„Ich glaube an nichts“, prangt groß auf einem Plakat; „Ich traue mich nicht, es aufzuschreiben“, auf einem anderen, angeordnet mit aus Zeitschriften ausgeschnittenen Buchstaben. „Ich will glauben, dass ich ein Vogel bin“, versucht sich ein Bär auf einem dritten zu überzeugen. „Te miben hiszel?“ (Woran glaubst du?) lautet die Titelfrage der diesjährigen ARC-Plakatausstellung. Mal knapp und illusionslos, mal frech und plakativ – die Antworten der Teilnehmer sind vielfältig.
Seit ihrer Gründung im Jahr 2000 will die Ausstellung die Möglichkeiten von großformatigen Plakaten als kritische Kunstform außerhalb der Werbebranche zeigen und damit auch der ungarischen Gegenöffentlichkeit eine Plattform bieten. In diesem Jahr wählte die Jury aus etwa 1100 Einsendungen elf Plakate aus, die nun bis zum 21. September am Ötvenhatosok tere in der Nähe des Heldenplatzes zu sehen sind.
Auch die 14. ARC- Ausstellung zeigt sich dabei dezidiert politisch und gesellschaftskritisch. Die Glaubensfrage im Titel dient dem Großteil der Künstler nur als Sprungbrett, um die Lebenswirklichkeit in Ungarn zu beleuchten. Hoffnungen und Überzeugungen, Politik und Individuum erscheinen aufs Engste miteinander verknüpft.
Zwischen London und Russland
Ein immer wiederkehrendes Motiv ist dabei etwa die Auslandsflucht – ob es die Jugend ist, die anderswo eine bessere Perspektive sieht, oder die Älteren, die die finanzielle Not aus ihrer Heimat zwingt. „Exodus“ verkündet ein Notausgangsschild im Großformat, ein Storchenpaar fragt sich, ob sie im nächsten Jahr zurückkehren werden: Sie alle thematisieren die schmerzhafte Lebensrealität vieler Ungarn. So auch das zweitplatzierte Plakat „Hungarian in Europe“ von Milán Herr. „I love London“, prangt dort in Anlehnung an die Sprüche auf Taschen und T-Shirts aus Souvenirläden – nur dass hier das Herzchen aus Putzschwämmen gebildet wird. Böden schrubben statt Weltenbummeln – nicht wenige Magyaren gehen für ihren Lebensunterhalt als Putzkräfte ins Ausland. Dennoch gibt sich der Künstler optimistisch. Im Video-Interview mit den Veranstaltern antwortet er auf die Frage, woran er persönlich glaubt: „Daran, dass ich das Ziel, das ich mir selbst gesetzt habe, auch erreichen kann“.
Die Künstler sparen nicht mit Kritik am Kurs der aktuellen Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán. Die Frage, wie es um die Pressefreiheit im Land bestellt ist oder die Zusammenarbeit der ungarischen Regierung mit Russland etwa bei der Erweiterung des Atomkraftwerkes in Paks stehen dabei im Fokus. Die Pointe kommt freilich manchmal mit dem Holzhammer daher – im mit dem Sonderpreis „Das Wesentliche hinter den Tatsachen“ des linksliberalen Wochenmagazins hvg ausgezeichneten Plakat von Dávid Gutema prangt in Großbuchstaben „Russia“ auf dem stilisierten Umriss Ungarns, ein anderes verlegt Ungarn auf der Karte gleich ans Kaspische Meer zwischen Aserbaidschan und Turkmenistan.
Fußball und die Nation
Das mit dem ersten Preis ausgezeichnete Werk des Künstlers Macskabajusz Művek fällt zwischen vielen um Aufmerksamkeit buhlenden Plakaten dagegen gerade durch seine Schlichtheit auf. Auf den ersten Blick das Schema eines normalen Fußballfeldes fällt dem Besucher beim zweiten auf, dass die Proportionen nicht stimmen. Ein Tor ist doppelt so groß wie das andere, Fairplay hat auf diesem Feld schon von Grund auf keine Chance. So will auch der Schöpfer sein Bild verstanden wissen: „Auf einem solchen Feld wird es nie die gleichen Voraussetzungen geben“.
Im Zusammenhang mit dem Titel „Egyenlőség, testvériség, közbeszerzés“ (in Abwandlung der Parole der französischen Revolution etwa „Gleichheit, Brüderlichkeit, öffentliche Ausschreibung“) bezieht sich das Plakat gleichzeitig auf die augenscheinliche Fußballbegeisterung der ungarischen Politik, die sich etwa bei der neuen Groupama-Arena (ehemals Flórián Albert Stadion) in Budapest oder dem Nagyerdei Stadion in Debrecen vor allem durch den Neubau oder die Erneuerung von Stadien manifestiert. Angesichts des Ungleichgewichts zwischen Zuschauerzahlen und den aufgewandten Milliardensummen hagelt es dafür Kritik; ein anderer Beitrag verlegt da gleich das ganze Parlamentsgebäude auf ein Fußballfeld.
Nicht fehlen dürfen auch Seitenhiebe auf die staatlich lizenzierten „Nationalen Tabakgeschäfte“, deren in den ungarischen Nationalfarben gehaltenes Logo seit ihrer Einführung im vergangenen Jahr im Budapester Straßenbild omnipräsent ist. Nun zeichnet sich ab, dass auch ihr vieldiskutiertes Pendant beim Alkoholverkauf bald Realität wird; „nemzeti“, also „national“, ist mittlerweile ein von der ungarischen Regierung geschützter Begriff. László Szűcs spinnt in seinem Beitrag den Faden von dieser Nationalbegeisterung auf der Regierungsseite weiter zum Magyar Vizsla, der charakteristischen ungarischen Jagdhundrasse, und deklariert sie kurzerhand zum „Nemzeti Vizsla“.
Die ARC-Plakatausstellung zeigt sich so auch in ihrem 14. Jahr wieder als manchmal flapsiger, manchmal ernster, aber immer kritischer Betrachter der ungarischen Gesellschaft. Damit sie diese Rolle auch im nächsten Jahr erfüllen kann, rufen die Veranstalter die Öffentlichkeit zur Unterstützung auf. Der freie Eintritt gehört zu den Prinzipien der Ausstellung; sie wird daher bisher komplett von Sponsoren finanziert. Diese seien im aktuellen politischen Klima jedoch immer weniger bereit, die von der ARC vertretenen Werte – Freiheit, Unabhängigkeit oder eine kritische Sichtweise – zu unterstützen. Schon in diesem Jahr stand die Finanzierung der Ausstellung lange auf wackligen Füßen.
„Woran glaubst du?“
An einer großen Tafel bieten die Veranstalter den Besuchern die Möglichkeit, selbst die titelgebende Frage zu beantworten. Ob die Ausstellung auch weiterhin den Fragen der ungarischen Gegenwart eine Plattform bieten kann, liegt nun auch an ihnen.
Weitere Plakate finden Sie hier.
ARC Ausstellung
„Te miben hiszel?“ (Woran glaubst du?)
Noch bis zum 21. September Ötvenhatosok tere, Alle Plakate mit englischer Beschriftung
Eintritt frei
www.arcmagazin.hu