
An Einsatz des ungarischen U19-Teams fehlte es beim Spiel gegen Portugal nicht, staatlichen Finanzspritzen und Infrastruknur an Geschick und Toren.
Wen nach der aus deutscher Sicht fulminanten Weltmeisterschaft in Brasilien Entzugserscheinungen in Sachen Fußball-Konsum plagen, kann dieser Tage ausgerechnet in Ungarn sein Pein lindern. Nein, keineswegs sind die Qualifikationsspiele zur Champions und Europe League, etwa Debrecen-Cliftonville oder Győr-Göteborg, gemeint, sondern die U19-Europameisterschaft, die am 19. Juli mit acht Mannschaften begonnen hat.
In der Gruppe A kämpfen neben Gastgeber Ungarn Österreich, Portugal und Israel um den Einzug ins Semifinale, in der Gruppe B Deutschland, Serbien, die Ukraine und Bulgarien. Die Spiele der Gruppe A finden in der neuen 3.500 Zuschauer fassenden Pancho Aréna in Felcsút (die nahe der Stadt Székesfehérvár gelegene 1.800-Seelen-Ortschaft ist die Heimatgemeinde von Ministerpräsident Viktor Orbán) und in der Heimstätte des Budapester Traditionsvereins Újpest FC, im Szusza Ferenc Stadion statt. Die Partien der Gruppe B steigen im ETO-Park in Győr und dem Perutz-Stadion in der westungarischen Stadt Pápa.
Aus deutscher und österreichischer Sicht waren die ersten zwei Spieltage (19. und 22. Juli) höchst erfolgreich. Während Deutschland zunächst gegen Bulgarien 3:0 gewann und im zweiten Spiel gegen Serbien ein 2:2 Remis erreichte, konnte Österreich in den ersten beiden Spielen gleich zwei Siege einfahren: ein 3:1 gegen Ungarn vor rund 10.000 Zuschauern(!) und ein 3:0 gegen Israel.
Ungarn dagegen startete denkbar schlecht in dieses Heimturnier. Nachdem es gegen Österreich die erwähnte 1:3 Niederlage gesetzt hatte, kamen die Magyaren gegen Titelfavorit Portugal gar mit 1:6 unter die Räder. Die ersten zwei Teams der beiden Gruppen werden am 28. Juli – jeweils um 18 Uhr oder 21 Uhr in der Pancho Aréna und im Szusza Ferenc Stadion – um den Einzug ins Finale spielen, das am 31. Juli um 19 Uhr im Szusza Ferenc Stadion in Budapest steigen wird.
Ungarischer Fußball liegt darnieder
Die ernüchternden Ergebnisse der U19-Nationalmannschaft Ungarns nach den ersten beiden Spieltagen der EM (Torverhältnis: 2:9) zeigen deutlich, dass der ungarische Fußball immer noch in einer tiefen Krise steckt. Zur Erinnerung: Zuletzt nahm Ungarn 1986 bei einer Weltmeisterschaft der Erwachsenen teil (Mexiko). Seither jedoch dümpelt der ungarische Fußball in der Mittelmäßigkeit, ja Unterklassigkeit dahin.

Kaum Spielpraxis: Die jungen Herren der ungarischen U19 haben außerhalb der heimischen Liga kaum Chancen auf Verträge.
Grund genug für den fußballvernarrten Regierungschef des Landes, Viktor Orbán, mit dem Bau neuer Stadien (Debrecen, Budapest/Ferencváros und Felcsút), üppigen staatlichen Finanzspritzen und Infrastrukturentwicklungen neues Leben in den einst so glorreichen ungarischen Fußballsport zu hauchen. Das Augenmerk wird dabei vor allem auf die Nachwuchsförderung, das heißt auf die rund ein Dutzend Fußballakademien des Landes gerichtet.
Den Akademien fehlt es an Up-to-date-Expertise
Allerdings zeigen gerade die Ergebnisse der ungarischen U19-Elf, dass offenbar auch die Jugendarbeit in Ungarn im Argen liegt. Untermauert wird dieser Eindruck auch von der belgischen Firma Double Pass, die vom Ungarischen Fußballverband (MLSZ) damit beauftragt wurde, die Arbeit in den ungarischen Fußballakademien zu analysieren.
