
Danke fürs Danke: An dieser Stelle erntete HR-Minister Zoltán Balog einhelligen spontanen Zwischenapplaus.
Die vergangenen Freitag in der Zentrale der Magyar Telekom stattfindende 24. DUF-Jahrestagung stand voll im Zeichen des 25. Jahrestags der Grenzöffnung. Fast alle Redner nahmen Bezug darauf, optisch machte ein großes Danke-Plakat der gemeinsamen Aktion von Deutscher Botschaft und DUIHK, die auch für die Organisation der Tagung verantwortlich war, auf der Bühne auf das deutsch-ungarische Jubiläum aufmerksam.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand ein gemeinsames Nachdenken über die Zukunft der EU und die Rolle von Deutschland und Ungarn in ihr. Am intensivsten widmete sich Elmar Brok, langjähriger EU-Parlamentarier und Ko-Vorsitzender des Deutsch-Ungarischen Forums, diesem Thema. In einem wie stets sehr leidenschaftlichen Vortrag machte er unter anderem auf einige Schwächen der EU aufmerksam, die dringend beseitigt werden müssten. Unter anderem bezeichnete er den EU-Rat als das „schwächste Organ der EU“, nach seinen Vorstellungen sollte er zu einer zweiten Kammer des Parlaments werden. Generell sprach er sich auch für mehr Transparenz der Entscheidungsprozesse aus. „Die EU kann nur dann laufen, wenn die Bürger wissen, wer für was verantwortlich ist“, betonte Brok. Zugleich lieferte er auch eine gute Nachricht mit: Diese und weitere von ihm als notwendig erachtete Änderungen könnten ohne eine Vertragsveränderung bewerkstelligt werden.
Die neue Qualität der EU
Mit Blick auf den Zusammenhalt der Gemeinschaft machte er deutlich, dass sich Deutschland weiterhin als Vertreter der kleinen Länder sähe, was nicht zuletzt auf das energische Eintreten von Altkanzler Helmut Kohl für deren Gleichberechtigung zurückgehe. Dass die Übermacht der großen Länder und ihre „unheimliche Arroganz“ gebrochen sei, verkörpere die neue Qualität der heutigen europäischen Staatengemeinschaft und markiere einen „dramatischen Unterschied“ gegenüber ähnlichen Modellen. Ein weiteres Thema mehrerer Vorträge war der Bürgerkrieg in der Ukraine. Während die deutschen Vertreter, ganz auf der US-amerikanischen Linie für eine Forcierung des Handelskriegs gegen Russland plädierten, stellten die ungarischen Vertreter eher die Sinnhaftigkeit von Sanktionen gegen Russland in Frage. Gleichzeitig machten sie aber auch klar, dass sie diese mittragen würden, im Gegenzug aber fest mit Kompensationszahlungen von Seiten der EU rechneten.
Ein weiteres immer wieder angesprochenes Thema waren die Kommunikation beziehungsweise das gegenseitige Verständnis füreinander, das bereits im Eröffnungsreferat von József Czukor, dem ungarischen Botschafter in Berlin, am Vorabend des Konferenztages eine Rolle spielte. „Eines unserer größten Probleme ist, dass wir uns bei unserer Kommunikation gegenseitig immer wieder Rätsel aufgeben“, bemerkte etwa EMMI-Minister Zoltán Balog. Gergely Prőhle machte in seinem Referat wiederum auf das unterschiedliche Verständnis von Begriffen in beiden Ländern aufmerksam, als Beispiele nannte er „liberal“ und „nationale Interessen“. Werden ungarischen Reden eins zu eins ins Deutsche übersetzt, komme es bei historisch gebildeten Deutschen regelmäßig zu Irritationen und zu Missverständnissen.
Viel Verständnis für einige Schritte der Orbán-Regierung
Manchmal aber auch nicht. So würdigte etwa Brok eine Passage aus der viel gescholtenen Rede von Premier Orbán im ehemals ungarischen Tusnádfürdő und unterstrich mit eigenen Worten: „Die liberale Wirtschaftspolitik war ein europäischer Sündenfall.“ Verständnis kam aber auch von ganz anderer Seite. So lobte etwa der stellvertretende Vorsitzende der deutsch-ungarischen Parlamentariergruppe, Christian Petry (SPD), die „starke Industriepolitik“ der ungarischen Regierung und ebenso ihre Anstrengungen zur Senkung der Energiepreise. Auch für die harten Maßnahmen zur Lösung der Devisenkreditmisere und einige wesentliche Neuerungen des Wahlgesetzes hätte er durchaus Verständnis.
Das aktuelle Forum hätte im Zeichen des 25. Jahrestags eine vollends harmonische deutsch-ungarische Veranstaltung werden können, wäre nicht die erst unlängst geschehene überzogene Polizeiaktion gegen ungarische NGOs aufs Tapet gebracht worden. Immer wieder kam dieses Thema von deutscher Seite direkt oder indirekt zur Sprache. NGOs spielten im Prozess der demokratischen Meinungsbildung eine wichtige Rolle bemerkte etwa Martin Kotthaus, Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt, nachdrücklich. Das Vorgehen des ungarischen Staates gegen NGOs sei in einem demokratischen Europa nicht in Ordnung, bemerkte auch Petry. Immerhin stellte Minister Balog am Ende in seinem Abschlussreferat fest, dass die Rechtmäßigkeit der Polizeiaktion ohne weiteres auch in Ungarn überprüft werden könne.
