Während des diesjährigen Jameson CineFest vom 12. bis zum 21. September verwandelt sich das ungarische Miskolc zum elften Mal in einen Tummelplatz der internationalen Filmszene. Den Rest des Jahres erregt die Stadt im Nordosten Ungarns meist Aufsehen durch soziale Konflikte. Zuletzt wurde die Räumung einer Roma-Siedlung scharf kritisiert, und besonders kurz vor den Kommunalwahlen profilieren sich viele Miskolcer Politiker durch Romafeindlichkeit. Auch vor dem beliebten Festival scheint die Politik nicht halt zu machen: Angeblich sollen keine Filme gezeigt werden, die die Situation der Zigeuner in Ungarn in einem kritischen Licht beleuchten.
Bereits seit 2003 präsentiert das CineFest jährlich eine Auswahl nationaler und internationaler Filme und hat sich während der letzten Jahre zum größten und wichtigsten Filmfestival Ungarns entwickelt. Zwar ist es nicht so bedeutend wie die Berlinale oder so weltbekannt wie Cannes, aber doch schafft es Jameson CineFest immer wieder eine überzeugende Auswahl an Filmen für das Festival zu gewinnen. Darunter viele, die zuvor sogar auf internationalen Festivals wie dem renommierten, US-amerikanischen Sundance Festival Preise abgeräumt haben. Einer der diesjährigen Favoriten im Wettbewerb um den Hauptpreis des CineFest ist das Filmdrama „Mommy“ des 28-jährigen Franko-Kanadiers Xavier Dolan, das erst im Mai in Cannes den begehrten Preis der Jury abräumte. Weitere Highlights im Programm sind Richard Linklaters „Boyhood“, Vanessa Lapas “The Decent Man” oder Mike Cahils Science-Fiction-Drama “I Origins”.
Neben den Wettbewerbsfilmen bietet das Miskolcer Filmfestival ein reichhaltiges Rahmenprogramm mit zahlreichen Höhepunkten. Zu diesen gehören auch die CineClassics. Seit nunmehr fünf Jahren hat diese Serie unter der künstlerischen Leitung des Oskar-preisgekrönten Regisseurs István Szabó einen festen Platz im Programmheft des Jameson CineFest. Durch Vorführungen, Diskussionsrunden und Vorträge werden dem Besuchern die Klassiker der Filmgeschichte nähergebracht. Eine Besonderheit 2014: Die Schauspielerin Klári Tolnay wird anlässlich ihres hundertsten Geburtstages mit der Herausgabe eines Jubiläumsbuches und der Vorführung einer ihrer erfolgreichsten Filme „Egy csók és más semmi“ (Ein Kuss und mehr nicht) geehrt. Tolnay zählte zwischen den 30er und 50er Jahren zu den begehrtesten Filmdiven Ungarns florierender Filmindustrie.
Einen weiteren Programmpunkt des Jameson Cinefest werden viele Besucher dieses Jahr vergebens in den Programmheften suchen: Die Dokumentarfilmgruppe DunaDOCK beteiligt sich in diesem Jahr nicht mit ihren „MasterClasses“ am Filmfestival. DunaDOCK versteht sich als kreative Plattform zur Vernetzung ungarischer und internationaler Dokumentarfilminteressierter. Erst im vergangenen Jahr wurde die Veranstaltung in das Festivalprogramm integriert, sollte aber fester Bestandteil des CineFest-Rahmenprogramms bleiben. Auf dem letztjährigen Festival wurden in den MasterClasses vor allem ungarische Dokumentarfilme vorgeführt und anschließend mit dem Publikum und geladenen Gästen diskutiert.
Anfang August sorgte die Dokumentarfilmgruppe jedoch mit einer politisch brisanten Ankündigung für Aufregung. In einem Statement auf der Facebook-Seite der Gruppe heißt es, dass CineFest angekündigt habe, nur Veranstaltungen der Dokumentarfilmgruppe aufzunehmen, „wenn darin keine Filme mit dem Thema ‚Roma in Ungarn‘ vorkommen.“ Die Erklärung der Festivalleitung für diese Einschränkung sei, „dass das Festival dieses Jahr vor den Kommunalwahlen stattfindet, und so zur Vermeidung politischer Konflikte und aus Sicherheitsgründen keine Filme mit dem Thema Roma in Ungarn gezeigt werden können“, so DunaDOCK in ihrem Statement. Daraufhin zog die Dokumentarfilmgruppe ihre Teilnahme am diesjährigen Miskolcer Filmfestival komplett zurück: „Wir halten es für unakzeptabel, dass die Freiheit eines unabhängigen, fachlichen Filmprogramms von der Tagespolitik eingeschränkt wird.“
Politische Kabale oder Missverständnis
Viele Filmschaffende schlossen sich ihrer Empörung an, unter ihnen auch Ungarns Regie-Großmeister Béla Tarr. Sogar ausländische Medien wie Spiegel Online oder taz greifen das Thema auf. Dass DunaDock hier auf offene Ohren stößt, liegt wohl auch daran, dass Ungarn unter der rechtskonservativen Regierung Viktor Orbáns als Sorgenkind Europas gebrandmarkt ist. Dabei scheint die Haltung gegenüber der ungarischen Roma-Minderheit besorgniserregend. Gerade einmal fünf Jahre liegt es zurück, es geschah also noch unter der sozialistischen Vorgängerregierung, dass bei einer rassistisch motivierten Mordserie sechs Roma getötet und dutzende verletzt wurden. Und erst vor Kurzem leugnete ausgerechnet der für Integration der Roma zuständige Minister Zoltán Balog die Deportation von Roma aus Ungarn während des Zweiten Weltkrieges. Wenig später bezeichnete er diesen Satz allerdings als „misslungen“ und korrigierte ihn gemäß der histoschen Tatsachen, wobei er sich zugleich auch für eine bessere Erforschung dieses Teil der ungarischen Geschichte aussprach. Das Thema ist und bleibt ein heißes Eisen in der ungarischen Öffentlichkeit, darum weiß auch die Politik. In Miskolc ist der Umgang mit der Minderheit Wahlkampfthema – besonders seitdem klar ist, dass ein von Roma bewohntes Armutsviertel für den Bau eines Fußballstadions weichen muss.
Vor diesem Hintergrund erscheint ein Skandal wie der um DunaDOCK nur allzu glaubhaft. Alles an den Haaren herbeigezogen, meint jedoch Tibor Bíró, Leiter des Festivals in einem Interview gegenüber The Budapest Beacon. Die Entscheidung, die von DunaDOCK vorgeschlagenen Filme abzulehnen, sei eine Frage der Selektivität und Programmplanung: „Wir dachten, wir brauchen diese Filme nicht, wir können Bessere anbieten.“ Ein Roma-Programm habe es schon viele Jahre vor der Beteiligung von DunaDOCK gegeben und werde auch weitergeführt. So würden in diesem Jahr fünf filmische Porträts erfolgreicher Roma gezeigt, so Bíró.
Trotz politischen Eskapaden: Das Jameson CineFest hat sich als ein Filmfestival von internationalem Format etabliert, und die Chance, sich die neuesten Filme anzuschauen, die oft noch kein Kinozuschauer gesehen hat, sollte man sich nicht entgehen lassen. Wer daher, eventuell über‘s Wochenende, ein paar Tage entbehren kann, der setze sich in den nächsten Zug nach Miskolc. Ein besonderer Anreiz: Außer der Anreise und Verpflegung fallen keine Kosten an, denn sowohl die Filmvorführungen als auch die Rahmenprogramme sind kostenlos.