Double Pass kam im Rahmen ihrer Durchleuchtung zu dem Schluss, dass in der Mehrzahl der Akademien die notwendigen Rahmenbedingungen fehlen, sprich durchdachte fachliche Richtlinien, kompetente Trainer, die auf dem neuesten Wissensstand sind, und ein umfassendes Monitoring mit Blick auf die Einhaltung gewisser Qualitätsstandards. Kein Wunder also, dass die Fußballschmieden des Landes mediokre Fußballer in den Profibetrieb entlassen, wo sie zum Großteil nur in schwachen Ligen (etwa Zypern und Malta) Tritt fassen können. Erschwert wird das Leben junger ungarischer Fußballer obendrein dadurch, dass sie in der ungarischen Meisterschaft kaum Spielpraxis sammeln können, kommen in vielen Vereinen doch viel eher drittklassige Legionäre zum Zug.
Nationale Liga erfährt kaum Zuspruch
Hinzu kommt, dass die ungarische Nationalliga sich in einem erbärmlichen Zustand befindet. Wie die Ökonomin Krisztina András gegenüber der Sporttageszeitung Nemzeti Sport darauf hinweist, schreiben die heimischen Vereine fast quer durch die Bank Verluste. Dies sei vor allem darauf zurückzuführen, dass das Interesse an der ungarischen Meisterschaft äußerst gering ist. Mit anderen Worten: Es verlieren sich kaum Zuschauer zu den Spielen der nationalen Liga.
Das mangelnde Interesse wiederum hat zur Folge, dass die finanziell ohnehin klammen Klubs einerseits spärliche Einnahmen aus den Ticketverkäufen erzielen, andererseits wegen des ebenso dürftigen Interesses der TV-Zuschauer kaum Fernsehgelder akquirieren können. Ein Teufelskreis. Der Sportökonom Ferenc Dénes schlägt in die gleiche Kerbe. Laut Dénes befinden sich in der ungarischen Meisterschaft bloß vier Vereine in einer „stabilen finanziellen Situation”: Debrecen (ungarischer Meister), Videoton, Ferencváros (Starter in der Europa League Qualifikation) und Győr (ebenfalls Starter in der Europa League Qualifikation) – an der Nationalliga nehmen allerdings insgesamt 16 Mannschaften teil.
Systematische Jugendarbeit als Schlüssel
Der Ökonom Gábor Szabados fordert, dass die Nachwuchsarbeit in den Fußballakademien in Hinblick auf die Qualität in Zukunft regelmäßig beaufsichtigt werden müsse. Es könne nicht sein, dass vom Staat Unmengen an Geld in die Nachwuchsförderung der Akademien gepumpt werden, die Ergebnisse der dortigen Jugendarbeit aber nicht systematisch und umfassend analysiert werden. Für die Evaluierung der Arbeit in den Fußballakademien seien aber auch entsprechend ausgebildete Fachleute notwendig, betont er.
Was den meisten Experten unter dem Strich fehlt, ist ein durchdachtes und zielstrebig verfolgtes Konzept. Indem sündhaft teure Stadien aus dem Boden gestampft werden, ist ein qualitativ hochwertiger Fußball noch lange nicht garantiert. Dieser könne nur Realität werden, wenn auf konsequente und umsichtige Weise eine nachhaltig funktionierende Infrastruktur der Nachwuchsförderung aufgebaut wird, so der Tenor der Fachleute.
Die wichtigsten Fußballakademien des Landes:
Debreceni Labdarúgó Akadémia
Győri ETO FC
Illés Sport Alapítvány (Szombathely)
Vasas Akadémia (Budapest)
Honvéd FC (Budapest)
Sándor Károly LA (Budapest)
Újpesti TE
Nyírsuli Nyíregyháza
Felcsút Utánpótlás Neveléséért Alapítvány
Békéscsaba UPFC
Kaposvári Rákóczi Bene Ferenc LA
Kecskeméti TE