Tatkräftig für Völkerverständigung und Frieden in Europa zupacken? Wie das funktionieren kann, lernten 24 junge Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Workcamp Budaörs“ in den ersten beiden Augustwochen kennen.
Dass man zunächst mitunter etwas Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen anderer Sprache und Herkunft benötigt, machten die gemeinsamen Arbeitseinsätze auf der deutschen Kriegsgräberstätte und dem angeschlossenen Friedenspark in Budaörs bildhaft deutlich. Doch auch wie die Restauration der Grabkreuze – die Erneuerung der filigranen Gravuren darin – nach kurzer Einarbeitung immer fließender voranging, mischten sich die aus Ungarn, Polen und Deutschland angereisten Jugendlichen im Alter von 16 bis 22 Jahren schnell zu einer Gruppe junger Europäer, die getreu dem Motto des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (VDK) „Arbeit für den Frieden“ leisten wollten.
Krieg als Katastrophe verstehen
Im Mittelpunkt der Jugendbegegnungen des Volksbundes stehen immer die vom VDK betreuten Kriegsgräberstätten, die der Verein auch als Mahn- und Bildungsort für Jugendliche nutzt. „Es geht nicht darum, die Gefallenen hier als Helden zu verehren“, erläutert der ehrenamtliche Campleiter Eric-Bastian Ossowski den Zweck der Begegnung, „sondern darum, Krieg als Katastrophe zu verstehen“. Deshalb werden nicht nur deutsche Soldatenfriedhöfe im Rahmen der jährlich in ganz Europa stattfindenden Workcamps besucht und gepflegt. „Um Friedhöfe und Gedenkstätten von Kriegsgefangenen und alliierten Soldaten kümmert sich der Volksbund mit seinen Projekten ebenso. Die Herkunft der Opfer spielt da keine Rolle – sie alle sind durch kriegerische Gewalt zu Tode gekommen“.
Dass der praktische Arbeitseinsatz auf der Gedenkstätte eindringlichere Eindrücke als Schulbücher vermittelt, findet Sophie aus Deutschland: „Es ist erst einmal unheimlich bedrückend, wenn man auf dem Grabkreuz, das man gerade restauriert, liest, dass unter ihm ein Junge liegt, noch jünger als die meisten von uns Teilnehmern“. Diese Eindrücke zu reflektieren, helfen die Nachbesprechungen in der Unterkunft. „Das zweite der drei Elemente unserer Camps ist Bildung“, so Ossowski. Die Teilnehmer sollen den Kontext ihrer Arbeit verstehen. Warum befindet sich eine Kriegsgräberstätte in diesem Land? Wer liegt hier begraben, und warum? „Damit sensibilisieren wir unsere Teilnehmer gegen Kriegsverherrlichung“.
Die Begrabenen kennenlernen
Einige der vom Volksbund betreuten Stätten in Westeuropa sind mittlerweile soweit ausgebaut, dass man anhand aufwändig recherchierter Einzelbiographien die Lebensgeschichten der dort Begrabenen kennenlernen kann. Diese ermöglichen es dem Leser, die Gefühls- und Gedankenwelt der Bestatteten nachvollziehen und bewerten zu können. „So weit sind wir hier in Budaörs leider noch nicht – aber unser Landesverband Niedersachsen arbeitet daran, diese pädagogisch wertvolle Herangehensweise auch hier zu erschließen“.
Großes Interesse hat der Verein vor allem daran, auch für die Gruppe der etwa 500 ungarischen Gefallenen, die ebenfalls in Budaörs bestattet sind, Materialien zu recherchieren und lesbar zu machen. Auf den im Ausland stattfindenen Workcamps werde ohnehin besonderes Augenmerk auf die geschichtliche Perspektive des Gastlandes gelegt.
So erfuhren die Teilnehmer im Budapester „Haus des Terrors“, dass das Ende des Zweiten Weltkrieges gar keine Befreiung für die ungarischen Menschen war. „Dass es hier in Ungarn die Pfeilkreuzler gab, die erst mit den nationalsozialistischen Besatzern kollaborierten, und viele von denen unter dem darauffolgenden sozialistischen Regime in neuer Uniform ihre Unterdrückung Andersdenkender einfach fortgesetzt haben, wusste ich überhaupt gar nicht“, gibt Elia aus Braunschweig zu. „Zuhause möchte ich mich noch genauer darüber informieren“.
