Am 6. April wurde Viktor Orbán als zweiter Ministerpräsident in der Geschichte Ungarns im Amt bestätigt (nach Ferenc Gyurcsány). Bereits im Vorfeld der Wahl gab es vor allem von oppositioneller Seite und aus dem Ausland Befürchtungen um die Sauberkeit des Urnengangs. Premier Orbán und die nationalkonservative Regierungspartei Fidesz wischten diese Bedenken damals immer vom Tisch und luden sogar Wahlbeobachter der OSZE zum Wahltag ein, um die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Die Erkenntnisse aus der Wahlbeobachtung der OSZE wurden am vergangenen Freitag veröffentlicht. Das Ergebnis dürfte der im Amt bestätigten Regierung wenig gefallen.
Der Bericht setzt mit seiner Kritik schon vor den Wahlen an. Da wäre zum einen das Wahlgesetz, das ohne breiten politischen Konsens verabschiedet wurde. Demnach stach der OSZE nicht nur der Inhalt des Gesetzes ins Auge, sondern auch sein Entstehungsprozess.
Zur Erinnerung: Etwa eineinhalb Jahre vor den diesjährigen Parlamentswahlen machte sich die Regierung daran, ein neues Wahlgesetz zu erarbeiten. Schon nachdem die ersten Fakten bekannt geworden waren, machte sich Unmut in der Opposition breit, denn die Neuzeichnung der Wahlkreise und die geplante Registrierungspflicht für Wähler empfanden sie als unverhältnismäßigen Einschnitt in die Chancengleichheit. Und obwohl sie diese Bedenken wiederholt und nachdrücklich in den Medien artikulierten, zeigte die Regierung kaum Reaktion. Einziges Zugeständnis war die Herausnahme der Registrierungspflicht.
Ein weiterer Kritikpunkt der Opposition, den nun auch der OSZE-Bericht untermauert, ist die Neuzeichnung der Wahlbezirke. Diese, so sind sich OSZE und oppositionelle Beobachter einig, hätten in ihrer Neugestaltung eindeutig zum Wahlsieg des Fidesz beigetragen. Tatsächlich wurde die Zahl der Wahlkreise von 176 auf 106 reduziert, obendrein wurden diese – dies zeigen Wahlkreisanalysen der vergangenen Jahre – zugunsten des Fidesz neu zugeschnitten. Fürsprecher der Wahlreform erklärten jedoch vehement, die Neuzeichnung sei rein unter Beachtung der Zahl der Wahlberechtigten erfolgt.
Wenige Frauen, aber viele Überhangmandate
Ein Punkt, der ebenfalls bereits vor der Wahl vielen Wahlbürgern sauer aufstieß, war die Möglichkeit der Briefwahl – oder vielmehr das Fehlen ebendieser. Denn während die schnell vor der Wahl eingebürgerten Angehörigen der ungarischen Minderheiten im umliegenden Ausland bequem von zu Hause per Brief ihr Kreuz abgeben durften, mussten Ungarn, die zwar im Ausland lebten und arbeiteten, aber über eine Adresse in Ungarn verfügten, zur nächsten ungarischen Botschaft (oder zum nächsten Konsulat) reisen, um persönlich vor Ort zu votieren. Insbesondere die zahllosen in England lebenden Ungarn sahen sich damit vor große Probleme gestellt, oder wie es ein Betroffener gegenüber der Budapester Zeitung sagte: „Ich kann es mir einfach nicht leisten, zwei Tage Urlaub zu nehmen, um 2.500 Kilometer mit dem Zug zu fahren, um zu wählen.“
Ebenfalls vor der Wahl kritisierte die Opposition die ungleichmäßige Verteilung der medialen Aufmerksamkeit von staatlicher Seite, mehr noch, die unter Orbán extrem nah an die Regierung herangewachsenen öffentlich-rechtlichen Sender hätten, so der OSZE-Bericht, mit ihrer Berichterstattung die Arbeit der Regierung über die Maßen positiv dargestellt und damit gegen die OSZE-Bestimmungen in Bezug auf freie, demokratische Wahlen verstoßen.
Ungarn steht im europäischen Vergleich in Sachen Korruption schlecht da. Von 28 EU-Ländern schaffte es Ungarn im Dezember des vergangenen Jahres gerade einmal auf Platz 20 des Korruptionsindexes. Diese Undurchsichtigkeit zieht sich durch alle Ebenen der Gesellschaft, und auch die OSZE bemängelt die Intransparenz der Parteienfinanzierung. Tatsächlich ist bis heute nicht geklärt, was mit den zahllosen Kleinst-Parteien geschehen ist, die vor der Wahl wie Pilze aus dem Boden schossen, nur, um sofort nach dem Kassieren der Wahlkampfsubventionen wieder im Nichts zu verschwinden. Doch auch die Parteien, die blieben, haben zu viel im Wahlkampf ausgegeben und damit ebenfalls gegen das Wahlgesetz verstoßen, allein auf Sanktionen wartet man bis heute vergeblich.
Ein weiterer Punkt, den die OSZE kritisiert, ist die geringe Quote an Frauen, sowohl auf den Listen im Vorfeld als auch nach der Wahl im Parlament. Nicht einmal zehn Prozent der Abgeordneten sind weiblich, ein Fakt, der in Ungarn zwar kein Novum ist, in so drastischer Form jedoch bisher nicht in Erscheinung getreten ist.
Während die Idee der Minderheiten-Abgeordneten im Vorfeld zwar begrüßt wurde, kritisiert die OSZE nun, dass es nicht ein Minderheiten-Abgeordneter ins Parlament geschafft hat.
Obwohl der Bericht bereits seit Freitag publik ist, reagierte die Regierung bis zum Redaktionsschluss nicht darauf. Da viele der nun veröffentlichten Kritikpunkte bereits im Vorfeld der Parlamentswahlen mehrfach und von vielen Seiten geäußert worden waren, wird die Regierung jetzt vielleicht eine Reaktion zeigen.