
„Rahn schießt – Tor, Tor, Tor, Tor!!!!“, keine Chance für Grosics … : Mit diesem Vogel in Fußballerpose könnte auch gleich noch kritsch an Deutschlands Mitschuld an Ungarns Niederlage im Fußball-WM-Finale 1954 in Bern erinnert werden. (Foto: Nóra Halász)
Ein vergeigtes Holocaust-Gedenkjahr, mal wieder ein Shitstorm in den internationalen Medien, belastete deutsch-ungarische Beziehungen, eine aus Angst vor noch mehr Ärger und Spott unterlassene Einweihung, immense Mehrkosten durch (wahrscheinlich permanente) Sicherheitsmaßnahmen… die Liste der Kollateralschäden, die mit dem Besetzungsdenkmal verbunden sind, ließe sich noch verlängern.
Während die Negativaspekte der Denkmalsbilanz klar auf der Hand liegen, herrscht hinsichtlich der von der Regierung mit dem Denkmal verknüpften „positiven Absichten“ noch immer Rätselraten. Theorien und Deutungsversuche gibt es zwar viele. Bei genauerem Hinsehen findet sich aber kein einziger Grund für das Denkmal, der all das zerschlagene Porzellan rechtfertigen würde. Sehen wir uns die gängigsten Erklärungsversuche einmal kritisch an:
1. Reinwaschen der ungarischen Vergangenheit
Diese von den Denkmalsgegnern am häufigsten geäußerte Vermutung klingt zwar plausibel, wäre sie aber Fidesz-Parteilinie, wäre es nicht logisch, dass sich Spitzenvertreter von Regierung und Partei am laufenden Band gegenteilig äußern, so wie zuletzt etwa Staatspräsident János Áder in Auschwitz. Konsistenz und Berechenbarkeit gehören zwar nicht zu den Kernkompetenzen dieser Regierung, würde es Orbán aber tatsächlich darauf abgesehen haben, den Deutschen alle Schuld in die Schuhe zu schieben, dann ist nicht nachvollziehbar, warum er seine Leute permanent und ungestraft von der Mitschuld Ungarns reden lässt.
2. Buhlen um Jobbik-Stimmen
Besonders vor den Wahlen machte auch dieses Argument die Runde. Dabei wird gemeinhin unterstellt, dass sich Jobbik-Wähler mehrheitlich für das, was 1944 mit den ungarischen Juden passiert ist, schämen würden und sie dankbar wären, wenn jemand dafür sorgt, dass die Mitverantwortung dafür komplett den Mit-Tätern in die Schuhe geschoben wird, damit man sich danach ohne schlechtes Gewissen an den erworbenen jüdischen Besitztümern erfreuen kann beziehungsweise den eigenen Großeltern dafür keine Vorwürfe mehr machen muss. Selbst wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Abschiebung der Verantwortung auf die Deutschen bei einigen Jobbik-Wählern tatsächlich gut ankommt, ist noch längst nicht erwiesen, dass sie daraufhin auch gleich zum Fidesz überlaufen würden. Weiterhin müssten bei einem solchen Spiel über die Bande auch gegenteilige Wirkungen einkalkuliert werden. So gibt es in national gesinnten Kreisen nämlich auch Stimmen, die die aus der Konzeption des Denkmals sprechende despektierliche Darstellung des Trianon-Liquidators und Weltkriegsverbündeten Deutschland sowie die historisch falsche Darstellung der deutschen Besetzung Ungarns scharf zurückweisen. Aber generell: Um Jobbik-Stimmen kann man auch viel leichter und risikofreier buhlen.
3. Zusammenschmieden des eigenen Lagers
Das ist ein beliebtes Erklärungsmuster, insbesondere wenn es darum geht, Orbáns sehr emotional und offen ausgetragene Konflikte mit der EU und dem IWF zu rechtfertigen. Womöglich gilt diese Erklärung auch bei diesen Konflikten. Sich aber ausgerechnet ein merkwürdiges Denkmal hinzusetzen, bloß um sich mal wieder mit dem Rest der Welt und nicht zuletzt den jüdischen Verbänden ordentlich zu fetzen… Na ja, es gibt sicher einfachere und vor allem gesellschaftlich sinnvollere Methoden, sich als großer Patriot geschickt in Szene setzen, um bei seinen Anhängern Punkte zu sammeln.
