Am Montagmorgen um halb neun am Morgen fühlten sich die noch daheim befindlichen Anwohner der Szerb utca wohl wie in einem Paralleluniversum. Sicherheitskräfte auf der Straße, zahlreiche Polizeiautos parken im Sichtfeld. So etwas ist man innerhalb des „kleinen körút“ zwischen Nationalmuseum und Donau nicht gewohnt. Ausgeschriebener Staatsfeind war zu Anfang der Woche die Zivilorganisation Ökotárs.
Zur Erinnerung: Bereits im April verkündete der Leiter des Amtes des Ministerpräsidenten, János Lázár, den Norwegischen Zivilfonds respektive die durch ihn bereitgestellten Gelder stärker überwachen zu wollen. Denn, so Lázár, mit diesem Geld würde unter dem Deckmäntelchen der Zivilorganisation unlauter in die ungarische Innenpolitik eingegriffen, sprich die Opposition unterstützt. (Die Gelder des Fonds stammen von der norwegischen Regierung und dienen dazu, NGOs bei ihrer Arbeit zu unterstützen; Anm.) János Lázár forderte deswegen, die Verteilung der Gelder weg von einer zivilen Organisation – sprich Ökotárs – hin zu einer staatlichen Stiftung zu lenken, um die Gelder unter staatliche Kontrolle zu bringen. Dies hingegen hielt die norwegische Seite für nicht hinnehmbar, fror die Gelder zwischenzeitlich ein und forderte den Rückzug Lázárs von diesem Gebiet. Nach einem medialen Schlagabtausch in diversen ungarischen und norwegischen Blättern forderte das KEHI, das Regierungsamt für Überprüfung, die Herausgabe aller Unterlagen betreffend der Vergabe der Gelder.
Finanzen nur Vorwand
Nun also die Durchsuchungen der Büroräume am Montag. Dabei traf es nicht nur die Stiftung Ökotárs sondern auch die Demnet, eine weitere Zivilorganisation, die eng mit Ökotárs zusammenarbeitet. Die Polizei rückte mit etwa 20 Mann an, nur wenige Stunden später sollen auch einige der Wohnungen von Mitarbeitern von Ökotárs durchsucht worden sein. Doch was konnte sich die zivile Stiftung, deren Namen so viel wie Ökopartner bedeutet, zuschulden kommen lassen, um eine fast Hollywood-reife Polizeiaktion zu rechtfertigen?
Der offizielle Grund, so das Nationale Ermittlungsbüro der Bereitschaftspolizei, seien die mutmaßliche Veruntreuung von Geldern sowie unerlaubte Geldgeschäfte. Was dahinter steht, ist die Annahme von staatlicher Seite, dass die Gelder des Norwegischen Zivilfonds sozusagen öffentliche Gelder seien und damit staatlicher Kontrolle unterlägen.
Nun ist es nicht nur die Begründung, an der sich viele Oppositionelle und Beobachter stören. Denn, so wurde vom ersten Moment an vermutet, viel wahrscheinlicher scheint die Neugier nach Informationen seitens der Regierung. Bereits im Sommer forderte das KEHI die Herausgabe von Daten zu den vergebenen Geldern, vorrangig interessierte es sich dabei für den Zweig der Demokratieentwicklung innerhalb der geförderten Vereinigungen. Etwa ein Jahr zuvor hatte die regierungsnahe Wochenzeitung Heti Válasz auch eine Liste von 13 NGOs veröffentlicht, die laut Amt des Ministerpräsidenten als „oppositionelle Kräfte“ zu werten seien. Der Blog 444. hu zitierte am Dienstag Informatoren, die davon sprachen, dass die Ermittler gezielt nach den Akten dieser 13 Organisationen fragten. Diese Beobachtung teilten auch andere Online-Portale unter Berufung auf nicht zu nennende Quellen mit. So schreibt auch das Nachrichtenportal index.hu, dass nur und ausschließlich die Unterlagen von TASZ (Gemeinschaft für Freiheitsrechte), Transparency International, K-Monitor (beides Anti-Korruptions-Vereine) NaNe (Frauen für Frauen gegen Gewalt) und Co. die Ermittler interessierten. In diesem Zusammenhang fällt es vielen Beobachtern – und vor allem den Betroffenen selbst – schwer, nicht eine politische Motivation hinter den vermeintlichen finanziellen Ungereimtheiten zu vermuten.
Aktion in Norwegen nicht unbemerkt
Derweil äußerte sich auch Vidar Helgesen, norwegischer Minister für Europa-Angelegenheiten, zu den Geschehnissen am Montag. Auf der offiziellen Homepage Norwegens in Ungarn www. norvegia.hu wurde seine Erklärung veröffentlicht. Mit deutlichen Worten nimmt Helgesen Stellung. So heißt es dort unter anderem: „Die ungarischen Behörden haben mit der gestrigen Aktion bewiesen, dass die Bedrängnis der Zivilgesellschaft fortgesetzt wird.“ Weiter heißt es dort, das Auftreten der Polizei sei nicht hinnehmbar und zeige deutlich, das Ziel der ungarischen Regierung sei es, kritische Nicht-Regierungsorganisationen mundtot zu machen. Helgesen sieht darin einen Beweis für Ungarns wachsende Entfernung von der Demokratie und den gemeinsamen europäischen Werten.
Der Leiter des Amtes des Ministerpräsidenten, János Lázár, äußerte sich ebenfalls am Dienstag. Ein Gang nach Brüssel scheine immer unvermeidbarer. Da sich die Parteien scheinbar nicht einigen könnten, müsse eine Entscheidung dort gefällt werden.
Während sich momentan vermutlich Heerscharen von Ermittlern durch die beschlagnahmte Dokumentenflut kämpfen, eröffnet eine der ins Fadenkreuz geratenen Organisationen eine neue Front. Die Gemeinschaft für Freiheitsrechte (TASZ) kündigte noch am Montag an, das KEHI auf Herausgabe von Informationen verklagen zu wollen. Im Detail interessieren sich die Rechtsschützer dafür, auf welcher Grundlage die Hausdurchsuchung am Montag beruht. Und während sie auf Antwort wartet, werden immer absurdere Details bekannt. So spricht beispielsweise Stefánia Kapronczay, Direktorin der TASZ, davon, das KEHI fordere absurde Papiere, beispielsweise eine aufgeschlüsselte Kostenaufstellung beim Drucken – der fragliche Betrag beläuft sich auf 10.000 Forint. Kapronczay witzelte gegenüber index.hu: „Ab jetzt müssen alle Kopiervorgänge bei uns fotografisch belegt werden.”