Öffnung für die Geschichte und Kultur des Gegenübers
Genau diese Öffnung für die Geschichte und Kultur des Gegenübers sei es, die den Begriff Völkerverständigung in den Workcamps des Volksbundes mit Leben erfülle, findet Torben Otte vom Studentennetzwerk Young Citizens Danube Network der Andrássy-Universität Budapest. Zusammen mit seiner Komilitonin Viktória Blahó bereitete er das zweiwöchige Camp organisatorisch und programmatisch vor, denn der Volksbund ist zur Umsetzung seiner im Ausland stattfindenden Projekte stets auf ortskundige Partnerorganisationen angewiesen.
Die Schnittmenge des vor einem Jahr neugegründenten zivilgesellschaftlichen Studentennetzwerkes der Andrássy-Universität mit dem Volksbund sei groß. „Auch wir setzen uns für Toleranz und grenzüberschreitendes Miteinander im Donauraum ein“, so Otte. „Anfangen kann man damit am Besten im Kleinen. So war es uns wichtig, neben dem Besuch im Holocaust-Gedenkzentrum und dem Gespräch mit einem Überlebenden der Shoah auch einen ganzen Tag auf das heutige, pulsierende jüdische Leben hier in Budapest zu verwenden“.
Eine richtige Harmonie mit den jungen Aktivisten der Budapester Innenstadt, die den Workcampteilnehmern das jüdische Viertel mit einer mit der eigenen Familienbiografie verbundenen Führung zunächst näherbrachten, entstand spätestens beim gemeinsamen Einstudieren eines hebräischen Musikstückes – die musikalischsten Teilnehmer hatten hierfür extra ihre Instrumente mit in das Stadtzentrum gebracht. Musizieren stand bei vielen Teilnehmern an den programmfreien Nachmittagen und Abenden ohnehin hoch im Kurs. Andere nutzten die großzügige Austattung des Friedrich-Schiller-Gymnasiums in Pilisvörösvár, in dessen Wohnheim die Jugendlichen untergebracht waren, um den Tag in der Sporthalle oder dem Gemeinschaftsraum ausklingen zu lassen.
Genug Freiräume zum gegenseitigen Kennenlernen
„Die Dritte Säule unserer Veranstaltung ist die Begegnung. Die Teilnehmer sollen genügend Freiräume haben, um sich auch persönlich kennenzulernen. Das klappt auch Dank der Unterbringung in dieser tollen Schule wunderbar“, schwärmte Ossowski von der Gastfreundschaft in Pilisvörösvár. „Ein Selbstläufer“, so der Campleiter, der selbst Lehrer von Beruf ist, „ist das allerdings nicht. Das eine oder andere Teambuilding-Spiel gerade zu Campbeginn ist nötig, um das Eis zu brechen“. Vor allem diese erlebnispädagogischen Einheiten seien es, die die ungarischen Teilnehmerinnen schon zur spontanen Voranmeldung für das Workcamp im kommenden Jahr veranlassten: „Diese ganzen Teambuilding-Spiele waren völlig neu für uns. Die Arbeit, die Ausflüge, die deutschen und polnischen Teilnehmer – wir werden das Camp sehr vermissen“, resümierte Bori.
Auch von offizieller Seite wurde den Jugendlichen Dank für ihren symbolischen Einsatz bekundet. An der das Camp abschließenden Gedenkstunde auf der Budaörser Gedenkstätte nahmen neben lokalen Gemeindevertretern auch Abgesandte des ungarischen Verteidigungsministeriums, der Deutschen Botschaft und der Konrad-Adenauer-Stiftung teil. „Ich wünsche mir, dass ihr ein Sinnbild für die Zukunft Europas seid“, wandte sich Adalbert von der Recke in seiner Funktion als Ehrenvorsitzender des niedersächsischen Landesverbandes des VDK an die Teilnehmer und Gäste.
Wer im nächsten Jahr selbst einmal an einem internationalen Workcamp teilnehmen möchte, kann sich auf der Webseite des Volksbundes umfassend informieren. Jugendlichen aus Mittelosteuropa wird die Teilnahme an Camps in Deutschland zudem durch ermäßigte Teilnahmepreise erleichtert. Auch Budaörs soll im kommenden Jahr wieder eine deutsch-ungarische Jugendgruppe begrüßen. „Wir helfen bei der Organisation des kommenden Camps definitiv wieder mit“, bekräftigt Otte von der Andrássy Universität und fügt nachdenklich an: „Warum Friedenspädagogik so wichtig ist, können wir leider wieder tagtäglich in der Zeitung lesen“.
Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. hat großes Interesse daran, biografisches Material in Budaörs bestatteter deutscher und ungarischer Soldaten für die Besucher der Gedenkstätte lesbar zu machen. Wenn Sie über Quellenmaterial verfügen und es bereit stellen möchten, freut sich der Landesverband Niedersachsen unter niedersachsen@volksbund.de auf Ihre Kontaktaufnahme.