Die Aufgabe der Verfassungsrichter ist es, die in der Verfassung enthaltenen Werte, Rechte, Grundsätze und die Bürger vor dem Staat zu schützen. So sieht es die Theorie vor. Die Wirklichkeit scheint in Ungarn jedoch weit entfernt davon. Denn was sich am Montag im Rechtsausschuss des Parlaments abspielte, ist bei allem Gewitzel wohl als eindeutige Aussage zu verstehen.
Drei neue Verfassungsrichter sollten am vergangenen Montag angehört werden. Eine Anhörung, bei der es darum geht, das Verständnis und die Interpretation der jeweiligen Richter-Anwärter zum Grundgesetz zu erfahren, konnte selbst die sonst nicht für ihre regierungskritische Berichterstattung bekannte staatliche Presseagentur MTI ausmachen. Kurz beschreibt MTI die Geschehnisse folgendermaßen: Drei Kandidaten wurden von der Regierung vorgeschlagen, die Sozialisten (MSZP) sagten ihre Teilnahme an der Anhörung bereits im Vorfeld ab, mit der Begründung, so gegen die Einseitigkeit der Nominierung zu protestieren. Der unabhängige Abgeordnete Szabolcs Szabó, selbst nicht Mitglied des Ausschusses, erhielt das Wort und fragte die Nominierten, wie sie ihre einseitige Nominierung mit ihrem Gewissen vereinbaren könnten. Daraufhin entzog ihm der Präsident des Ausschusses, György Rubovszky, kurzerhand das Wort.
Generell kamen bei den Anhörungen ausschließlich die – in geheimer Sitzung nominierten – Kandidaten zu Wort, Fragen von Seiten der Ausschussmitglieder gab es keine, berichtet das Nachrichtenportal index.hu.
Verfassungsrecht ist Nebensache
Die erste Kandidatin für einen Posten am Verfassungsgericht war Ágnes Czine, Richterin für Strafrecht. In ihren umfangreichen Ausführungen zu ihrem fachlichen Lebenslauf ging sie auf vieles ein, vergaß nur eines: das Verfassungsrecht. Trotzdem wurde Czine ohne Gegenstimmen als neue Verfassungsrichterin vom Ausschuss bestätigt.
Ihr nachfolgend sprach András Varga Zsolt, Dekan der juristischen Fakultät der katholischen Pázmány Universität. Der ehemalige stellvertretende Generalstaatsanwalt umging das Kernthema Verfassungsrecht nicht, sondern hielt vielmehr eine Vorlesung in diesem Bereich. So sei beispielsweise die „Zeit der aktivistischen Auslegung des Verfassungsrechts vorbei“. Die Richter sollten vielmehr die Verfassung schützen als ihre eigene fachliche Meinung zu vertreten. Varga sieht die Rolle des Verfassungsgerichts innerhalb der staatlichen Gewaltenteilung als “unterstützend”, mithin dürfe es nicht “übermächtig” werden. Als grundlegend und richtungsweisend betrachtet Varga das Nationale Glaubensbekenntnis, die Präambel des Grundgesetzes (Das Nationale Glaubensbekenntnis ist von christlichen Werten geprägt und legt damit den Interpretationsspielraum der Verfassungsrichter größtenteils fest.). Auch Varga wurde ohne Gegenstimmen ins Amt gewählt.
Als letzter der Kandidaten wurde der Rechtsanwalt Tamás Sulyok angehört. Sulyok verlieh unter anderem seiner Sorge Ausdruck, dass europäisches Recht nationalem Recht zuwiderlaufe. Die nationale Identität, deren Ausdruck das Grundgesetz sei, gerate so aber unter Druck, sagte Sulyok. Auch der dritte Nominierte wurde einstimmig vom Ausschuss bestätigt. Wie index.hu berichtete, wurde während der gesamten Anhörung – abgesehen vom Oppositionellen Szabó – nicht eine Frage an die Kandidaten gestellt, sondern nur abgestimmt.
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