausnahmen, initiiert für TV2, bei denen die Regierung nicht beachtet hatte, dass auch wir diese neue Auslegung für uns nutzen können, beispielsweise dass Verluste abgezogen werden können vom Umsatz. Diese Gesetze wurden dann kurzerhand so verändert, dass wir doch keinen Nutzen daraus ziehen können. Es dürfte wohl allen klar sein, was die Regierung damit bezwecken will.
Sehen Sie dieses Gesetz als politisch motiviert?
Ja klar! Das wurde uns auch von bestimmten Politikern von Seiten der Regierung bestätigt.
Warum trifft es Ihren Sender so hart?
Ganz einfach: Leider gehen alle Medien mittlerweile auf Regierungskurs. Für die Regierung scheint es nicht hinnehmbar, dass in Ungarn ein nationaler Sender objektive Nachrichten macht. Wir sollen jetzt, mittels der Steuer erpresst werden.
Ihre Nachrichten sind seit der Einführung der Reklamesteuer wesentlich regierungskritischer. Ist das Ihre Antwort auf die neue Steuer?
Wir sind Marktführer im Bereich TV. Einzige Ausnahme waren hierbei bisher die Nachrichten. Wir haben uns schon lange die Frage gestellt, warum wir in allen anderen Bereichen an der Spitze sind, nur eben dort nicht. Dann haben wir viel probiert. Die Abendnachrichten haben wir von 18.30 Uhr auf 18.00 Uhr verschoben. Und auch inhaltlich hatten wir viele Fragen – sollen wir in die Boulevard-Schiene gehen wie TV2, also Unfälle, Kriminalität und ähnliches oder machen wir etwas anderes, bieten eine Alternative an. Wir haben auf RTL2 ein Modell ausprobiert, da haben wir schon gemerkt, dass die Menschen viel mehr Interesse an dieser Art von Nachrichten haben, in denen es um Tagespolitik und inhaltlich anspruchsvollere Themen geht. Die Änderung im Nachrichtenformat hat nichts mit der Reklamesteuer zu tun, sondern war Teil unseres Strategiewechsels, der funktioniert hat. Wir haben seit Juni mehr als 200.000 neue Zuschauer gewonnen.
Das neue Nachrichtenformat wurde im Internet von vielen Blogs und oppositionellen Nachrichtenportalen freudig begrüßt – eine Bestätigung für Sie?
Wir reden in unseren Nachrichten über Themen, die sonst nirgendwo in Massenmedien vorkommen. Und klar, die Kollegen freuen sich, weil solche Themen vorher vielleicht nur in Nischenmedien vorgekommen sind. Letztlich tun wir nichts anderes, als unsere Zuschauer bedienen, die sich genau dafür interessieren.
Wie sehen Sie die staatlichen Nachrichten?
Reine Propaganda, das schaut doch niemand. Laut Aussage meiner ungarischen Freunde waren die staatlichen Nachrichten in der zweiten Hälfte der 80er Jahre sogar noch objektiver als die Nachrichten heute. Deren Marktanteil ist verschwindend gering. Nur für Sportgroßereignisse schalten Zuschauer auf die Öffentlich-Rechtlichen. Und das, obwohl das Budget der staatlichen Medien um ein Vielfaches höher ist als unseres oder das von TV2.
Was waren Ihre ersten Gedanken zur Reklamesteuer?
Man kann wirklich nur weinen oder lachen. 40 Prozent des Umsatzes sind als Steuer abzuführen? Wer bitte macht so eine Gewinnmarge heute? Und zweitens: Es ist ein völlig diskriminierendes Gesetz, da ein einziger Akteur des Marktes 80 Prozent der Steuerlast allein zu tragen hat. Wir reden davon, dass diese acht bis zehn Milliarden Forint angeblich für den Staatshaushalt notwendig sind. Nur als Vergleich: Staatliche Sender kosten 80 Milliarden Forint im Jahr. Wenn diese acht Milliarden Forint aus der Reklamesteuer so wichtig waren, warum wird dann nicht auch auf Seiten der öffentlich-rechtlichen Medien etwas getan? 80 Milliarden Forint für fast keine Quoten! Wenn das so wichtig wäre, warum gibt es dann 40 bis 50 Milliarden Werbebudget für staatliche Kunden, die kein Produkt zu verkaufen haben, oder in Monopolsituationen sind. Die Nationalbank beispielsweise – was haben die für ein Produkt zu verkaufen? Gar keins! Und dann 50 Milliarden Forint für nichts. Es ist so klar, worum es im Hintergrund geht.
