Von Zoltán Gál J.
Die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien war für mich insofern von großer Bedeutung, als ich zum ersten Mal mit meinem Sohn bei einer WM mitfieberte. Ich vermittelte ihm das Wenige, das ich vom Fußball weiß und versuchte ihm zu erklären, wie es kommt, dass man einem fernen, exotischen Kleinstaat wie Costa Rica aus Solidarität die Daumen drückt.
Doch geriet ich während der WM auch einmal in Erklärungsnot: Irgendwann blieb der Fernseher eingeschaltet, und mein Sohn schrie aus dem Wohnzimmer mit voller Kehle: „Papa, Papa, Match, Match!” Als verantwortungsvoller Vater stürzte ich mich Hals über Kopf ins Wohnzimmer, um mich neben meinem Sohn auf der Couch niederzulassen. Doch als ich auf den Bildschirm sah, schreckte ich reflexartig zurück: „Nein, das darfst du nicht sehen!”, sagte ich mit Entschiedenheit in der Stimme. Ich weiß nicht, ob es mir gelang, dem sechsjährigen Kind zu erklären, dass ein Spiel zwischen Birkirkara (ein Verein von der Insel Malta; Anm.) und Diósgyőr (ein Verein der nordostungarischen Stadt Miskolc; Anm.) nichts zum Anschauen ist. Im Grunde hatte er ja recht: Es gab einen Ball, einen Rasen und Spieler, die im bunten Dress über das Spielfeld liefen – es bot sich also in etwa dasselbe Bild wie bei jenen WM-Spielen, bei denen wir angespannt mitzitterten. Ein paar Jahre noch und er wird meinen Widerwillen hoffentlich verstehen.
Wirtschaftliche Konsequenzen aus Brasiliens 1:7-Niederlage gegen Deutschland
Wie immer das Finale heute ausgehen wird (13. Juli), die Nachwelt wird sich sowieso mehr an das Semifinale Brasilien-Deutschland zurückerinnern, bei dem die Gastgeber bekanntlich mit 1:7 unter die Räder kamen. Die beispiellose Schmach Brasiliens gegen Deutschland hat aber nicht nur einen sporthistorischen Wert. Wirtschaftsanalysten schreiben, dass die Schlappe der Seleção sogar zu einer nationalen Lethargie führen könnte. Die wirtschaftlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten, lesen sich dramatisch: ein Rückgang des brasilianischen Konsums, ein Rückfall des ohnehin laschen Wirtschaftswachstums in Brasilien und das Ausbleiben von Auslandsinvestitionen als Folge des Wirtschaftsabschwungs.
Na bitte! Das also hat der Teamchef der Seleção, Luiz Felipe Scolari, Brasilien eingebrockt, indem er das brasilianische Mittelfeld aus völlig unerklärlichen Gründen schwächte. Nicht zu sprechen davon, dass die peinlichen Fehler von Marcelo und David Luiz dem brasilianischen Staatsoberhaupt Dilma Rousseff zum Verhängnis werden könnten, die angesichts der Gigainvestitionen in die Austragungsstätten der WM ohnedies erheblichen Erklärungsbedarf hat. Daraus wird ersichtlich, dass Investitionen in teure Stadien nicht ohne politisches Risiko sind, selbst in einem Land, wo es den Spielern auf dem Spielfeld immer wieder gelingt, die Herzen von Millionen zu verzaubern.
Viel zu viel Stolz, Nationalismus und Politik
Unter den vielen Analysen über die Ursachen des 1:7 fanden sich Erklärungen, wonach der übertriebene Fußballchauvinismus der Brasilianer der Grund für den Untergang gewesen sei. Viel zu viel Stolz, viel zu viel Nationalismus, viel zu viel Politik habe sich mit dem Sport vermengt, was letztlich dazu geführt habe, dass Brasilien über die Deutschen hinwegfegen wollte, statt die Aufmerksamkeit auf die Verteidigung zu fokussieren. Was die Politik und den nationalistischen Furor anlangt, der sich über den Fußballsport stülpt, müssen wir nicht bis nach Brasilien gehen; ein Glück nur, dass wir uns in den letzten Dekaden an Niederlagen gewöhnen konnten, sieben-acht kassierte Tore sind für uns kein Drama. Wir brauchen inzwischen auch keinen attraktiven Fußball mehr, unser netter, kleiner Fußballchauvinismus gedeiht auch ohne ihn. (…)
Nicht auszudenken, was wäre, wenn die ungarische Nationalmannschaft wie Kolumbien, Costa Rica oder Belgien ins Viertelfinale einer WM vorstoßen würde. Der Einzug unter die letzten acht einer WM würde wohl für Jahre all unseren Schwermut und Kummer vergessen machen. Ganz zu schweigen davon, wie viele Gesetze die Regierung im Zuge der Wochen der selbstvergessenen Fußballeuphorie unbemerkt verabschieden könnte.
Der Autor ist Chefredakteur der linksliberalen Sonntagszeitung Vasárnapi Hírek. Der hier in Auszügen abgedruckte Text erschien am 13. Juli 2014 ebendort.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar