Bei den Linken gibt es wieder Aufruhr. Der Grund: Die örtlichen Organisationen der maßgeblichen linken Parteien des Landes, Ex-Premier Ferenc Gyurcsánys (2004-2009) Demokratische Koalition (DK), „Gemeinsam-Dialog für Ungarn” und die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP), konnten sich angesichts der bevorstehenden Kommunalwahlen im Oktober dieses Jahres auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters in der nordostungarischen Stadt Miskolc einigen. Sein Name: Albert Pásztor, der von 2000 an mehr als zehn Jahre lang Polizeipräsident von Miskolc war.
Obwohl sich gleich drei bestimmende linke Kräfte mitsamt der sogenannten Lokalpatriotischen Vereinigung von Miskolc auf Pásztor als Kandidaten verständigen konnten, gibt es scharfe Misstöne unter den Linken. Der Grund sind mutmaßlich diskriminierende Äußerungen, die Pásztor noch als Polizeipräsident von Miskolc in Bezug auf die Roma-Minderheit fallen ließ (2009).
Pásztor gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass hinter den meisten kriminellen Delikten in Miskolc und Umgebung Roma stünden („Wir können ruhig verkünden, dass die Diebstähle im öffentlichen Raum von Zigeunern begangen werden”). Er sagte auch, dass das „Zusammenleben” der ungarischen Mehrheitsgesellschaft mit den Roma nicht funktioniere.
„Linke Lösungen statt Antiziganismus”
Zum handfesten Eklat angesichts der Miskolcer Kandidatur von Pásztor kam es am Samstag auf einer Budapester Kundgebung der Demokratischen Koalition gegen die Regierung. An der Demonstration nahm unter anderen auch der Geschäftsführer der Krétakör Stiftung, Márton Gulyás, teil. Krétakör zählt seit langen Jahren zu den bekanntesten alternativen Theatergruppen in Ungarn. Gulyás, dem Pásztor wegen seiner kritischen Aussagen hinsichtlich der Roma-Minderheit offenbar ein Dorn im Auge ist, hielt bei der DK-Demo ein Transparent mit der Aufschrift „Linke Lösungen statt Antiziganismus” hoch.
Nachdem Gulyás das Transparent von anderen Demonstranten entrissen worden war, wurde er mehrmals geohrfeigt. Angesichts des Vorfalls sah sich sogar Ferenc Gyurcsány selbst genötigt zu reagieren. Per Facebook schrieb er, Márton Gulyás habe darin recht, dass eine „linke Lösung” notwendig sei. Die DK ist denn auch solidarisch mit ihm, so Gyurcsány. Die Pressechefin der DK, Viktória Wirsching, versprach gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur MTI, dass die Demokratische Koalition gegen all jene Personen rechtlich vorgehen wolle, die Gulyás geschlagen hätten.
DK-Politiker spricht von „Roma-Kriminalität”
Die Handgreiflichkeiten bei der Kundgebung waren für viele ein willkommener Anlass, um an Ferenc Gyurcsány und der DK scharfe Kritik zu üben. Kritisiert wurde vor allem die Tatsache, dass Gyurcsány Pásztors Aussagen über die Roma früher nicht nur als empörend, sondern auch als „Brechreiz hervorrufend” bezeichnet hatte. Nun jedoch unterstütze Gyurcsánys Partei die Kandidatur des ehemaligen Miskolcer Polizeipräsidenten, heißt es. Ein führender DK-Politiker, Mátyás Eörsi, gab den Kritikern der Demokratischen Koalition zusätzlich Nahrung. Gegenüber dem regierungskritischen Fernsehsender ATV sagte Eörsi freimütig, dass die „Roma-Kriminalität” statistisch erwiesen sei.
Die Äußerung des DK-Politikers brachte gleich mehrere Oppositionspolitiker in Rage. In einem Facebook-Eintrag schickte der maßgebliche Politiker der Ökopartei LMP, András Schiffer, „Eörsi und die selbsternannten Demokraten” der Demokratischen Koalition gelinde gesagt zum Teufel. Schiffer erinnerte daran, dass er von der DK früher deshalb der „Nazi-Sympathie” geziehen worden sei, weil er sich erdreistet habe, mit der rechtsradikalen Partei Jobbik in Dialog zu treten. Und nun, so Schiffer, stelle sich die DK hinter Albert Pásztor und spreche überdies von „statistisch erwiesener Roma-Kriminalität”.
Die Linke hat sich moralisch entleert
Der LMP-Politiker wies darauf hin, er habe seine Abgeordnetenkollegen von Jobbik wiederholt ermahnt, sich des Begriffs „Zigeunerkriminalität” (dieser Begriff wurde ursprünglich von Jobbik geprägt) zu enthalten, da er mit der Konnotation einhergehe, dass alle Roma Kriminelle seien. Der Chef der Ungarischen Liberalen, Gábor Fodor, wiederum, erklärte, dass die Linke mit der Unterstützung der Kandidatur Pásztors sich selbst Lügen strafe. Der Politiker der Partei „Gemeinsam-Dialog für Ungarn”, Gergely Karácsony, sprach sogar davon, dass die Linke sich in moralischer Hinsicht „völlig entleert” habe.
Am Montag dieser Woche meldete sich auch Albert Pásztor zu Wort. Bei einer Pressekonferenz sagte er zu dem Hickhack um seine Person, dass es in Miskolc ziemlich wenige Menschen interessiere, was in Budapest von Ferenc Gyurcsány und anderen Politikern geäußert werde. „Hier sind die Menschen daran interessiert, dass die Stadt Miskolc, die sich in keiner besonders guten Situation befindet, durch einen partei- und ideologiefreien Zusammenschluss all ihrer Bewohner wieder zu einem lebenswerten und vibrierenden Ort wird.”
Erneuerungsbewegung bei Sozialisten
Unterdessen war diese Woche in der Onlineausgabe der linksliberalen Wochenzeitung hvg zu lesen, dass die ehemalige Vorsitzende der Sozialisten, Ildikó Lendvai, gemeinsam mit dem ehemaligen Verteidigungsminister Imre Szekeres und Ex-Finanzminister János Veres den sogenannten Deák Ferenc Kreis gegründet habe. Laut der neuen MSZP-Plattform braucht die Oppositionspartei ein neues Programm, ein neues Grundstatut und einen neuen strukturellen Aufbau.
Lendvai und ihre Mitstreiter wollen dem MSZP-Programm unter anderem ein obligatorisches Grundeinkommen für alle und einen Minimallohn in Höhe von 100.000 Forint einschreiben. Der Deák Ferenc Kreis will aus der MSZP eine Partei formen, die als „Fundamentalopposition” gegen jenes politische System (das System von Viktor Orbán) auftritt, das die Gesellschaft entzweie, die Solidarität töte und die Freiheit einschränke. Die neue Plattform stellt darüber hinaus die Forderung, dass das Parteipräsidium der MSZP zu zwei Dritteln aus Politikern bestehen solle, die nicht Abgeordnete im Parlament sind. Zur Erinnerung: Bei den Parlaments- und Europawahlen in diesem Jahr schlitterte die MSZP in zwei verheerende Niederlagen.