Haben Sie seit dem Erlass der Steuer mit Viktor Orbán oder János Lázár gesprochen?
Ich nicht persönlich, nein.
Das Gesetz sorgt auch international für Wirbel. Wie sieht man in Ihrer Zentrale in Luxemburg die Angelegenheit?
Wir sind vom ungarischen Markt prinzipiell weiterhin überzeugt. Allerdings darf man nicht vergessen: Seit 2008 haben sich die Werbeausgaben nahezu halbiert. Die Regierung hat mit der Reklamesteuer einem ohnehin schon in Bedrängnis geratenen Industriezweig den Spielraum noch weiter verkleinert. Unser Umsatz ist im Vergleich zu 2008 um 50 Prozent gefallen – und das obwohl wir weiterhin fast genauso stark auf dem Markt vertreten sind.
Der Abwärtstrend kam wodurch?
Viele Kunden mussten ihre Budgets einfach reduzieren, Banken beispielsweise. Ich kann das voll verstehen, dass dort keine großangelegten Werbekampagnen für Fremdwährungskredite mehr laufen. Auch die Autoindustrie hat ihre Werbung stark zurückgefahren, weil die Kaufkraft auf der Seite der Kunden fehlt. Da besteht leider ein direkter Zusammenhang mit der Wirtschaft.
Wird sich die Reklamesteuer beim Programm oder der Kosten-Struktur Ihres Senders bemerkbar machen?
Wir haben viel darüber nachgedacht. Unsere Gesellschafter haben aber entschieden, dass wir die einmal erreichte Position als Marktführer auch verteidigen wollen. Und deswegen haben wir auch beschlossen, noch mehr ins Programm zu investieren. Wenn Sie das Programm-line-up für den Herbst betrachten, sehen Sie, dass wir mit extrem starken Shows, wie etwa unserer neuen Gastro-Reality, Dschungel-Show, X-Faktor und ähnlichem an den Start gehen. Weiterhin halten wir an unserem längeren Nachrichtenformat fest, was ebenfalls Mehrkosten verursacht. Im Moment gehen wir auf diesem Weg weiter.
Bleiben Ihre Nachrichten weiterhin so regierungskritisch?
Wir sehen uns nur als objektiv und unabhängig, nicht kritisch. Die Menschen haben einfach Interesse daran zu erfahren, was in Ungarn passiert. Es ist unsere gesellschaftliche Verpflichtung, sie darüber zu informieren. Alle unsere Sender greifen solche Themen auf. Das hat, wie gesagt, nichts mit der Steuer zu tun. Unsere Strategie in Sachen Nachrichten ist aufgegangen, die Quoten sind da, die Zuschauer sind da, wir haben TV2 in urbanen Gegenden abgehängt, nur in ländlichen Gebieten sind dessen Quoten besser. Unsere Strategie bewährt sich also.
Trotz enormer Mehrbelastung fahren Sie einen so ambitiösen Kurs. Gibt es andere Alternativen?
Was wäre denn die Alternative? Klar, wir könnten auch Programme streichen und dann im Meer kleiner Sender untergehen. Der einzige Vorteil dabei wäre, dass wir weniger Umsatz machen und dementsprechend weniger Steuern zahlen müssen.
Von Regierungsseite wird unter anderem angeführt, die neue Steuer sei notwendig, um die Programmqualität zu verbessern.
Was hat bitte die Steuer damit zu tun? Aber selbst wenn, wer unter den Abgeordneten ist denn in der Position, eine Meinung über die Qualität eines Fernsehprogramms abzugeben? Da könnten wir ja den ganzen Tag diskutieren. Wir sind ein kommerzieller Sender, der ungarische Markt ist nebenbei bemerkt sehr vielfältig, es gibt mehr als 100 Privatsender. Jeder Zuschauer hat die Chance, seinem Geschmack entsprechend zu wählen.
Wie steht es um die Erhebung von Gebühren für das Einspeisen von Fernsehsendern in Kabelnetze? Bei Einführung des Mediengesetztes 2010 wurde Ihnen und anderen Anbietern diese Möglichkeit von Seiten der Regierung zugesichert. Nun soll sie gekippt werden. Gab es irgendwann in den vergangenen vier Jahren diesbezüglich Gespräche zwischen Ihnen und der Regierung?
Nein! Nie. Es gab keinerlei Austausch mit unserer Branche. Wir hatten das damals gemeinsam im Rahmen der analogen Umstellung verhandelt und eine Menge Kompromisse gemacht.
Inwiefern?
Wir hatten entschieden, dass wir die Umstellung nicht bremsen werden und dass auch wir auf die Digitale Terrestrische Plattform wechseln werden und noch viel mehr – und dafür haben wir als Kompensation diese Kabelgebühr zugesagt bekommen. Und plötzlich, mitten in den Verhandlungen für 2015, denn die Gebühr darf von uns ab 1. Januar kommenden Jahres erhoben werden, plötzlich nimmt uns die Regierung dieses Recht mit der Begründung, dass die Kabelgebühr die monatlichen Kosten für den Endverbraucher in die Höhe treiben würde. Warum müssen Kabelnetze denn ihre Preise überhaupt erhöhen? Kunden zahlen schon jetzt für ihre Kabelanschlüsse, in denen RTL und TV2 enthalten sind. Wir wollen nicht einmal viel Geld! Die Kabelnetze müssten lediglich ihr Portfolio adaptieren. Es gibt mehr als 100 Sender im Angebot, der durchschnittliche Verbraucher empfängt etwa 60 bis 70 Sender, die er aber zum Großteil gar nicht nutzt. Die Sender, die wirklich viel gesehen werden, also TV2 und RTL, wir sind die einzigen, für die die Kabelanbieter bisher nichts zahlen! Sogar M3, der staatliche Nostalgie-Sender bekommt Geld von den Kabelbetreibern. Ein vom Staat subventionierter Sender, dessen Content schon früher einmal vom Staat subventioniert wurde, ohne Zuschauer bekommt auch noch Geld vom Kabelanbieter! Und die Sender, die wirklich Zuschauer haben gehen leer aus. Das kann doch nicht sein! Es muss einen Zusammenhang geben zwischen den Einschaltquoten und den Geldern, die die Netzbetreiber für die von ihnen angebotenen Sender zu zahlen haben. Das wäre zumindest logisch. Und das war, wie gesagt, auch vertraglich so vereinbart. Die Regierung kann auch nicht sagen, sie wusste nichts davon, denn 2010 saßen wir gemeinsam am Tisch und haben das so beschlossen.
Wie steht es um das Verhältnis zu Ihrem Konkurrenten und neuen Regierungsliebling TV2? Hat es sich seit Aufkommen der Reklamesteuer verändert?
Es gibt jetzt diese interessante Entwicklung vom Freitag vorletzter Woche, wo also plötzlich nicht mehr nur RTL unter Druck gesetzt wird, sondern auch TV2 mit der Änderung der eben erwähnten Einnahmemöglichkeiten durch eine Kabelgebühr ins Fadenkreuz geraten ist. Jetzt sieht es so aus, als ob auch TV2 nicht mehr als Ausnahme behandelt wird. Mal sehen, es gibt noch kein festes Gesetz, fest steht nur, dass wir von den Kabelanbietern wie UPC und MinDig TV keine Gebühren für die Einspeisung unserer Sender verlangen dürfen.
Die Reklamesteuer für dieses Jahr haben Sie am 20. August bezahlt, werden Sie das auch im kommenden Jahr?
Bis jetzt sieht es so aus. Wenn wir zahlen müssen, werden wir zahlen, wir entrichten immer unsere Steuern. Auch wenn bestimmte Leute sagen, wir würden das nicht tun. Wir sind Teil der RTL Group, natürlich zahlen wir unsere Steuern in allen Ländern, in denen wir aktiv sind!
Wie sieht es bei Ihrem Sender mit staatlichen Anzeigen aus?
Minimal. Wir bekommen so gut wie keine Aufträge von staatlichen Firmen. TV2 steht diesbezüglich schon deutlich besser da.
Es heißt, Sie werden juristisch gegen die Reklamesteuer vorgehen. Im In- und Ausland?
Ja.
Wann ist der erste Schritt zu erwarten?
Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, unsere Strategie steht fest, aber die Umsetzung dauert eben ein wenig.
Sind Sie sich des Erfolges sicher?
Ja. Ich habe keinen Zweifel, dass wir gewinnen werden.
Sprechen wir kurz über das Mediengesetz. International sorgte es 2011 für einen unglaublichen Wirbel. In wie weit war Ihr Sender davon betroffen?
Wir haben viel über dieses Gesetz gesprochen. Für uns hat es sogar ein paar Dinge verbessert, beispielsweise die Liberalisierung des Marktes, also dass wir mehrere Sender haben dürfen innerhalb der RTL Gruppe, das war vorher nicht erlaubt, aber auch beim Sponsoring hat sich einiges verändert. Wo es wirklich Probleme gab, das war die de facto Aufhebung des Quellenschutzes für Journalisten, das ist nicht akzeptabel, wurde aber korrigiert. Ich glaube, wirklich hart traf es vor allem Blogger und Internetjournalisten, wir waren schon damals in der Struktur so aufgebaut, dass uns das Gesetz nicht sehr berührte, das war in früheren Mediengesetzen bereits enthalten. Besorgniserregend ist, dass die öffentlich-rechtlichen Medien in Richtung Staatsmedien gedrängt werden.
War die Kritik gerechtfertigt im Nachhinein?
Ich schätze, das Mediengesetz war Teil einer Strategie, eines Prozesses, objektive Medien vom ungarischen Markt zu verdrängen. Aber das ist nur eine Vermutung.
Wie sehen Sie die Entwicklung des Medienmarktes?
Es ist besorgniserregend, dass alle Medien mittlerweile in eine Hand zu wandern scheinen. Jeder weiß, was zum Beispiel beim Online-Portal Origo im Hintergrund gelaufen ist, auch wenn es offiziell anders heißt. Oder auch die Komödie, die beim Besitzerwechsel von TV2 abgelaufen ist.
Sie sprechen von offenen Geheimnissen. Wie sieht Ihr Kurs diesbezüglich in Zukunft aus?
Wir werden weiterhin unseren Job professionell machen und objektiv arbeiten.
Dirk Gerkens:
„Viele Kunden mussten ihre Budgets einfach reduzieren, Banken beispielsweise. Ich kann das voll verstehen, dass dort keine großangelegten Werbekampagnen für Fremdwährungskredite mehr laufen. Auch die Autoindustrie hat ihre Werbung stark zurückgefahren, weil die Kaufkraft auf der Seite der Kunden fehlt.“
Hat also RTL an dem Drama der Bevölkerung mitverdient, durch Webekampagnen der österreichischen Banken in Zeiten der MSZP/SZDSZ Regierung??
Ich denke:
Die Steuer für RTL wird kippen. Offensichtliche Dreistigkeiten des Staates haben keine lange Haltbarkeit, wenn der Druck aus mehreren Richtungen zunimmt. Fidesz missbraucht mal wieder seine Macht und verweigert Kompromiss und demokratisch legitimierte Lösungsfindung zu kulturellen und wirtschaftlichen Fragen.
Ansonsten kann ich nur sagen: RTL-Sender sind Schundsender, denen ich keine Minute schenke, selbst wenn ab und zu mal was gescheites dabei ist. Die Folgen der RTL-Verblödung sind international so gravierend wie vieles, was schon heute weiten Teilen der Bevölkerung Intelligenz und Lebenszeit raubt (Gewaltorgien der Filmindustrie, verblödende Computergames …)
Konservative Regierungen sollten ihren Einfluss auf die Gesellschaft auf kluge Weise zur Geltung bringen und nicht dem Kommerz das Feld überlassen. Richtig, Herr Orbán, Herr Balog!! Aber mit der Brechstange ist insbesondere da, wo es um Kultur und Bildung geht, wenig zu gewinnen. Pädagogen und Pädagogik wären sonst überflüssig.
Der Kampf der Kulturen – angelsächsischer Liberalismus und Kapitalismus auf der einen, ungarischer Konservativmus auf der anderen – läßt sich so kaum gewinnen.
Kreativität sieht anders aus.
Frau Grabow, trotzdem vielen Dank für das Interview. Nur dass RTL in Ungarn „objektive Nachrichten macht. …“ stimmt so wenig wie die Behauptung, hírTV gäbe immer die Wahrheit wieder. Warum haben Sie nicht widersprochen? Oder ist es bei RTL schon etwas objektiv, wenn es sich mit Sachthemen befasst – und nicht mit Tratsch, Sex, Gewalt?
Wenn Herr Gerkens anderer Meinung ist, bitte ich um Kontakt. Danke.
Ein schönes Wochenende!