Die Automobilindustrie ist der mit Abstand größte Hoffnungsträger für Ungarns Wirtschaft. Sie generiert Wachstum, steht für ein Fünftel der Exportleistung, erwirtschaftet rund 15 Milliarden Euro und sichert bei gut 700 Firmen 115.000 Arbeitsplätze. In einer neuen BZ-Serie schauen wir ein wenig hinter die Kulissen der Fertigung in den drei großen Automobilwerken, aus denen in diesem Jahr 450.000 Autos rollen könnten, so viele wie nie zuvor in Ungarn. Im 1. Teil befassen wir uns mit der Audi Hungaria in Győr, die nach gut zwei Jahrzehnten um ein vollwertiges Automobilwerk bereichert wurde.
Seit dem Sommer 2013 werden in Győr auch komplette Autos gefertigt. Der Audi-Konzern hatte sich sein ungarisches Tochterunternehmen einst als reines Motorenwerk vorgestellt. Dieses Korsett sollte sich bald als zu eng geschneidert erweisen, denn bereits in den 90er Jahren begann in der Stadt an der Raab im Produktionsverbund mit dem Stammwerk Ingolstadt die Montage des neu entwickelten Kompakt-Sportwagens Audi TT. Auf TT Coupé und TT Roadster folgten ab 2001 dann die Modelle Audi A3 und S3 sowie ab November 2007 das A3 Cabriolet. Im Januar 2011 wurde die Produktpalette um den RS3 Sportback ausgeweitet.
Während das Motorenwerk in zwei Jahrzehnten zum größten seiner Art in der Welt aufstieg, wo in diesem Jahr gut und gerne zwei Millionen Motoren entstehen können, bewährte sich im Fahrzeugbau lange Zeit eine deutsch-ungarische Arbeitsteilung. Die Bayern siedelten immer neue Kompetenzen wie Werkzeugbau und Entwicklungstätigkeiten in Győr an, bevor die Entscheidung fiel, dass der Audi Hungaria Motor Kft. ein Automobilwerk mit kompletter Fertigungstiefe gut stehen würde.
Am 7. Juli 2011 wurde der Grundstein für das neue Automobilwerk gelegt. Mit 900 Millionen Euro vollzog sich in Győr die größte Einzelinvestition aller Zeiten in der ungarischen Wirtschaft, das ursprünglich mit 240.000 Quadratmetern auskommende Werksgelände wurde glattweg – von zwei auf vier Millionen Quadratmeter – verdoppelt. In den zwei Jahren bis zur Werkseinweihung am 12. Juni 2013 errichtete Audi ein Automobilwerk einschließlich Presswerk, Karosseriebau, Lackiererei und Endmontage, das für 125.000 Autos pro Jahr ausgelegt wurde.
Mit der Standorterweiterung hält auch die Audi Hungaria-Lehrstuhlgruppe an der István-Széchenyi-Universität Győr mit. Die Hochschulkooperation begann stilgerecht für das größte Motorenwerk der Welt mit einem Audi-Lehrstuhl für Verbrennungsmotoren. Es folgten Lehrstühle für Materialkunde und für Fahrzeugbau. Seit dem vorigen Studienjahr wird im deutschsprachigen Master-Studiengang für Fahrzeugingenieure das neue Lehrfach Gesamtfahrzeugentwicklung angeboten. Dabei dominieren Fertigungsaspekte, um die Vorbereitung neuer Modelle für die Fertigung zu optimieren. Für diese Tätigkeitsbereiche sind besonders kreative, fachqualifizierte Maschinenbau- und Fahrzeugingenieure gefragt, die Erfahrungen auf den Gebieten Messtechnik, numerische Simulation und Entwicklung von Antriebssträngen mitbringen.
Seit 1993 hat der Audi-Konzern permanent in seinen ungarischen Standort investiert, insgesamt 7,024 Milliarden Euro. Mit dem Geld hätten also beinahe acht große Automobilwerke hingestellt werden können! Von den Bändern dieses Standorts der Superlative liefen seither 26 Millionen Motoren und 650.000 Pkw.