4. Konsequente Fortsetzung eines einmal eingeschlagenen Weges
Schon bei der Verabschiedung der neuen Verfassung sorgte der Passus für Aufregung, wonach Ungarn seit dem 19. März 1944 und bis zur friedlichen Wende 1989/90 nicht mehr souverän gewesen sei, ergo auch nicht mehr die Verantwortung dafür trage, was sich in diesem Zeitraum auf seinem Territorium zugetragen hat. Bereits damals bekamen die obersten Macher beim Fidesz eine kleine Kostprobe davon, dass dieser Passus bei vielen zu Irritationen führt. Letztlich legte sich die Entrüstung aber wieder. Diese und andere fehlinterpretierbare Passagen der Verfassung wurden einer speziellen Fidesz-Folklore zugeschrieben. Damit war das Thema weitgehend abgehakt. Es gab danach auch keinerlei gesellschaftliche Erwartungshaltung, sich die von der Verfassung beschworenen Mythen, so auch die vom Totalverlust der Souveränität noch einmal durch ein Denkmal illustrieren zu lassen. Die Regierung hätte das Thema also ohne weiteres ruhen lassen können.
5. Gegenstück zum sowjetischen Denkmal
Das sowjetische Denkmal am anderen Ende des Freiheitsplatzes wird wegen seiner historisch bedenklichen Kernaussage von vielen Ungarn abgelehnt und wäre ohne Moskau sicher schon wie viele andere Relikte der kommunistischen Ära im Skulpturenpark in Budafok gelandet. Ob es jedoch Auswirkungen auf die Wahrnehmung des sowjetischen Denkmals hat, dass es nun in Sichtweite von einem anderen Denkmal mit einer ebenso bedenklichen Kernaussage konterkariert wird, darf bezweifelt werden. Sicher hätte eine kleine Tafel am sowjetischen Denkmal, die es historisch einordnet und die Hintergründe seines Zustandekommens und Bleibens erklärt, mehr bewirkt.
6. Erinnern von Deutschland an dessen historische Verantwortung
Ein gut gemeinter Gedanke, aber selbst wenn sich auch nur ein einziger Deutscher von diesem merkwürdigen Unglücksraben (der eigentlich ein deutscher Reichsadler sein soll) angesprochen fühlen sollte, so ist der letzte Verbündete Nazi-Deutschlands wirklich der letzte, der Merkel-Deutschland in diesem Punkte Nachhilfeunterricht erteilen sollte.
Da diese sechs, eher rationalen Gründe einer näheren Betrachtung nicht standhalten, drängt sich der Verdacht auf, dass beim Zustandekommen des Denkmals möglicherweise auch irrationale Gründe im Spiel gewesen sein könnten. Vielleicht wollte die ungarische Führung aber auch wirklich nur ganz ehrlich an den Wert der Freiheit und die Weltkriegstoten erinnern und ihr ist das Ganze nur irgendwie „entglitten“ und wurde dann aus Rechthaberei nicht mehr korrigiert.
Aber wie auch immer, bei all der Erregung über das Besetzungsdenkmal sollte nicht vergessen werden, dass es sich dabei letztlich nur um einen kleinen Haufen an Stein und Metall handelt, von dem die meisten Ungarn inmitten all ihrer Alltagssorgen bisher noch nicht einmal Notiz genommen haben und wohl auch nicht nehmen werden. Mögen es Orbán und seine Mannen doch so lassen oder noch kitschiger gestalten oder gar in Fidesz-orange spritzen, wenn sie es unbedingt zum Glücklichsein brauchen! Hauptsache ist – und hier sollten sie möglichst keine Fehler machen – dass sie die Armut wirksam bekämpfen, und ebenso die Verschuldung, die Vetternwirtschaft, die Abwanderung und all die wirklich handfesten Probleme dieses Landes.
Sollte sich der Fidesz hier mit Bravour schlagen, so wird ihm sicher auch einmal der unglückliche Ausrutscher mit dem Denkmal verziehen.