Spätestens als sich Balog wenig später unter großem Applaus für die Danke-Aktion der Deutschen bedankt hatte, war die für die Konferenz ansonsten prägende positive Grundstimmung aber wieder hergestellt.
4. Junges Deutsch-Ungarisches Forum
Der Zukunft Europas eine größere Stimme!

Auf der Suche nach den Gründen für das Desinteresse vieler Bürger gegenüber der EU: JEF-Bundessekretärin Linn Selle, Generalsekretärin des Ungarischen Rates der Europäischen Bewegung Kinga Joó, Dr. Funda Tekin, wiss. Mitarbeiterin des Instituts für Europäische Politik und AUB-Studentenschaftsvertreter Tamás Molnár (v.l.).
Bei der 4. Jahrestagung des Jungen Deutsch-Ungarischen Forums, die vergangene Woche Freitag im Rahmen des 24. Deutsch-Ungarischen Forums stattfand, wurde insbesondere über das von den Studenten der Andrássy-Universität vorgeschlagene Thema „Europa-Konzeptionen in Deutschland und Ungarn: Konvergenz oder Divergenz?” diskutiert.
Als Vortragende waren unter anderem der Vertreter der Studentenschaft Tamás Molnár eingeladen, der sich unter anderem den eher ambivalenten Beziehungen zwischen Ungarn und die EU widmete, wobei er auch auf die Gründe der Enttäuschung und des allgemeinen Desinteresse vieler Bürger gegenüber der EU einging. Linn Selle, die Bundessekretärin der Jungen Europäischen Föderalisten, die für ihre Tätigkeit als „Frau Europas 2014“ ausgezeichnet wurde, stellte wiederum die Europa-Perspektiven beziehungsweise ihre „Visionen” von Europa vor. In diesem Zusammenhang schilderte sie auch die Problematik der diffusen proeuropäischen Einstellungen der deutschen Jugend.
Die Projektkoordinatorin des Jugendnetzwerkes YCDN, Viktória Blahó, nahm die politisch-kulturelle Tradition Ungarns unter die Lupe und untersuchte, was die möglichen Gründe für eine eher passive politische Kultur sein könnten und wie sich diese auf das zivilgesellschaftliche Engagement der Bürger auswirkt. Als ein kleines Positivbeispiel zur Förderung der Zivilcourage wurde dann zum Schluss der zu den ungarischen Parlamentswahlen konzipierte Erstwählerworkshop des Netzwerkes vorgestellt.
Der Politikverdrossenheit begegnen
Nach der Abgabe von Kurzstatements, bekamen die Zuhörer die Gelegenheit sich in Kleingruppen auszutauschen und über die Divergenzen und Konvergenzen der Europa-Konzeptionen in Ungarn und Deutschland auszutauschen. Viele kamen dabei zu recht ähnlichen Schlüssen. So etwa, dass die große Mehrheit der jungen Menschen in Deutschland und Ungarn die Vorteile des europäischen Lebens-, Studien- und Reiseraums als gegeben wahrnehmen würden, ohne diese auf die Europäische Integration zu übertragen. Diskutiert wurde auch über eine weitere gesellschaftliche Annäherung so etwa über eine gemeinsame Verkehrssprache und inwiefern anhand von Graswurzel-Projekten der Politikverdrossenheit unter jungen Menschen begegnet werden könne. Die Bedeutung, jungen Menschen eine Plattform zu geben, sich mit gesellschaftlichen Fragen auseinandersetzen zu können, wurde von den Diskutanten als enorm hoch bewertet. Dies sei letztendlich der Weg zu einer lebendigen Zivilgesellschaft.
Unter vielen jungen Ungarn herrscht zivilgesellschaftliche Apathie
Unterschiede gebe es zwischen beiden Ländern jedoch noch immer insbesondere hinsichtlich der Struktur der Zivilgesellschaft: Ist Deutschland geradezu ein „Verbändeland“, so sei in Ungarn gerade auch unter jungen Menschen noch immer eine regelrechte zivilgesellschaftliche Apathie anzutreffen und die Unlust, sich für die Durchsetzung gesellschaftlicher Belange zu organisieren und engagieren.
Die Teilnehmenden waren sich unter anderem darin einig, dass der Austausch zwischen Deutschland und Ungarn gerade auch zwischen jungen Menschen und verschiedenen zivilgesellschaftlichen Projekten eine wichtige Rolle spielen sollte. Besonders der Wunsch nach einem breitangelegten Jugendforum wurde ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, um den neuen Generationen – für die Zukunft Europas eine größere Stimme zu geben. In diesem Zusammenhang wurde auch der Wunsch bekundet, dass das Junge Deutsch-Ungarische Forum nicht nur einmal pro Jahr tagen sollte, sondern dass Jugendliche unter dessen Dach auch in der dazwischenliegenden Zeit zusammenkommen sollten.
VB