Bei dem Unternehmen, das sechsmal in Folge zum „Attraktivsten Arbeitgeber Ungarns“ gekürt wurde, arbeiten aktuell 11.000 Menschen. Als sich das neue Automobilwerk in der Planung befand, wurden für die dortigen Montagelinien, aber auch für Ingenieuraufgaben, Logistik und Qualitätssicherung 2.100 neue Stellen ausgeschrieben. Aus allen Landesteilen meldeten sich qualifizierte Fachkräfte: insgesamt 42.000 (!) Bewerbungen gingen ein. Im September 2011 hatte die Audi Hungaria noch 7.000 Mitarbeiter gezählt, im darauffolgenden April waren es 8.000, im Februar 2013 bereits 9.000 Mitarbeiter. Noch im September des gleichen Jahres wurde der 10.000-ste Mitarbeiter eingestellt, seit diesem Sommer sind unmittelbar bei Audi in Győr bereits mehr als 11.000 Menschen beschäftigt. Parallel zum neuen Unternehmensbereich der Fahrzeugfertigung wurden somit auch die übrigen Segmente personell in ähnlicher Weise aufgestockt. Das Automobilwerk selbst beschäftigt heute mehr als 3.000 Mitarbeiter, denn die große Nachfrage nach den Modellen “Made in Hungary“ veranlasste das Management, auf drei Schichten umzustellen. Das bedeutet eine Steigerung der Kapazität auf 160.000 Autos im Jahr und ein Automobilwerk, das nach Einführung der dritten Generation des Audi TT, des dritten Modells neben A3 Limousine und A3 Cabriolet, vollständig ausgelastet ist.
Im Februar 2013 schloss die Regierung mit der zwanzigjährigen Audi Hungaria Motor Kft. eine strategische Kooperationsvereinbarung ab. Bei der Unterzeichnung sagte Ministerpräsident Viktor Orbán, dies sei nicht eine unter vielen, dies sei die Vereinbarung. Dabei würdigte er die Rolle der Audi Hungaria als Vorreiter der dualen Berufsausbildung in Ungarn: In zwölf Jahren bildete das Unternehmen nach dem in Deutschland bewährten System mehr als 1.400 Azubis in Győr aus.
Im I. Halbjahr wurden in Győr 66.640 Fahrzeuge gebaut, mehr als im ganzen Jahr 2013. Daran hielt die A3 Limousine mit 45.578 Autos den Löwenanteil, gefolgt vom A3 Cabriolet (10.756), dem soeben den Generationswechsel durchlaufenden TT Coupé (7.895) und dem Auslaufmodell TT Roadster (2.411 Autos).
DAS PRESSWERK ist eine Halle von 320 Metern Länge, die zudem 58 Meter breit und 17 Meter hoch ist. Die Hauptpresse ist ein 5.000 Tonnen schweres Baumonstrum der besonderen Güte, mit 93 Metern Länge, 22 Metern Breite und 12 Metern Höhe. Auf sechs gesonderte Pressen verteilt erreicht sie eine Pressleistung von 8.100 Tonnen und bis zu 17 Takte pro Minute. An einem einzigen Arbeitstag können so bis zu 24.000 Teile gepresst werden.
Die Erwähnung des Lehrstuhls ( Audi Hungaria-Lehrstuhlgruppe an der István-Széchenyi-Universität Győr. )passt sicher besser zm Thema, aber evtl . sollte man das hier doch auch erwähnen? (Die Ungarn beherrschen ja angeblich keine Fremdsprachen) http://ubz-audi.eu/
Es ist sicherlich von Interesse, wie lange die bisherigen 1o.ooo HUF-Scheine als gültiges Zahlungsmittel anerkannt bleiben. Ist dies schon bekannt?